Autor Thema: Missbraucht  (Gelesen 1347 mal)

Erich Kykal

Missbraucht
« am: Mai 02, 2018, 16:13:49 »
Er trug die Qual des Zweifels durch die klammen Jahre,
ob er verhindern hätte können, was geschah,
verachtete sich selbst und kam sich niemals nah
aus nackter Angst, dass er sein Angesicht nicht wahre,

wenn ruchbar würde, was in ach so vielen Stunden
an Leib und Seele krank ihm alle Kindheit machte,
wenn auf das Monster wartend er durch Nächte wachte,
verborgen in der Angst und dennoch stets gefunden!

Für immer schwieg er, von der eignen Lust erschlagen,
die er trotz aller Widerwärtigkeit empfand,
wenn er die Blicke spürte und die heiße Hand
des Mannes, der ihn lehrte, alles zu ertragen.

Er trug die Qual des Zweifels durch die welken Jahre,
kein Leben wagend, das zu sehr an andre reichte,
an Buße innig glaubend, aber nie an Beichte -
verstummt und ewig ungewiegt bis an die Bahre.
« Letzte Änderung: Mai 18, 2018, 19:56:23 von Erich Kykal »
Ironie: Ich halte euch einen Spiegel vor, damit wir herzlich lachen können.
Sarkasmus: Ich halte euch einen Spiegel vor, weil ich von euch enttäuscht bin.
Zynismus: Ich halte euch einen Spiegel vor, aber ich glaube nicht mehr an euch.

gummibaum

Re: Missbraucht
« Antwort #1 am: Mai 02, 2018, 19:48:05 »
Lieber Erich,

dein Gedicht zeigt sehr gut, wie die Scham, involviert gewesen zu sein, das spätere Leben des Opfers einschnürt und verkümmern lässt.

Sehr gern gelesen.

LG g





Erich Kykal

Re: Missbraucht
« Antwort #2 am: Mai 02, 2018, 21:41:13 »
Hi Gum!

Etwas, das all jene begleitet, die nicht Opfer eines Gewaltaktes waren, sondern verführt wurden, ob mit Geld, Erpressung, Versprechungen oder - wohl am schlimmsten - mit der Vorspiegelung wahrer Empfindungen oder dem Ausnutzen von Sympathie oder Verlassensängsten.

Und manchmal gibt es nicht einmal eine solche Möglichkeit der Rechtfertigung vor der eigenen Selbstachtung: Manchmal genügt die Neugier eines einsamen Kindes schon ganz allein ...

LG, eKy
« Letzte Änderung: Mai 02, 2018, 21:43:07 von Erich Kykal »
Ironie: Ich halte euch einen Spiegel vor, damit wir herzlich lachen können.
Sarkasmus: Ich halte euch einen Spiegel vor, weil ich von euch enttäuscht bin.
Zynismus: Ich halte euch einen Spiegel vor, aber ich glaube nicht mehr an euch.

cyparis

Re: Missbraucht
« Antwort #3 am: Juni 05, 2018, 17:16:27 »
Lieber Erich,

an solches mag ich nicht glauben, aber wer kann schon so tief gründen,


Für immer schwieg er, von der eignen Lust erschlagen,
die er trotz aller Widerwärtigkeit empfand,
wenn er die Blicke spürte und die heiße Hand
des Mannes, der ihn lehrte, alles zu ertragen.

(Der ihn zwang, dies alles zu ertragen).

daß er Ja oder Nein sagen könnte.
Die Vorstellung, daß ein Kind durch sexuelle Gewalt in eine wie auch immer geartete  Lust gedrängt werden kann - fürchterlich!


Und wie schön, daß dem immer noch Narziß und Goldmund
gegenüberstehen!

Schade, daß ich mich nicht gut genug darüber ausdrücken kann, was mir so durch den Kopf geht.
Sehr mulmig.

Lieben Gruß!
Immer:
Cypi

Der Schönheit treu ergeben
(Lady Anne von Camster & Glencairn)
copyright auf alle Texte

Erich Kykal

Re: Missbraucht
« Antwort #4 am: Juni 05, 2018, 22:01:47 »
Hi Cypi!

