Autor Thema: Meine Schere  (Gelesen 1187 mal)

gummibaum

Meine Schere
« am: M?RZ 02, 2014, 12:31:17 »

Auf meinem Schreibtisch grätscht sie schon die Schenkel,
ein Schräubchen in des Winkels Scheitelpunkt.
Ich stecke ihr zwei Finger durch die Henkel,
wie man den Spieß mit Fleisch in Soße tunkt.

Dann hebe ich sie von der harten Platte
und öffne ihre Schenkel etwas mehr.
Ich zeige ihr, wen ich im Sinne hatte,
ein bleiches Opfer ohne Gegenwehr.

Sie reagiert, umschließt das Blatt und schneidet,
indem sie wiederholt die Grätsche schließt.
Ich weiß nicht, ob das weiße Opfer leidet,

das zweigeteilt von ihrer Schneide fließt.
Der Schnitt ist glatt und unser Schauen weidet
sich an dem Akt, aus dem Gemeinschaft sprießt.

Erich Kykal

Re:Meine Schere
« Antwort #1 am: M?RZ 02, 2014, 15:24:19 »
Hi, Gum!

Interessante Thematik mit wundervollen Sprachbildern, zB. "Scherenschenkel" und das "weiße Opfer, das zweigeteilt von der Schneide fließt" - unverbraucht und höchst originell!

Einzig bei der Conclusio habe ich meine Probleme, wo du etwas so Trennendes wie den Scherenschnitt als einen Akt der Gemeinschaft darstellst. Das Problem dabei ist für mich nicht die Herleitung - die ist klar: Gemeint ist das gemeinschaftliche Zusammenarbeiten der Scherenschenkel.
Zum einen dahingehend etwas schizophren, da man die Schere hier sowohl als Einheit sehen soll (Schenkel wie bei einer Frau), als auch als Zwiegespann, das zusammenarbeiten muss.
Zum anderen steht hier der Akt des Trennens eindeutig im Vordergrund, also das Ergebnis der Zusammenarbeit, die ein etwas Teilendes ist, was dem angesprochenen Akt der Gemeinschaftlichkeit entgegensteht, ja praktisch gegenteilig ist! Das beißt sich - scherenschnittig geradezu, um im Bild zu bleiben!

Ich hätte mir also hier eine "passendere" Conclusio gewünscht. Diese hier erscheint mir zu indifferent, ja, gar aus dem aufgebauten lyrischen Bilde reißend. Das ist allerdings ein subjektiver Eindruck meinerseits. Mag sein, dass andere das anders bewerten.

Sehr gern gelesen!

LG, eKy
Ironie: Ich halte euch einen Spiegel vor, damit wir herzlich lachen können.
Sarkasmus: Ich halte euch einen Spiegel vor, weil ich von euch enttäuscht bin.
Zynismus: Ich halte euch einen Spiegel vor, aber ich glaube nicht mehr an euch.

gummibaum

Re:Meine Schere
« Antwort #2 am: M?RZ 02, 2014, 17:19:03 »
Hallo Erich,

danke für deinen Kommentar. Zur Conclusio: Das LI fragt sich eben noch, ob das Papier leidet, wendet sich dann aber, von der Ästhetik des Schnittes berührt, gemeinsam mit der Schere dem von ihnen vollbrachten, die Geinschaft bezeugenden, Akt zu. Für mich ist das klar, aber vielleicht übersehe da etwas?

Freue mich auf dein nächstes Gedicht und wünsche noch einen schönen Tag.

Lieben Gruß gummibaum


cyparis

Re:Meine Schere
« Antwort #3 am: M?RZ 02, 2014, 19:49:56 »
Lieber Gummibaum -


ich staune immer wieder über Deine riesengroße Begabung, den Alltagsgegenständen so viel Leben einzuhauchen.
Wenn ich bei Schenkeln auch an "spreizen" denke - warum nicht grätschen?
Ich glaube, die Bedeutung ist gleich.
Kongruent?

Das Bild steht so deutlich vor mir, daß ich in meiner Bleistiftschale nachgesehen habe, ob meine Schere noch da ist. ;)

Wieder unerreicht!


Auch für
Cyparis
Der Schönheit treu ergeben
(Lady Anne von Camster & Glencairn)
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gummibaum

Re:Meine Schere
« Antwort #4 am: M?RZ 02, 2014, 22:47:25 »
Hallo Cyparis,

die Schenkel finden sich beim Menschen und in der Geometrie und die Schere hat sie pur. Sie steht als Werkzeug so in der Mitte zwischen den andern Bereichen, kann aus ihnen schöpfen und in sie verweisen. Ich werde das Grätschen vielleicht noch durch Spreizen ersetzen, mal sehen. Ersteres war mir beim Schreiben lieber, um in der Überlagerug von Schere und weiblichem Körper nicht zu weit zugehen.

Alles Liebe
gummibaum