Autor Thema: Vergegenwärtigung  (Gelesen 1151 mal)

Sufnus

Vergegenwärtigung
« am: August 13, 2018, 12:52:10 »
Nochmal etwas Älteres... leicht variiert... :)

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Vergegenwärtigung

Das ist Alleinsein, wenn nur das Gedenken
verlorne Gegenwart imaginiert,
wenn War-einmal ein Immer-noch gebiert,
sobald die Blicke sich nach innen senken.

So bist auch Du nun ganz und gar für Dich,
glaub gern, ich ließ Dich unter Zwang zurück!
Was gäb ich für ein kurzes Wegestück
zu zweit nur einmal noch, doch wer bin ich?

Nur mehr ein Hauch von Nichts, kein Teil der Welt
und, liebste Fernste, was Du aus mir machst:
Ob Du mit mir von alten Zeiten lachst,

ob Dich das Traurigsein gefangen hält,
liegt jetzt, ich kanns nicht weisen oder wenden,
in Deinen lieben, frei gewordnen Händen.
« Letzte Änderung: September 17, 2018, 17:27:45 von Sufnus »

Erich Kykal

Re: Vergegenwärtigung
« Antwort #1 am: August 16, 2018, 18:27:07 »
Hi Suf!

S2Z4 - Da würde ich sprachlich flüssiger und schöner schreiben: "nur einmal noch zu zweit, ..." (Solltest du dies übernehmen, muss natürlich das Komma am Ende von Z3 gestrichen werden)

S3Z1 - Das "Nur mehr" zu Beginn ist problematisch, da bei dieser Phrase das "nur" vorneweg gern betont sein möchte (zB: "Nur mehr 3 Stück auf Lager!") Sprachlich gediegener wäre übrigens an dieser Stelle "nur noch".
Mögliche Lösung: "Ein Hauch von Nichts verbleibt, ..."

S4Z2 - Ich weiß nicht, ob es nach NR nunmehr statthaft ist, Apostrophe völlig zu ignorieren, indes - bei involviertem "es" präferiere ich persönlich schon aus schriftbildästhetischen Erwägungen immer noch das "Stricherl": "ich kann's".
Dabei ist allerdings wichtig, die richtige Art zu wählen: "Shift/Raute"! Die Apostrophe weiter oben neben "Backspace" sind nämlich die französischen Dinger und haben in deutschen Texten nichts zu suchen! Viele wissen das nicht oder schlimmer: es ist ihnen wurscht!  :o


Die beiden Terzette, vor allem das letzte, sind großes lyrisches Tennis! Chapeau!  :)

Sehr gern gelesen!  :)

LG, eKy
Ironie: Ich halte euch einen Spiegel vor, damit wir herzlich lachen können.
Sarkasmus: Ich halte euch einen Spiegel vor, weil ich von euch enttäuscht bin.
Zynismus: Ich halte euch einen Spiegel vor, aber ich glaube nicht mehr an euch.

Sufnus

Re: Vergegenwärtigung
« Antwort #2 am: August 17, 2018, 10:41:33 »
Lieber eKy!
Herzlichen Dank für die das freundliche Lektürefeedback und ganz besonders für die Korrekturvorschläge! :)
Die leichten Widerborstigkeiten im Sprachfluss bzw. -bild in S3Z1 und S4Z2 will ich lieber belassen. Das Gedicht enthält Hoffnung aber auch Traurigkeit und sollte aus dieser doppelten Gestimmtheit nicht zu eingängig werden.
S2Z4 ist aber vielleicht wirklich ein Lesestolpler zuviel... ich bin versucht, hier etwas zu glätten, aber noch unsicher... und solange ich noch schwanke, lass ich es erst mal noch so.
LG!
S.

cyparis

Re: Vergegenwärtigung
« Antwort #3 am: September 16, 2018, 13:35:41 »
Lieber Sufnus,

lediglich die Stolpersteine
für Dich
und
wer bin ich?

haben mich irritiert bei diesem melancholischen Sonett.
Man bleibt gedankenschwer und wehmütig zurück.
Der letzte Vers ist ein Glanzstück!

Herzlichen Gruß
von
Cyparis
Der Schönheit treu ergeben
(Lady Anne von Camster & Glencairn)
copyright auf alle Texte

Sufnus

Re: Vergegenwärtigung
« Antwort #4 am: September 17, 2018, 17:27:06 »
Hi Cyp!
Freut mich sehr, dass Dir das Sonett gefällt! :)
Die Hauptstolperzeile hab ich jetzt nochmal ganz leicht angeglättet... Danke für also auch nochmal Eure Kommentare in dieser Richtung! :)

Agneta

  • Gast
Re: Vergegenwärtigung
« Antwort #5 am: September 27, 2018, 18:29:56 »
Lieber Sufnus,

ein Sonett, das einfängt , das mitgehen lässt, denn fast jeder hat so etwas schon einmal erlebt.
Der Rückblick auf eine nicht zu lebende Bziehung, egal, aus welchem Grund. Diese sind sehnsjchtsvoll ein Leben lang mit uns verbunden, gerade, weil sie nicht lebbar waren.
Formal fängt es sehr stark an,

der erste Vers ist punktgenau formuliert und gekonnt und glatt. Respekt!

beim zweiten sehe ich zwar , was du sagen möchtest, nämlich: ich bin nicht gut geug für dich..., wer bin ich also, der es wagen könnte, doch ein Stück mit dir zu gehen?
Dazu müsste aber das BIN betont sein, nicht das ich. Beim betonten ich erwartet man einen Gegenspieler du. Du bist das und wer bin ich?
Diesen starken Gegensatz bringt "zu zweit nur einmal noch" nicht. Vielleicht: Doch wie könnte ich?