Zwei Faktoren bedingen all dieses Leid:

Die mangelnde Anpassungsfähigkeit menschlichen Tolerierens und Verstehens in kulturell geprägten sozialen Systemen und -
die allzu perfekte Anpassungsfähigkeit des jungen menschlichen Verstandes, der sehr formbar und leicht zu beeinflussen ist.

Wäre unsere Gesellschaft nicht so blind wertend und verallgemeinernd, das Missbrauchsopfer hätte keinen Grund, sich zu schämen und diese Schande lebenslang leidend zu verbergen.
Und wäre der kindliche Geist nicht so formbar und anpassungsfähig, bereit, Neues ohne Werten zu erforschen - es kame gar nicht erst zu solchen Folgen des Missbrauchs, bzw. der manipulative Missbrauch wäre bei weitem nicht so leicht zu begehen.

LG, eKy
Ironie: Ich halte euch einen Spiegel vor, damit wir herzlich lachen können.
Sarkasmus: Ich halte euch einen Spiegel vor, weil ich von euch enttäuscht bin.
Zynismus: Ich halte euch einen Spiegel vor, aber ich glaube nicht mehr an euch.

cyparis

Lieber Erich
« Antwort #5 am: Juni 06, 2018, 10:26:56 »
Man bedenke, wo man die größte Anzahl der Mißbraucher findet.

Cypi
Der Schönheit treu ergeben
(Lady Anne von Camster & Glencairn)
copyright auf alle Texte

Erich Kykal

Re: Missbraucht
« Antwort #6 am: Juni 06, 2018, 20:31:27 »
Hi Cypi!

Da sollte man nicht verallgemeinern, es kann sie überall geben. Und die meisten sind auch keine soziopathischen Monster, denen das Schicksal ihrer Objekte der Begierde egal wäre - nur der unselige Trieb ist eben zuweilen stärker. Abgesehen davon sind sie "normale" Mitglieder der Gesellschaft, ja oft sogar besondern unauffällig oder kinderlieb!
Nur unsere verallgemeinernde Vorstellung und die reißerischen Filme zur Thematik, die natürlich dramatisieren, stellen sie als sadistische Bestien dar.
Klar, die gibt's leider auch - aber das sind die wenigsten.
Deshalb bleiben so viele Missbräuche ja auch unentdeckt - das Opfer empfindet seinen Täter nicht als "böse" im kriminellen Sinne - und sucht die Schuld (anscheinend MUSS es eine geben! - Als ob wir nicht auch ohne leben könnten ..  ::)) lieber bei sich selbst. Auch blöd.

So oder so tragen wir zur Tragik bei - ob wir nun moralisch reagieren oder nicht. Tun wir es nicht, segnen wir Missbrauch quasi ab und leisten ihm Vorschub. Tun wir es, brandmarken wir nicht nur die Täter, sondern immer auch die Opfer mit der Schärfe unseres moralischen Urteils, indem wir den Akt an sich für das Opfer zu einer verdammenswerten Tat der Sünde machen, unter der es immer leiden wird, wenn es freiwillig mitgemacht hat, und meist im anderen Falle auch noch!

Lose-Lose-Situation!  :-[

LG, eKy

Ironie: Ich halte euch einen Spiegel vor, damit wir herzlich lachen können.
Sarkasmus: Ich halte euch einen Spiegel vor, weil ich von euch enttäuscht bin.
Zynismus: Ich halte euch einen Spiegel vor, aber ich glaube nicht mehr an euch.

cyparis

Re: Missbraucht
« Antwort #7 am: Juni 08, 2018, 10:08:47 »
sondern immer auch die Opfer mit der Schärfe unseres moralischen Urteils, indem wir den Akt an sich für das Opfer zu einer verdammenswerten Tat der Sünde machen, unter der es immer leiden wird, wenn es freiwillig mitgemacht hat, und meist im anderen Falle auch noch!

Genau das ist das Schlimmste an solchen Tatbeständen.
Der Schönheit treu ergeben
(Lady Anne von Camster & Glencairn)
copyright auf alle Texte