Autor Thema: Selbstportrait 2021  (Gelesen 325 mal)

Erich Kykal

Selbstportrait 2021
« am: Juli 15, 2021, 12:05:25 »
Ein selten fetter, meist verschwitzter kleiner Mann
mit weißem Rauschebart und runder Spiegelglatze,
auf kurz geratner Nase eine dicke Brille,
der keine Treppe ohne Schnaufen steigen kann.
Daheim umschleicht ihn zärtlich eine liebe Katze -
für mehr an Lebendem versiegte ihm der Wille.

Die kurzen Knubbelfinger seiner kleinen Hände
ergreifen selten etwas anderes als Essen,
das ihm die Lust am Leben unentwegt ersetzt -
ein Leben, das er gern in seinen Büchern fände.
So sucht er sich im eignen Schweigen zu vergessen,
vom allzu lauten Zwischenmenschlichen verletzt.

Er hat zu früh gelernt, das Schlimmste zu erwarten,
von jenen, denen er so gern vertrauen wollte,
und zog sich ganz auf seinen eignen Punkt zurück.
Er blickt hinaus in den verwildert bunten Garten
und eine Welt, die an Respekt zu wenig zollte,
und stilisiert das Einsamsein zu seinem Glück.

Was ihn am Sein noch fordern konnte, scheint erloschen,
die Zeit entgleitet ihm, die Tage ziehn vorüber
wie Leichenzüge seiner einst so hohen Ziele.
Er hat zu lang auf seine Schatten eingedroschen -
nun breitet schleichend sich das Totentuch darüber,
entblößt die Leichen, die im Keller sind: So viele ...
« Letzte Änderung: Juli 15, 2021, 12:09:29 von Erich Kykal »
Ironie: Ich halte euch einen Spiegel vor, damit wir herzlich lachen können.
Sarkasmus: Ich halte euch einen Spiegel vor, weil ich von euch enttäuscht bin.
Zynismus: Ich halte euch einen Spiegel vor, aber ich glaube nicht mehr an euch.

Rocco

Re: Selbstportrait 2021
« Antwort #1 am: Juli 16, 2021, 23:45:14 »
Hallo Erich,

für ein Porträt ist es arg kurz geraten. Strophen drei und vier behaupten, aber zeigen nicht. Du weißt ja: Show, don't tell.

Für mich ist das ein Text, der sich als Erzählung gut machen würde.

Gemessen am sarkastischen Ton (selten fetter... ), ließe sich auch eine Satire daraus basteln.

Einen schönen Abend

Rocco
"Erst in Rage werde ich grob -
aber gelte als der Hitzkopf?!"

Yusuf Ben Goldstein, aus Rocco Mondrians Komödie: Yusuf Ben Goldstein, ein aufrechter Deutscher

Erich Kykal

Re: Selbstportrait 2021
« Antwort #2 am: Juli 17, 2021, 10:48:20 »
Hi Rocco!

Es hat mir immer schon geholfen, das eigene Leben als eine Art Satire zu betrachten!  ;D >:D

Was meinst du mit "behaupten, aber zeigen nicht"? Erwartest du von so einem Gedicht einen exakten Lebensbericht aller relevanten Vorkommnisse, die mich geformt und begleitet haben? Sorry, dann wäre das wohl ein Roman in Reimform! Nein, hier geht es nur um die Grundzüge, sozusagen das Basissetting meiner unheiligen Person.
Dies ist nur eine zynisch-ironische kleine Nabelschau, derer ich mich ab und an befleißige, um mich selbst wieder auf den selbstreflexiven Boden der Tatsachen zurückzuholen, wenn ich möglicherweise ganz tief drinnen beginne, mich für etwas Besseres als andere zu halten, etwas Besonderes, das Besonderes verdient hat - und ein klein wenig Seelenhygiene, um mir unbewältigte Komplexe von der Schulter zu schreiben.
Ich habe mir immer etwas auf meine Fähigkeit eingebildet, mich klarer Gedanken zu ermächtigen, d.h. auch die eigene Person in unbeschönigendem Licht sehen zu können. Vielleicht ist gerade dies die Hybris hinter solchen Gedichten ...

