Autor Thema: Spur und Vermächtnis  (Gelesen 1541 mal)

Sufnus

Spur und Vermächtnis
« am: August 08, 2018, 11:48:06 »
Weils thematisch zu ebig eingestelltem "Wo ist Dein Stachel?" so ungefähr passt, hier auch noch mal etwas leicht modifiziertes Älteres aus anderen Untiefen des Netzes ;) ...

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Spur und Vermächtnis

Wir stehen erstarrt am Ufer,
Stimme im innigen Sang,
mittellose Rufer,
seit die Lyra zersprang.

Und auf dem Spiegel zerkrausen
Wellen, Idol und Poet,
doch zeigt, zwischen Steigen und Pausen,
die Lichtspur sich nochmals beredt:

Fernüber wird immer, was schön ist, bestehn,
zwar nicht in gerahmten Bildern,
jedoch in der Klage, im Schildern.

Wir gleichen, in solchem Sinne besehn,
den Pollen, die golden im Windhauch verwehn.


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eKys Sonett-Version:


Spur und Vermächtnis

Wir stehen starr am Ufer
als Stimmen im Gesang,
sind mittellose Rufer -
die Lyra, sie zersprang.

Und auf dem Spiegel tanzen
die Wellen, der Poet,
so zeigt im großen Ganzen
die Lichtspur sich beredt:

Was schön ist, wird bestehen,
jedoch in keinen Bildern -
im Klagen nur, im Schildern.

Wir gleichen, so besehen,
den Pollen, die verwehen
von Pflanzen, die verwildern.
« Letzte Änderung: August 08, 2018, 16:07:28 von Sufnus »

Erich Kykal

Re: Spur und Vermächtnis
« Antwort #1 am: August 08, 2018, 13:37:23 »
Hi Suf!

Ein sehr schöner, elegischer Text mit höchst lyrischer Wortfindung. Ein - im wahrsten Wortsinne - Gedicht!  ;) :)

Ein paar Kleinigkeiten:

Auftaktmäßig hast du dieses Schema: ubbb - ubuu - uuu - uu
Du erkennst das Ungleichgewicht. Die Vierzeiler solltest du unbedingt einander angleichen, damit ein klarer Takt, eine regelmäßige Abfolge entstehen, die dem Leser zeigt, dass dieses Schema so GEWOLLT ist.

In S1Z4 gibt es einen Senkungsprall auf "Lyra zersprang".

Dein Hebungsschema lautet hier: 3333 - 3343 - 433 - 44
Du erkennst das Ungleichgewicht. Auchhier wäre eine geordnete Abfolge wünschenswert, wann man schon wechselt.

Ich versuche mal was:

Wir stehen starr am Ufer
als Stimmen im Gesang,
sind mittellose Rufer -
die Lyra, sie zersprang.

Und auf dem Spiegel tanzen
die Wellen, der Poet,
so zeigt im großen Ganzen
die Lichtspur sich beredt:

Was schön ist, wird bestehen,
jedoch in keinen Bildern -
im Klagen nur, im Schildern.

Wir gleichen, so besehen,
den Pollen, die verwehen
von Pflanzen, die verwildern.


So bekommen wir eine dreihebige Sonettform mit unbetontem Auftakt. Silbenschema: 7676 - 7676 - 777 - 777, Kadenzen: wmwm - wmwm - www - www

Natürlich darfst du einwenden, dass du dich eben nicht an "starre" Formen halten willst. Ich habe nichts dagegen, wenn du deinen Text oben nicht änderst. So ist er auch "okay". Für mich entstehen lyrische Harmonie und "Gleichklang" in seiner poesievollsten Ausprägung aber eben so: In der klaren, nachvollziehbaren Abfolge von Takt und Kadenz, dem rhytmischen Wiegen der vollendeten Sprache darin.
Hier wollte ich dies nur demonstrieren, sozusagen als Vergleichsmöglichkeit, nicht als sich aufdrängen wollende Korrektur. Ich bitte dich, das so zu betrachten.

Gern gelesen und "beklugscheißert"!  ;) :)

LG, eKy
Ironie: Ich halte euch einen Spiegel vor, damit wir herzlich lachen können.
Sarkasmus: Ich halte euch einen Spiegel vor, weil ich von euch enttäuscht bin.
Zynismus: Ich halte euch einen Spiegel vor, aber ich glaube nicht mehr an euch.

Sufnus

Re: Spur und Vermächtnis
« Antwort #2 am: August 08, 2018, 15:59:46 »
Hey eKy!
Vielen Dank für die wirklich schöne Variante! :) Es ist mir eine Ehre, Deine Fassung der meinen beizugesellen! :)
Wie Du Dir bestimmt schon gedacht haben wirst, werde ich meine Version dabei lieber metrisch etwas widerborstiger belassen - zumal ja Deine schöne Fassung dann als ebenmäßigerer Vergleich dienen kann - ich finde, metrisch etwas unebenmäßige Gedichte erlauben mehr Freiheit beim mündlichen Vortrag mit sehr interessanten Effekten. Der Preis ist natürlich ein Verlust an ruhigem, "klassischem" (nicht im Sinne der literarischen Epoche zu verstehen) Atem. Deshalb finde ich es so gut, wenn es beide Schreibrichtungen gibt und ich schreibe ja dann und wann auch ganz und gar regelmäßige Zeilen. :)
Liebe Grüße!
S.

cyparis

Hallo, Sufnus -
« Antwort #3 am: August 10, 2018, 07:57:54 »
ich neige sehr zur widerborstigen Fassung,
obwohl Erichs Glättung auch etwas für sich hat (auch manche meiner Gedichte sind in den Genuß bekommen).
Bis auf die beiden versöhnlichen Verse am Gedichtende ein sehr traurig stimmendes Gedicht, bannend!

