Autor Thema: Von obenauf nach untendurch  (Gelesen 1359 mal)

Sufnus

Von obenauf nach untendurch
« am: November 04, 2018, 20:23:12 »
Von obenauf nach untendurch

Die Zinnen glauben an Efeu nicht,
wie's unten rankt und sich windet;
der Fernblick ist schön, doch entbindet
den Fernblicker keineswegs von seiner Pflicht,

dass er auch einmal ins Souterrain schaut:
da fehlt es gewaltig an Licht!
Und halten die unten Gericht,
ist der Turm auf wackligen Steinen erbaut.
« Letzte Änderung: November 04, 2018, 20:35:54 von Sufnus »

Erich Kykal

Re: Von obenauf nach untendurch
« Antwort #1 am: Juni 23, 2021, 23:17:11 »
Von obenauf nach untendurch

Die Zinnen glauben an Efeu nicht,
wie's unten rankt und sich windet;
der Fernblick ist schön, doch entbindet
den Fernblicker keineswegs von seiner Pflicht,

dass er auch einmal ins Souterrain schaut:
da fehlt es gewaltig an Licht!
Und halten die unten Gericht,
ist der Turm auf wackligen Steinen erbaut.

xXx_XxxXx_X
xXx_XxxXx
xXxxXxxXx
xXxxXxxXxxX

xXxxXx_XxxX
xXxxXxxX
xXxxXxxX
xxXx_XxxXxxX


Hi Suf!

Eine ältere Perle deiner Kunst, die mir damals wohl nicht unter die Augen kam. Ich habe mir erlaubt, die Unregelmäßigkeiten aufzuzeigen. Den Kadenzenwechsel der umarmten Zeilen in Str. 2 habe ich zwar bemerkt, rechne ihn aber nicht als Fehler - den doppelten unbetonten Auftakt (fett unterlegt) in S2Z4 (man könnte die Zeile auch XxXxXxxXxxX lesen, aber das wäre ebenso aus dem Takt) allerdings schon, ebenso wie die angezeigten Stellen, wo Silben fehlen für ein ordentliches Regelmaß.

Natürlich weiß ich, dass du das meist nicht so genau nimmst mit der metrischen Ordnung, oft mehr der Satzmelodie verpflichtet als dem klaren Takt, sowie dem saloppen Anspruch der "Moderne", den Rhyrthmus zunehmend aufzulösen.
Dennoch erlaube ich mir - aus (meinem!) Spass an der Freud - eine metrisch "klassische" Version anzubieten:


Die Zinnen, sie glauben ans Efeublatt nicht,
wie's unten sich rankt und sich windet;
der Fernblick ist schön, doch entbindet
den Fernblicker keineswegs von seiner Pflicht,
auch wenn er sie ungern empfindet,

dass er auch einmal in sein Souterrain schaut:
da fehlt es gewaltig an Licht!
Und halten die unten Gericht:
Das Turmrund, auf wackligen Steinen erbaut,
erträgt solchen Schattendruck nicht.

xXxxXxxXxxX
xXxxXxxXx
xXxxXxxXx
xXxxXxxXxxX
xXxxXxxXx

xXxxXxxXxxX
xXxxXxxX
xXxxXxxX
xXxxXxxXxxX
xXxxXxxX


Eine Mahnung an die Mächtigen hoch droben in ihrem "Elfenbeinturm", die "Basis" nicht zu vergessen, die Fundamente zu pflegen und rechtzeitig das Unkraut zu jäten, ehe es diese destabilisiert.


Sehr gern gelesen und damit gespielt!  :)

LG, eKy

Ironie: Ich halte euch einen Spiegel vor, damit wir herzlich lachen können.
Sarkasmus: Ich halte euch einen Spiegel vor, weil ich von euch enttäuscht bin.
Zynismus: Ich halte euch einen Spiegel vor, aber ich glaube nicht mehr an euch.