Wie auch immer, danke für deine Gedanken.  :)

LG, eKy
Ironie: Ich halte euch einen Spiegel vor, damit wir herzlich lachen können.
Sarkasmus: Ich halte euch einen Spiegel vor, weil ich von euch enttäuscht bin.
Zynismus: Ich halte euch einen Spiegel vor, aber ich glaube nicht mehr an euch.

Rocco

Re: Selbstportrait 2021
« Antwort #3 am: Juli 18, 2021, 16:40:22 »
Hallo Erich,

ich wollte nicht vom lyr. Ich auf den Autor schließen. Mag sein, dass es Gedichte gibt, die das rechtfertigen, allgemein aber, ist der Autor, der Autor und das lyr. Ich, das lyr. Ich.

Dass Du Komplexe hast, Erich, macht dich normal! Die Kranken, also richtigen Kranken, halten sich für normal und gesund. Entsprechend verquer unsere Gesellschaft. (Wirtschaft, Politik usw.)

Was meine ich mit: Show, don't tell?

Nehmen wir die dritte Strophe, die zeigt das gut.

"Er hat zu früh gelernt, das Schlimmste zu erwarten"

Warum musste er das lernen?
Gab es wirklich keine Alternativen?

Wem wollte er Vertrauen? Warum gerade diesen Personen?

Was heißt: zu wenig Respekt? Für was? In Bezug worauf?

Du wirst vielleicht einwenden, diese Fragen solle die Phantasie der Leser klären; da Stimme ich fast zu. Der Leser soll Raum für eigene Gedanken haben, hier aber ist der Raum zu groß.

Ganz ehrlich: das Gedicht wirkt auf mich wie ein Entwurf. Du magst das anders sehen, ok, es ist ja auch dein Gedicht, aber ich, als Autor, würde noch mal drüber gehen. Zumal du das eh immer machst. Ich meine: eigene Gedichte verbessern.

Einen schönen Tag

Rocco
« Letzte Änderung: Juli 18, 2021, 16:42:29 von Rocco »
"Erst in Rage werde ich grob -
aber gelte als der Hitzkopf?!"

Yusuf Ben Goldstein, aus Rocco Mondrians Komödie: Yusuf Ben Goldstein, ein aufrechter Deutscher

Erich Kykal

Re: Selbstportrait 2021
« Antwort #4 am: Juli 18, 2021, 20:18:45 »
Hi Rocco!

Seltsam - sonst wirft man mir immer vor, nicht zwischen den Zeilen denken/lesen zu können und mich zu direkt nur auf das klar Ausgesagte zu werfen ...

Überleg mal - so ein, sagen wir mal, äußerlich wenig gesegneter Mensch, was hatte der von seiner Umwelt wohl zu erwarten? Außerhalb der engsten Familie, und in manchen Fällen nicht einmal dort? Er wird von den Mitschülern gemobbt, gedemütigt, nie für voll genommen - und für junge Menschen ist praktisch nichts wichtiger als der Respekt der Gleichaltrigen. Das sagt diese 3.Str. in verschlüsselter Weise, wie auch am Ende von S2 durch die Erwähnung der Verletzung durch das laute Zwischenmenschliche" schon angedeutet.

Tut mir leid, wenn dir der Text zu wenig deutlich in seinen Aussagen war. Belassen wir es dabei. Oder erwartest du, dass ich sämtliche erlittenen Verletzungen während dieser vier Jahre bis zur Matura mitsamt den Namen der mobbenden Mitschüler aufliste?  ;)
Nee klar, das war jetzt übertrieben. Aber ändern mag ich nichts mehr, und ich schätze auch durchaus, dass es um meine Person wenigstens ein klein wenig kryptisch bleibt.

LG, eKy
Ironie: Ich halte euch einen Spiegel vor, damit wir herzlich lachen können.
Sarkasmus: Ich halte euch einen Spiegel vor, weil ich von euch enttäuscht bin.
Zynismus: Ich halte euch einen Spiegel vor, aber ich glaube nicht mehr an euch.