Autor Thema: Beharren  (Gelesen 1704 mal)

Erich Kykal

Beharren
« am: Mai 31, 2014, 12:33:57 »
Es macht so manches Volk ein groß Getöse,
weil es verharren will in seinen Bahnen,
weil seine Grenzen zwischen Gut und Böse
verbleiben sollen wie bei seinen Ahnen.

Die Frau, die sich verweigert, darf man schänden
mit Spott, mit Säure, mit der eignen Lust!
Man wäscht das Blut von tausenden von Wänden.
Mann war im Recht und hat es stets gewusst!

Verstümmeln sollst du deine kleinen Kinder,
und dann vernähen ihre wunde Scham!
Verkaufe sie wie schlachtbereite Rinder
an jeden, der mit Gaben zu dir kam.

Die Sünderhand soll man dem Diebe nehmen,
lebt er auch erst ein Dutzend arme Jahre!
So neigen schwache Geister zu Extremen,
wird ihre kleine Welt die "einzig Wahre"!

Es macht so manches Volk ein groß Getöse,
will man an Traditionen sich vergreifen,
weil jede Grenze zwischen Gut und Böse
nur so gerecht ist, wie wir es begreifen.
« Letzte Änderung: Mai 31, 2014, 18:28:15 von Erich Kykal »
Ironie: Ich halte euch einen Spiegel vor, damit wir herzlich lachen können.
Sarkasmus: Ich halte euch einen Spiegel vor, weil ich von euch enttäuscht bin.
Zynismus: Ich halte euch einen Spiegel vor, aber ich glaube nicht mehr an euch.

gummibaum

Re:Beharren
« Antwort #1 am: Mai 31, 2014, 14:33:17 »
Lieber Erich,

du hast gleich mehrere der irrwitzigen Grausamkeiten aufgegriffen und angeprangert und eine schlüssige Begründung gegeben:

"So neigen schwache Geister zu Extremen,
wird ihre kleine Welt die "einzig Wahre"!

An anderer Stelle hast gezeigt, dass es im Grunde um rücksichtslose Sicherung von Macht geht, die nur religiös verbrämt wird.

Mir gefällt das Gedicht auch sprachlich sehr gut.

LG gummibaum

Erich Kykal

Re:Beharren
« Antwort #2 am: Mai 31, 2014, 18:41:27 »
Hi, Gum!

Danke für deinen Zuspruch! Der Kernsatz dieses Gedichtes sind die beiden letzten Zeilen. Was man nie kennengelernt hat, kann man nicht objektiv einordnen. Einem Menschen, der in einem menschverachtenden Gewaltsystem mit drakonischen Strafen für Abweichler aufgewachsen ist und vielleicht sogar in seinem Sinne erzogen wurde, wirst du kaum klar machen können, was es mit Mitgefühl und Rücksicht auf sich hat und wofür diese Eigenschaften gut sein sollen. In einer Kultur der Gnadenlosigkeit und absoluten Intoleranz wären solche Charakterzüge karriereabträglich, ja lebensgefährlich!
Wer immer in einer Steinzeitkultur gelebt hat, kann die "Segnungen" moderner Zivilisation nicht begreifen. Er nützt sie gerne aus (wenn da einer schon so blöd ist, mir was zu spenden, ohne mich zu kennen ...), versteht aber nicht, dass so eine Lebensweise auf Gegenseitigkeit beruht - er also auch seinen Teil leisten müsste, damit es funktioniert. Aus einem Denksystem stammend, dass jede Gelegenheit gnadenlos ergreift, um nur das eigene Fortkommen und Überleben zu sichern, weil sich außerhalb der Familien und Clans - und manchmal selbst dort - eben alle so verhalten, wurde er nur zu einem rücksichtslosen Parasiten. Diese Leute denken in zu beschränkten Kreisen, um das übergeordnete Ganze zu erfassen. Da heißt es eben immer: ICH gegen die Welt, oder WIR gegen Wasauchimmer. Das zieht sich dann durch alle Strukturen, von der Einzelperson bis hin zur offiziellen Politik ganzer Staaten.
Schau, wieviele Europagegner es IN Europa gibt - wir sind kaum anders, kaum weiter. Wir kaschieren es nur besser.

LG, eKy
« Letzte Änderung: M?RZ 26, 2021, 10:00:35 von Erich Kykal »
Ironie: Ich halte euch einen Spiegel vor, damit wir herzlich lachen können.
Sarkasmus: Ich halte euch einen Spiegel vor, weil ich von euch enttäuscht bin.
Zynismus: Ich halte euch einen Spiegel vor, aber ich glaube nicht mehr an euch.

gummibaum

Re:Beharren
« Antwort #3 am: Mai 31, 2014, 21:40:54 »
Ja, so ist es. Ich habe so Erfahrungen z.B. in Ägypten und Indien gemacht, wo manche Muslime fanden, dass deutsche Frauen nur Nutten sind. Aber sie hatten zum Teil keine Scheu, diese trotz Gegenwehr rücksichtslos zu betatschen. Es sind natürlich nicht alle Männer gleich, Erziehung und Bildung haben immer Einfluss.

