Stadtbesuch

[Erich Kykal]

Wieder in der Stadt gewesen:
Tausend Mienen, drin zu lesen,
tausend Blicke, sie zu streifen,
tausend Leben zu begreifen -
aber ach, sie eilen weiter,
selbstversunken, ernst und heiter.

Wieder durch die Stadt gegangen:
Tausend Farben spielen Fangen,
tausend grelle Hinweisschilder.
Tausendschön versprechen Bilder
deinen Sinnen, deinem Willen,
sie mit Neuem zu erfüllen.

Wieder aus der Stadt geflohen:
Tausend Schatten unter hohen,
tausendfach erklärten Mauern.
Tausende Dämonen lauern,
werfen Echos ins Gewimmel
unter grau meliertem Himmel.

[Curd Belesos]

moin moin Erich,

deinen Stadtbesuch kann ich nachvollziehen, auch ich bin immer froh, wenn ich dem Gewimmel und Gewusel wieder entronnen bin. Schlimm ist es zu Weihnachten, doch noch schlimmer im Sommer mit den Besucherströmen.

Nachdenklich, doch gerne gelesen. meinem Lesegefühl nach, würde ich in S3/Z2 die Schatten nicht unter, sondern vor oder hinter den erklärten Mauern sehen.

LG
CB

[Erich Kykal]

Hi Curd!

Ich habe es so gesehen, dass die Mauern hoch aufragen, in den Strassen ist alles also quasi unter ihnen. Zudem klingt "unter hohen" besser als "hinter hohen", wo beide mit "h" beginnenden Worte sich sozusagen gegenseitig übertreiben. "Vor" passt metrisch nicht hinein.

Ich bin versucht, das "hinter" dennoch zu nehmen, weil es auf das Verborgene verweist - ich bin noch im Schwanken.

Vielen Dank für deine Gedanken! 

LG, eKy

[gummibaum]

Lieber Erich,

kein Ausbruch aus der Enge des Dorfes wird gezeigt, sondern ein glitzerndes, aber leeres Versprechen, das enttäuscht.

Sehr gern gelesen.

LG gummibaum

[Erich Kykal]

Hi Gum!

Vielen Dank! Ich habe mittlerweile ein gutes Dutzend Stadtgedichte zusammen, so Pi mal Daumen ... - ich glaube, kein einziges davon sieht das Thema positiv oder romantisierend! 

In der letzten Zeile war ich versucht, "unterm Eierschalenhimmel" zu schreiben, denn das wäre ein viel deutlicheres und brutaleres Bild gewesen als "grau meliert", was schon fast gemütlich klingt, wie ein netter älterer Herr ... - aber diese Zeile hätte ich von Heinz Rudolf Kunze klauen müssen! Schade! 

LG, eKy

[gummibaum]

unter grau/trüb pastösem ?

[Erich Kykal]

Hi Gum!

Näh, auch nicht das Wahre - bei "pastös" muss ich immer an Ölfarben oder an exkremierte Stoffwechselprodukte denken! Klingt auch irgendwie zu pomp"ös" ... 

Aber vielen Dank für die Bemühung! 

LG, eKy

[Curd Belesos]

moin moin Erich,

Tausend Schatten an den hohen, tausendfach erklärten Mauern.
Tausend Schatten zwischen hohen, tausendfach erklärten Mauern.

Die Schatten beschäftigen mich immer noch 

LG
CB

[gummibaum]

Vielleicht so zu verstehen: Jeder Stadt-Mensch baut Mauern gegenüber den anderen auf, so dass Schatten (Ängste) auf den Herzen liegen und Dämonen (Gewalt) darin regieren.

[Erich Kykal]

Hi Curd, Gum!

Ja, die Mauern sind sowohl physisch als auch metaphorisch zu verstehen. Wir verbergen uns hinter beiderlei Art.

Schatten können durchaus unter Mauern sein, wenn man ihr hoch Aufragen visualisiert, oder wenn die Mauern nicht bis zum Boden reichen, ich denke an Bogengänge, Durchgänge, Säulengänge.

Das "zwischen" hat mir zu viele Zischlaute und den "grellen" Vokal "i", das passt mir selten in die lyrische Satzmelodie.

Ich bleibe bei "unter". Das geht inhaltlich durchaus und klingt eindeutig am besten. 

LG, eKy

[Curd Belesos]

Tausend Schatten an den hohen, tausendfach erklärten Mauern.

[Erich Kykal]

Hi Curd!

Das "unter" riecht mehr nach Schwere der Mauern, Unterdrückung, Erstickung. Das passt besser zur Aussage.

LG, eKy

[Curd Belesos]

Ach, Erich, du schreibst eben Lyrik, ich eben Gedichte 

LG
CB

[Erich Kykal]

Hi Curd!

Wir können noch eine Weile so tun, als könnten wir Äpfel mit Birnen vergleichen, ehe wir eingestehen, dass wir beide Dichter sind ... 

LG, eKy

[Curd Belesos]