Autor Thema: Spätherbst  (Gelesen 677 mal)

Erich Kykal

Spätherbst
« am: Oktober 26, 2020, 09:02:43 »
Die Blätter gilben schon und wirken kränklich,
der Morgennebel zeichnet alles weich.
Dem Welkenden darin ist alles gleich,
es fault und stirbt dahin und riecht bedenklich.

Das Haupthaar vieler Bäume wird schon schütter,
gealtert harren sie der kalten Zeit.
Nur die Kastanie hält sich bereit
für kleine Kinderlein und deren Mütter.

Die Sonne wärmt nur noch auf dunklen Stoffen,
wenn sie das feuchte Nebelmeer durchdringt.
Dahin der Sommer, es verbleibt ein Hoffen,

dass früher Frühling bald den Schnee bezwingt.
Bis dahin steht dem Winter alles offen,
was ihm an Frost und Eisgeklirr gelingt.
« Letzte Änderung: Oktober 26, 2020, 18:00:18 von Erich Kykal »
Ironie: Ich halte euch einen Spiegel vor, damit wir herzlich lachen können.
Sarkasmus: Ich halte euch einen Spiegel vor, weil ich von euch enttäuscht bin.
Zynismus: Ich halte euch einen Spiegel vor, aber ich glaube nicht mehr an euch.

Sufnus

Re: Spätherbst
« Antwort #1 am: Oktober 26, 2020, 15:58:32 »
Hi eKy!
Wies der Zufall will: Da hab ich andernorts in meinem Faden zu traditioneller Lyrik das Thema Herbst bemüht und Du lieferst hier ein schönes Stück mit einer Herbstlyrik ab, die erfolgreich die große Klippe der "Deutung" umschifft. :)
Es ist ein schwer überwindlicher Reflex von uns Dichtern, dass wir der Suggestionskraft von Bildern oft allzusehr misstrauen und nach der Vorstellung des primären Sinneseindrucks auch gleich noch die finale Ausdeutung abliefern. Also ein Gedicht nach dem Muster: Draußen ist es Herbst, der Natur geht es ganz schlecht (primäres Bild) - und genauso schlecht geht es auch mir, weil es unaufhaltsam bergab mit mir geht (Deutung).
Diesen Kardinals"Fehler" hast Du genau nicht gemacht. Du bleibst bei der Natur, die zwar durch ihre Vermenschlichung (Kränklichkeit, Haarausfall) die Übertragung des Geschehens von der natürlichen zur menschlichen Ebene nahe legt, aber das führst Du eben genau nicht aus. Damit belässt Du dem Leser die Autonomie sich aus Deinem Bild das herauszupicken, was bei ihm persönlich haften bleibt (vielleicht ist es ja das tröstliche Bild der kastaniensammelnden Familie). :)
Also kein großes sufnöses Gemecker - nur zwei Korinthen:
- Wiederholung von "wirken" in S1 und S2. Vorschlag: S2Z1: Das Haupthaar vieler Bäume ist so schütter,
- Metrische Karambolage bei der Kastanie in S2Z3, die sich Kastánié sprechen lassen müsste, um im Jambus zu bleiben. So wie es in der Zeile dasteht, ist es eigentlich ein astreiner Daktylus.
Davon ab gefällt es mir aber sehr - das "riecht bedenklich" trifft sogar in bemerkenswerter Weise mein Humorempfinden... Schadenfreude gar beim Leser (=S.)?! Das arme Laub! Naja... eigentlich mag ich Laub und Laubgeruch. :)
LG!
S.

Erich Kykal

Re: Spätherbst
« Antwort #2 am: Oktober 26, 2020, 17:59:51 »
Hi Suf!

Da bin ich rechtschaffen erleichtert, dass ich nicht in diese Falle gegangen bin (obwohl ich der Ehrlichkeit halber anmerken muss, dass es durchaus einige frühere Gedichte von mir zum Herbst geben mag, die in exakt die von dir umrissenen Falle gegangen sind).

Die von dir monierte Zeile betone ich so:

Nur die Kastanie hält sich bereit

Das doppelte "wirken" wird gleich entfernt! Danke für den Hinweis.

LG, eKy
« Letzte Änderung: Oktober 27, 2020, 19:16:59 von Erich Kykal »
Ironie: Ich halte euch einen Spiegel vor, damit wir herzlich lachen können.
Sarkasmus: Ich halte euch einen Spiegel vor, weil ich von euch enttäuscht bin.
Zynismus: Ich halte euch einen Spiegel vor, aber ich glaube nicht mehr an euch.

Jana

Re: Spätherbst
« Antwort #3 am: Oktober 28, 2020, 11:57:41 »
Hallo eKy,

ein wunderschönes und sehr bildliches Sonett! Von dir ist man aber ja auch nichts anderes gewohnt. Ich finde die Personifikation der Natur unfassbar gelungen.
Ich stolpere einzig und allein ein bisschen über die Wiederholung von alles im ersten Quartett, die aber ja vielleicht auch gewollt ist und nur mir persönlich nicht so sehr zusagt. Ein Vorschlag meinerseits wäre es, alles in V2 zu ersetzen, beispielsweise: der Morgennebel zeichnet Wälder weich,

Sehr gerne gelesen und liebe Grüße!
Jana

Erich Kykal

Re: Spätherbst
« Antwort #4 am: Oktober 28, 2020, 12:09:17 »
Hi Jana!

Betrachte das wiederholte "alles" mal als eine Art Reimverstärkung, sozusagen eine Gleichklangsunterstützung: "alles weich/alles gleich". So ist es gedacht.

An sich gebe ich dir unumwunden recht - auch ich schätze Wortwiederholungen im selben Gedicht eigentlich überhaupt nicht - aber hier scheint es mir irgendwie zu passen. Dabei könnte ich es nicht mal wirklich logisch erklären, ist nur so ein Gefühl meines Gespürs ...  :-\

Was ich auch zu vermeiden suche, sind bestimmte (und zuweilen recht seltsame) Begriffe, die ein Dichter insgesamt in seinem Werk immer wieder verwendet, bis man es nicht mehr hören/lesen kann. Ein gutes Beispiel ist bei Hermann Hesse das Wort "Glast" - darauf reitet er zeitweilig geradezu herum, hat man das Gefühl, wenn man sein Gesamtwerk liest.

Gewisse Phrasierungen wiederholen sich leider auch bei mir immer wieder mal, wie ich festgestellt habe. Was soll man machen, wenn sie einem so gut gefallen? Sie sind auch irgendwie wie eine Art Markenzeichen - nur zu oft sollte man sie eben nicht hervorkramen ...

Vielen Dank für deine freundlichen Einlassungen!  :)

LG, eKy



Wen's interessiert: Seit 2 Jahren unkommentiert:  http://www.dielyrik-wiese.de/lyrik-wiese/index.php?topic=6864.0
« Letzte Änderung: Oktober 28, 2020, 21:42:01 von Erich Kykal »
Ironie: Ich halte euch einen Spiegel vor, damit wir herzlich lachen können.
Sarkasmus: Ich halte euch einen Spiegel vor, weil ich von euch enttäuscht bin.
Zynismus: Ich halte euch einen Spiegel vor, aber ich glaube nicht mehr an euch.