Autor Thema: Herz brennt  (Gelesen 621 mal)

wolfmozart

Herz brennt
« am: September 07, 2019, 17:26:40 »
Und mein Herz brennt wild und heiß
Seit es von Dir, Liebste, weiß
Wie der Greif gen Himmel fliegt
Hat es Schwingen nun gekriegt
Braucht kein Seil mehr und kein Schild
Und drum brennt es heiß und wild!

Sufnus

Re: Herz brennt
« Antwort #1 am: September 09, 2019, 16:53:41 »
Hi Wolf!

Hier hast Du auf einige formale Aspekte geachtet: Ein gleichmäßiger, durchgängig vierhebig gestalteter Trochäus mit männlichen Kadenzen, die Verwendung sauberer Endreime und eine motivische Verklammerung durch die erste und letzte Zeile.
Aber ich bleibe bei meinem Punkt vom letzten Mal (in unserer Diskussion zu "Unsagbare Welt"), dass sich fast immer ein zweiter und dritter kritischer Blick auf ein gerade aus der Feder geflossenes Gedicht lohnt - außer man ist ein extremes Naturtalent.

So fallen hier ein paar Besonderheiten auf, die - denke ich - zufällig zustande gekommen sind und die Du dann nicht weiter ausgebaut hast.
1. Das Gedicht besteht aus 38 Wörtern (wenn ich mich nicht verzählt habe), von denen nur 3 zweisilbig sind, alle anderen sind einsilbig. Die zweisilbigen Wörter sind Liebste, Himmel und Schwingen. Warum fallen gerade diese drei Wörter aus dem Schema? Würdest Du das Wort "Liebste" als einziges nicht-einsilbiges Wort benutzen, ergäbe sich eine gewisse poetische Aufwertung; hier hast Du m. E. eine Möglichkeit liegen gelassen.
2. In jeder Zeile des Gedichts ist das Herz das Subjekt außer in Z3, da taucht der Greif als Subjekt auf. Damit wird dieses Fabeltierchen mit Bedeutung aufgeladen, die dann nicht eingelöst wird.
3. Es gibt in dem Gedicht ein lyrisches Du, die Liebste, die neben dem Herz wohl eine der Hauptpersonen darstellen soll. Aber dieses lyrische Du wird in Z2 eher nebenbei eingeführt und dann nicht mehr "verwendet", ich würde mit dem lyrischen Du mehr anfangen oder es ganz weglassen.
Natürlich muss nicht jeder dieser drei Punkte zu einem poetologischen Programm ausgebaut werden, aber wenn man etwas darüber meditiert, stellt sich garantiert der ein oder andere weitere Gedanke ein - oft führt eine Idee zur nächstbesseren und am Ende steht dann der originelle Einfall (nicht als Inspiration aus heiterem Himmel sondern gezielt herbei-reflektiert).

Und dann gibt es ein paar Schludrigkeiten, die eigentlich beim ersten Lesen ins Auge springen. Diese korrigierbaren Fehler einfach stehen zu lassen, wirkt lieblos.
1. Gemisches Bild: Erst wird das Feuer als Metapher bemüht dann taucht ein Greif auf, der rein gar nichts mit Feuer zu tun hat. Wenn unbedingt ein Vogelwesen eingebaut werden soll, müsste es der Phönix sein, welcher der Sage nach aus dem Feuer aufsteigt. Etwas ungewöhnlicher wäre meinethalben auch das Bild eines Heißluftballons (das ist eine gewagte Sache, könnte aber schon zu etwas führen). Oder - viel einfacher - Du schreibst von Funken, die in den Himmel aufsteigen - auch damit bleibst Du dem Feuerbild treu.
2. Der Reim "fliegt -gekriegt" ist zwar sauber, aber "gekriegt" ist dermaßen umgangssprachlich, dass es das ganze Gedicht zum Kentern bringt.
3. In Z5 ist völlig unklar, was Seil und Schild hier zu suchen haben. Ein Seil könnte vielleicht noch ein Hilfsmittel beim Aufstieg des Herzens sein (aber das hat ja schon Flügel). Der oder das Schild passt weder zum brennenden noch zum fliegenden Herz. Gerade das Wörtchen Schild ist völlig reimgeschuldet und das ganz ohne Not, weil sich auf wild doch so einiges reimt und - sollte nichts Brauchbares für Dich dabei sein - das wild ja durch jedes x-beliebige andere einsilbige Wort ersetzt werden kann, so dass sich wirklich ein adäquater Schild-Ersatz finden lassen sollte.
4. Die kausale Verknüpfung von Z5 und Z6 ist unlogisch: Warum sollte aus dem Fehlen von Seil oder Schild folgern ("drum"), dass das Herz entflammt ist? Wenn überhaupt, müsste es umgekehrt sein...

Versteh diese kritischen Anmerkungen überhaupt nicht als böswillig, lieber Wolf! Das sind sie ganz und gar nicht - ich sehe nur, dass Du ein wirklich großes Potential hast, das Du bei vielen Gedichten (es gibt ja einige großartige Ausnahmen!) viel zu wenig nutzt. Es ist gar nicht so viel Extraarbeit nötig und schon wird aus einem nicht funktionierenden Gedicht etwas ganz Passables!

LG!

S.




wolfmozart

Re: Herz brennt
« Antwort #2 am: September 14, 2019, 11:37:14 »
Dank dir Sufnus für deinen ausführlichen Kommentar.

Kein Seil soll bedeuten wie du richtig schreibst das Herz braucht keine Hilfe mehr um empor zu kommen, kein Schild bedeutet das Herz muß sich nicht mehr so schützen und kann sich mehr öffnen.

Deine Ausführung hab ich mit Interesse gelesen, ich werd in nächster Zeit wahrscheinlich das eine oder andere übernehmen was mir von deinen Ausführungen als Gewinn erscheint.

Lieben Gruß wolfmozart