Ein Hauch von nichts, finde ich als Selbstbescheibung etwas zu übertrieben. So unwert sollte man sich nicht fühlen, wenn man doch geliebt wird.
Kein Teil der Welt- natürlich ist er ein Teil der welt, er lebt ja.
Was du möglicherweise sagen willst, kein Teil IHRER Welt, sie wäre für ihn zu hoch, zu fein, zu irgendwas....Da würde ich nochmals jeweisl nachfeilen, denn das Sonett ist eigentlich stark.
Auch die frei gewordenen Hände sind etwas schräg, es sei denn, sie hätte im Knast gesessen.
Verzeih, dass ich so hart mit dir bin, aber ich denke, dass du begabt bist für Sonette und die Worte auch hast, nur etwas nachlässig vielleicht.
Meine Tipps sollen dich nur anspornen. Bitte also nicht übel nehmen.
LG und gerne kollegial rumgemeckert von Agneta





Sufnus

Re: Vergegenwärtigung
« Antwort #6 am: September 28, 2018, 12:35:41 »
Hi Agneta!

Vielen lieben Dank für die intensive Beschäftigung mit meinen Zeilen! :) Ich bin immer total froh über zweifelnde oder kritische Anmerkungen, von Übelnehmen kann also überhaupt keine Rede sein. Und nun hast Du Deine Probleme mit den Zeilen auch noch so höflich zugewandt verpackt, dass es sich für mich wie eine intellektuelle Umarmung anfühlt und in der Tat ein Ansporn ist zu weiteren lyrischen Erkundungsgängen, um die Möglichkeiten der Sprache zu kartographieren. :) Also nochmals vielen Dank!

Nebenbei bemerkt (hat jetzt nichts mit Deinen Einwänden zu tun) halte ich es so, dass ich bei einer mit polemischer Verve gerittenen Attacke (ausreichendes geistiges Niveau der Einlassungen vorausgesetzt) gleicherweise den Helm aufsetze und den Strauß gerne mitfechte... nicht erbittert, sondern aus Lust am Spiel und durchaus ganz ohne böses Blut. Aber das hat jetzt wie gesagt mit Deinen Anmerkungen nichts zu tun. :)

Was Deine inhaltlichen Einwände angeht, so stimme ich einerseits zu und sehe es gleichzeitig ein bisschen anders: Unter Deiner Deutung des Gedichts, als einer Art traurigem Rückblick auf eine gescheiterte Beziehung, wären Ausdrücke wie "ein Hauch von Nichts" oder "kein Teil der Welt" und   die "freien Hände" irgendwie verfehlt. Tatsächlich hatte ich persönlich dieses Szenario aber überhaupt nicht im Sinn, weshalb ich doch an diesen Ausdrücken festhalten werde und sie ganz wörtlich verstanden wissen wollen würde ;)

Deine Deutung zeigt, dass dieses Gedicht ein typisches Beispiel für das (im weitesten Sinn zu verstehende) "uneigentliche Reden" in der Lyrik ist, also die (manchen störende) Eigenart von Gedichten, die Dinge nicht bei ihrem gewohnten Namen zu nennen oder sich sogar einer klaren Ausdeutbarkeit zu verweigern, was Advokaten einer Redeweise, die "geradeheraus" und eindeutig ist, regelmäßig auf die Palme bringt.

Nun benutze ich in diesem Gedicht keine sehr "dunklen" oder gar hermetisch verschlossene Metaphern, aber es wird doch nicht so ganz klar gesagt, wer hier eigentlich als lyrisches Ich in Erscheinung tritt und was der Grund seiner etwas hilflosen Melancholie ist. Ich persönlich halte diese Eigenschaft von Gedichten für ein wesentliches Merkmal von Lyrik (wenn auch nicht so wichtig wie das spielerische Element, das für mich an erster Stelle steht). Gedichte verweigern sich damit einer dogmatischen Weltsicht, sie säen Zweifel und setzen Fragezeichen, regen zum Denken und Fühlen an und, wenn alles gut geht, fördern sie dadurch den Dialog. Insofern möchte ich jetzt auch gar nicht "auflösen", "was der Autor mit seinem Gedicht sagen wollte". Ich wollte gar nichts Eindeutiges sagen und deshalb lebe ich sehr gerne damit, ganz ohne Groll und Eifer, sondern heiter und freundlich, dass Dir diese Zeilen (völlig berechtigtersweise!) nicht ganz so zusagen. :)

Und ich freue mich wirklich sehr auf zukünftigen Austausch mit Dir (und natürlich auch jedem anderen hier Mitschreibenden und -lesenden).

Liebe Grüße vom

sufnösen Wiesenhüpfer :)
« Letzte Änderung: September 28, 2018, 12:53:39 von Sufnus »