Lieben unprofessionellen Gruß
von
Cyparis 

Ein Gedicht zum Abkühlen oder zum Brennen:


Das schwarze Ufer - Lethe? - ist erreicht,
Fährmann flößt sein dunkles Boot
neuen Sternen, neuem Traum entgegen.
S e i n e Seele, die so keiner andern gleicht,
schwingt sich auf in neues Rot,
hinauf zu süßen grünen Wegen,
die paradiesisch glühen.

Sein wehes Herz hat aufgehört, zu schlagen,
sein volles Dasein - unerfüllt!!! -
ward ihm allein zur Qual.
Er hört sie nicht, all diese Klagen,
die Wünsche, die ihm ungestillt
in diesem leeren Jammertal
so bittre Tränen zugetragen,
so viele qualgefüllte Mühen.

Er ist nun da, ist angekommen,
wo ihn das Leid nicht mehr beschwert.
Kein böses Wort trübt seinen Blick
in sanfte, jetzt nicht mehr gezählte Tage!
Was er mir gab, hat er genommen,
von seiner Fülle mir das Herz geleert,
läßt mir die Wunden nur zurück,
die er geschlagen.

Er ist daheim. Er geht durch seine Reben,
umhüllt mit Liebe seinen Schritt
hinein ins leuchtende Gefild
mit immerwährend vollem Geben:
und läßt mit Tritt um ewgen, ewgen Tritt
weit hinter sich
mein bitteres Verzagen.



« Letzte Änderung: August 10, 2018, 08:43:05 von cyparis »
Der Schönheit treu ergeben
(Lady Anne von Camster & Glencairn)
copyright auf alle Texte

Sufnus

Re: Spur und Vermächtnis
« Antwort #4 am: August 10, 2018, 11:20:39 »
Hi cyparis!
Vielen lieben Dank für Deine lobenden Worte! :) Hoffentlich hat mein Versuch übers metrische Synkopieren (ich bin sehr dankbar, dass mit eKys Hilfe eine Reinfassung daneben gestellt werden kann) (hab ich eigentlich schon mal erwähnt, dass ich manchmal Schwierigkeiten habe, meine Gedanken zu sortieren)...  8) hm... wo war ich stehengeblieben? Da: Hoffentlich hat dieser Versuch Dich nicht in nachhaltig traurige Stimmung versetzt!!!
Und magst Du Dein so wunderschönes Gedicht :) nicht extra einstellen?
Liebe Grüße!
S.

cyparis

Re: Spur und Vermächtnis
« Antwort #5 am: August 13, 2018, 11:08:25 »
Lieber Sufnus,

danke für die Blumen!
Das Gedicht hatte ich vor Jahren schon eingestellt - es war also nur eine Rotation! ;)

Mein lyrischer Born ist längst versiegt.

Lieben Gruß
von
Cyparis
Der Schönheit treu ergeben
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Sufnus

Re: Spur und Vermächtnis
« Antwort #6 am: August 13, 2018, 12:01:39 »
Liebe Cyparis! :)
An einen versiegten cyparischen Born fällt mir schwer, so recht zu glauben, wenn ich an Dein wirklich wunderbares Gedicht "Stumm" denke. Aber ich kann mich gut einfühlen, dass Du Dich wohl öfters müde fühlst - ich denke aber, dass die Beschäftigung mit der Lyrik, das Wiederlesen älterer Zeilen oder ein paar, womöglich ganz rasch aus einem Augenblicksimpuls hingeworfene Zeilen, immer auch eine Kraftquelle ist. :)
Liebe Grüße!
S.

cyparis

Re: Spur und Vermächtnis
« Antwort #7 am: August 15, 2018, 10:06:24 »
Lieber Sufnus,

Du hast den Nerv getroffen und gut erkannt:
Das Gedicht "Stumm" ist etwa 2007 entstanden. Alles, was ich jetzt einstelle, ist alt.
Mehr als Anfangsverse gelingen mir nicht mehr.
Es gibt eine Erklärung (keine Ausrede!): Die leider nötigen Morphiumtabletten lähmen fast alle Aktivitäten. Energie ist zum Fremdwort geworden (könnte als Anfangsvers taugen ;D).

Hab herzlichen Dank für den aufbauenden Kommentar
von
Cyparis
Der Schönheit treu ergeben
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Sufnus

Re: Spur und Vermächtnis
« Antwort #8 am: August 15, 2018, 11:52:47 »
Hi Cyparis,
vielleicht sollte ich auch öfter nach einem Anfangsvers einfach aufhören und es aushalten, wenn eine Idee Fragment bleibt.
Das Fragment ist oft schöner als ein mühsam mit Sprachkitt zu einem "Ganzen" verspachteltes Worthülsengebilde... ich hoffe, dass mir irgendwann einmal ein schönes Fragment gelingt, dem dann jeder Leser seine eigenen Gedanken beigesellen kann. :)

Was hältst Du von folgender Idee, Dein schönes Gedicht zu präsentieren (es braucht wirklich nicht mehr als einen "Anfangsvers")? :)



Symmetrie und Erhaltung

für Emmy Noether

Energie ist zum
Fremdwort geworden
Energ


Agneta

  • Gast
Re: Spur und Vermächtnis
« Antwort #9 am: September 05, 2018, 10:15:18 »
schöne Poesie, Sufnus.
Obwohl die Tiefe und Schwere mit den Pollen etwas verflacht...Finde ich.
LG von Agneta