Autor Thema: Brief eines Traumes an seinen Verstand  (Gelesen 718 mal)

Erich Kykal

Brief eines Traumes an seinen Verstand
« am: Mai 23, 2018, 15:53:02 »
O hehrer Geist, ich ließ dich mich entführen
in deine intellektuellen Sphären,
darin Gedanken wie Geschwüre schwären
in ewig sinnbeschwörenden Allüren.

Wo bodenloser Dünkel haltlos dümpelt
und jede Regung unter Hybris schmachtet,
verbannst du mich, von Regelwut umnachtet,
an jenen Ort, den niemand je entrümpelt.

Dort muss ich armer Traum, der ungelebte,
mit allem Unbewältigten mich gatten,
den Schatten, die dank dir kein Leben hatten:
Aus Überdruss Geformte und Gewebte.

O hehrer Geist, der ich dich nicht erfasse,
wo geht die Reise hin, die du mich leitest?
Verblasst mein Glanz, den du ins Leere breitest,
wenn ich mich einfach in dir gehen lasse?

An welchem Ende, das wir nie erreichen,
begreifen wir einander uns verloren?
Entferne uns, den Narr und seinen Toren,
aus allen Lebens Kreisen und Vergleichen.
« Letzte Änderung: Juli 16, 2021, 10:36:01 von Erich Kykal »
Ironie: Ich halte euch einen Spiegel vor, damit wir herzlich lachen können.
Sarkasmus: Ich halte euch einen Spiegel vor, weil ich von euch enttäuscht bin.
Zynismus: Ich halte euch einen Spiegel vor, aber ich glaube nicht mehr an euch.

cyparis

Re: Brief eines Traumes an seinen Verstand
« Antwort #1 am: Juni 05, 2018, 18:06:36 »
Lieber Erich,

diese Fülle ist berauschend - und wie gerne lasse ich mich von Deiner Wortmacht berauschen.
Hier bin ich wie geblendet ob Deiner Kunst, WWort zu Versen und Verse zu Stropehn zu gestalten.

Entferne uns, den Narr und seinen Toren,

... den Narren samt den Toren

o.ä.
Ich merke, daß meine Kräfte erlahmen -
demnächst mehr von meiner armseligen Seite! :-*


Immer:
Cypi

Der Schönheit treu ergeben
(Lady Anne von Camster & Glencairn)
copyright auf alle Texte

Erich Kykal

Re: Brief eines Traumes an seinen Verstand
« Antwort #2 am: Juni 05, 2018, 21:54:53 »
Hi Cypi!

Vielen Dank für die ermutigenden Zeilen!

Dieses Werk habe ich einfach so vor mich hin geschrieben, geführt vom Unbewussten in mir - der Titel kam zuletzt, passend zum sich ergeben habenden Inhalt.

Ich sehe es so:

Der Traum ist naiv, er wertet nicht, was er dem Träumer erträumt, selbst bei der perversesten Fantasie bleibt er im Grunde unschuldiges Trägermedium, ein Instikt, ein Trieb, eine Naturkraft.
Der durchaus moralisierende und wertende Geist, das Bewusstsein, das manche Träume verbannt - aus guten Gründen, wie wir alle wohl wissen - verdrängt meist lieber, als sich unliebsamen Fakten zu stellen.
Der verdrängte Traum verbittert und fordert zuletzt in der Conclusio den ungnädigen Geist zum Suizid auf.


Vielen Dank für dein Interesse!  :)

LG, eKy
« Letzte Änderung: Juni 06, 2018, 20:35:14 von Erich Kykal »
Ironie: Ich halte euch einen Spiegel vor, damit wir herzlich lachen können.
Sarkasmus: Ich halte euch einen Spiegel vor, weil ich von euch enttäuscht bin.
Zynismus: Ich halte euch einen Spiegel vor, aber ich glaube nicht mehr an euch.

gummibaum

Re: Brief eines Traumes an seinen Verstand
« Antwort #3 am: Juni 06, 2018, 01:01:57 »
Lieber Erich,

der Traum gibt dem Brief zwar die Form, als schaue er zum Verstand auf, aber die Wortwahl zeigt das Gegenteil. Die Gedanken eitern und der von Regelwut umnachtete und an Selbstüberschätzung leidende Geist verbannt den Traum achtlos in die Gerümpelkammer. So wird die ehrfürchtige Anrede ("O hehrer...") zum Spott. Da der Traum fühlt, dass sie sich -Narr und Tor- nie ergänzen, ruft er nach Tilgung ihrer Existenz im Kreis des Lebens.

Eine interessante Auseinandersetzung, finde ich.

Sehr gern gelesen.

LG gummibaum
« Letzte Änderung: Juni 06, 2018, 01:04:04 von gummibaum »

Erich Kykal

Re: Brief eines Traumes an seinen Verstand
« Antwort #4 am: Juni 06, 2018, 20:36:41 »
Hi Gum!

Gut gedeutet!  :)

LG, eKy
Ironie: Ich halte euch einen Spiegel vor, damit wir herzlich lachen können.
Sarkasmus: Ich halte euch einen Spiegel vor, weil ich von euch enttäuscht bin.
Zynismus: Ich halte euch einen Spiegel vor, aber ich glaube nicht mehr an euch.