LG gummibaum

Erich Kykal

Re:Beharren
« Antwort #4 am: Juni 01, 2014, 09:16:50 »
Du hast Recht - verallgemeinern darf man nie! Das ist auch ein wesentliches Grundübel der Menschheit, das mit Bildungsferne und Intoleranz einhergeht. Ich würde sogar so weit gehen, dies als die wahren apokalyptischen Reiter zu bezeichnen:

Angst, Intoleranz, Verallgemeinerung und Unwissenheit.

Meines Erachtens richtiger als das klassische Modell: Tod, Krieg, Hunger und Pestilenz. Da sind doch die letzteren Drei nur Verursacher von Nummer eins, dem Tod. Unlogisch.

LG, eKy
« Letzte Änderung: August 28, 2020, 12:40:09 von Erich Kykal »
Ironie: Ich halte euch einen Spiegel vor, damit wir herzlich lachen können.
Sarkasmus: Ich halte euch einen Spiegel vor, weil ich von euch enttäuscht bin.
Zynismus: Ich halte euch einen Spiegel vor, aber ich glaube nicht mehr an euch.

gummibaum

Re:Beharren
« Antwort #5 am: Juni 01, 2014, 13:34:28 »
Man muss mit der Zeit gehen. Die Topographie der Unglücksquellen wandelt sich.

LG g

cyparis

Re:Beharren
« Antwort #6 am: Juni 09, 2014, 13:18:57 »
Lieber Erich -

Dein Gedicht hat in mir eine lediglich schlummernde Wut hochkommen lassen.

Der Kernsatz dieses Gedichtes sind die beiden letzten Zeilen. Was man nie kenngelernt hat, kann man nicht objektiv einordnen. Einem Menschen, der in einem menschverachtenden Gewaltsystem mit drakonischen Strafen für Abweichler aufgewachsen ist und vielleicht soagr in seinem Sinne erzogen wurde, wirst du kaum klar machen können, was es mit Mitgefühl und Rücksicht auf sich hat und wofür diese Eigenschaften gut sein sollen. In einer Kultur der Gnadenlosigkeit und absoluten Intoleranz wären solche Charakterzüge karriereabträglich, ja lebensgefährlich!
Wer immer in einer Steinzeitkultur gelebt hat, kann die "Segnungen" moderner Zivilisation nicht begreifen. Er nützt sie gerne aus (wenn da einer schon so blöd ist...), versteht aber nicht, dass so eine Lebensweise auf Gegenseitigkeit beruht -


Was könnte ich dem noch hinzufügen?

SPIEGEL # 23, Seite 80 (Auszug)
In Uttar Pradesch wurden in der letzten Woche zwei Mädchen von mehreren Männern vergewaltigt, stranguliert und an einem Mangobaum aufgehängt.


Und das, nachdem Indien eine gesetzliche Änderung (Achtung der Frauen und ihrer Rechte) versprochen hatte.


Um ehrlich zu sein:
Mir fehlen die Worte.


Möge Dein Gedicht ein Fanal sein!



Cyparis
Der Schönheit treu ergeben
(Lady Anne von Camster & Glencairn)
copyright auf alle Texte

Erich Kykal

Re:Beharren
« Antwort #7 am: Juni 09, 2014, 20:35:31 »
Hi, Cypi!

Wer die indische Kultur aus Filmen und Geschichten kennt, möchte gar nicht glauben, wie beinhart patriarchalisch diese Kultur hinter den bunten Seidentüchern und farbensprühenden Tempeln ist, wie zutiefst menschenverachtend das rigide Kastensystem. Aber seit die Welt via Internet langsam zusammenwächst, haben es solche versteinten Kulturprägungen schon schwerer: Überall regt sich Widerstand, weil die Leute an unzähligen Beispielen sehen können, das es auch anders - und durchaus besser - geht als in dem, was sie "gewohnt" sind und was ihr Soziotop ihnen an Verhaltensmustern aufzwingt.
Dennoch werden wir es nicht mehr erleben, dass sich da tatsächlich eine Art Weltgesellschaft herauskristallisiert. Vorher muss es - das sagt mir meine Erfahrung mit der menschlichen Beschränktheit - noch einige verheerende Kataklysmen geben, bis das Rassengedächtnis endlich lernt, dass Wut, Gewalt, Hass und Verachtung die dunkle Seite der Macht sind.

LG, eKy
« Letzte Änderung: Juni 11, 2014, 19:26:25 von Erich Kykal »
Ironie: Ich halte euch einen Spiegel vor, damit wir herzlich lachen können.
Sarkasmus: Ich halte euch einen Spiegel vor, weil ich von euch enttäuscht bin.
Zynismus: Ich halte euch einen Spiegel vor, aber ich glaube nicht mehr an euch.

cyparis

Re:Beharren
« Antwort #8 am: Juni 11, 2014, 16:55:28 »
Das alles stimmt und das kann sehr deprimieren.


Danke für die Bestätigung!


LG
Cyparis
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