Sufnus

Re: Von obenauf nach untendurch
« Antwort #2 am: Juni 24, 2021, 16:14:22 »
Lieben Dank eKy für freundliche "Revanche", sprich: Reanimierung eines meiner versunkenen Texte. :)
Ein metrisch gleichmäßiges Schreiben fällt mir nicht schwerer, als ein Abfassen in freierer Metrik und ich denke fast, dass die Mehrzahl meiner Gedichte hier metrisch regelmäßig "gebaut" sind (jedenfalls ist ihr Anteil substantiell). Auch merke ich ja desöfteren bei Texten anderer Wiesenbewohner metrische Ungleichgewichte an. Insofern bin ich kein durchgängiger Advokat einer metrisch "saloppen" Schreibe. Wann, welche Schreibweise die "richtige" ist, scheint mir eines der Kernprobleme beim verfassen guter Gedichte zu sein, und eine prägnante Formel, die bei der Entscheidung wie nun das beste Vorgehen ist, ob streng nach Metrum oder mit leichten Abweichungen oder in freier Rhythmik oder mit völlig zertrümmerter Sprachstruktur, so eine Formel wüsste ich bis dato nicht.
Nebenbefundlich hege ich übrigens bei diesem Gedicht ernste Zweifel, ob es als akzeptabel gelungen zu werten ist - ich glaube persönlich, dass es eines meiner schwächsten Gedichte hier auf der Wiese ist. Irgendwie ein bissel krampfig und im wahrsten Sinne von "oben herab" gesprochen. Also... ich glaub, von meiner subjektiven Warte aus betrachtet, ist das ist eher ein Patient als ein Gedicht. ;)
Ich bin aber überzeugt, dass einige meiner Gedichte, die ich für eher missraten halte, durchaus Freunde finden können und umgekehrt das ein oder andere Poem, das mir ganz gut gelungen vorkommt, auf mehrheitliche Ablehnung stoßen mag. Eigentlich eine spannende Sache mit der unterschiedlichen Wahrnehmung. :)
LG!
S.

Erich Kykal

Re: Von obenauf nach untendurch
« Antwort #3 am: Juni 24, 2021, 16:26:35 »
Hi Suf!

Betrachte statt des "meist" in obigem Kommi ein "bisweilen" gesetzt. Da habe ich mich wohl verstiegen, vielleicht weil ich in letzter Zeit eher mehrheitlich frei Gestaltetes von dir gelesen habe. Dass du das Fach beherrschst, weiß ich natürlich.

LG, eKy


PS: Schon dies gelesen? - http://www.dielyrik-wiese.de/lyrik-wiese/index.php?topic=8726.0
« Letzte Änderung: Juni 24, 2021, 16:48:49 von Erich Kykal »
Ironie: Ich halte euch einen Spiegel vor, damit wir herzlich lachen können.
Sarkasmus: Ich halte euch einen Spiegel vor, weil ich von euch enttäuscht bin.
Zynismus: Ich halte euch einen Spiegel vor, aber ich glaube nicht mehr an euch.

gummibaum

Re: Von obenauf nach untendurch
« Antwort #4 am: Juni 25, 2021, 13:19:24 »
Schönes Bild, lieber Sufnus,

für gesellschaftliche Ungleichheit und Revolte oder das Sprichwort Hochmut kommt vor dem Fall.

Sehr gern gelesen.

Grüße von gummibaum


Sufnus

Re: Von obenauf nach untendurch
« Antwort #5 am: Juni 25, 2021, 16:39:44 »
Hi eKy!
Alles fein - ich wollte meine positive Einstellung auch gegenüber metrisch regelmäßiger Schreibe mehr für die Allgemeinheit betonen.
Wann ich persönlich nun einen sauber durchdeklinierten fünfhebigen Jambus für "richtig" halte, wann ich stattdessen eher ein locker synkopiertes Schreiben mit eingestreuten Doppelsenkungen präferiere und wann ich zum Vorschlaghammer greife und die Melodie kurz und klein haue, das ist tatsächlich noch eine Frage, die ich nicht ganz nachvollziehbar begründen kann... aber ich arbeite noch an einer Erklärung. :)

Und Grüße auch an gum!
... nebst liebem Dank für das Lob! Ja... es ist ein gesellschaftskritisch gemeintes Gedicht, aber ich muss sagen, dass ich in diesem Fach, rein von der sprachlichen Fertigkeit, nicht unbedingt zu Hochform auflaufe... bin ich doch ein hoffnungsloser Eskapist? Will ich mal micht hoffen. :)

LG!
S.


« Letzte Änderung: Juni 25, 2021, 16:41:47 von Sufnus »

Erich Kykal

Re: Von obenauf nach untendurch
« Antwort #6 am: Juni 25, 2021, 20:42:33 »
Hi Suf!

Geht mir auch so - bis heute kann ich nicht sagen, warum sich etwas in mir für welche Form entscheidet, wenn ein Werk in mir "aufwallt"! Wohl eine Mischung aus Grundstimmung dabei und der Formulierung des Einstiegs, sowie der Art der Wort- und Reimfindung in der ersten Strophe, die dann den Rest definiert.
Aktiv nachdenken tue ich darüber jedenfalls nicht beim Schreiben.

LG, eKy
Ironie: Ich halte euch einen Spiegel vor, damit wir herzlich lachen können.
Sarkasmus: Ich halte euch einen Spiegel vor, weil ich von euch enttäuscht bin.
Zynismus: Ich halte euch einen Spiegel vor, aber ich glaube nicht mehr an euch.

Agneta

  • Gast
Re: Von obenauf nach untendurch
« Antwort #7 am: November 01, 2021, 17:43:20 »
in der Tat kann das Efeu die Zinnen beschädigen, der Turm erwartet das nicht. Nach unten schauen erhöht auch die Bodenhaftung.
LG von Agneta