Autor Thema: Der Stubenhocker  (Gelesen 1679 mal)

Erich Kykal

Der Stubenhocker
« am: September 22, 2018, 11:13:57 »
Durchwoben von erlebnisblinder Stille
begegnet meine Zimmerflucht dem Morgen,
umfängt die Bilder ungetilgter Sorgen
wie jeden Tag, an dem mein welker Wille

sich müht, sich weiter Lebenszeit zu borgen.
Verklärte Träume glänzen wie Berylle
im Bodensatz der geistigen Destille,
aus welcher meine Stunden sich versorgen.

Die Welt da draußen heiligt ihre Zwecke
schon lange ohne mich und mein Ergehen.
Ich schlafe hinter meiner Dornenhecke

und warte auf ein unerklärtes Ende,
und was die Sinne prüfen und verstehen,
sind Möglichkeiten - und vertraute Wände.
Ironie: Ich halte euch einen Spiegel vor, damit wir herzlich lachen können.
Sarkasmus: Ich halte euch einen Spiegel vor, weil ich von euch enttäuscht bin.
Zynismus: Ich halte euch einen Spiegel vor, aber ich glaube nicht mehr an euch.

gummibaum

Re: Der Stubenhocker
« Antwort #1 am: September 22, 2018, 12:22:48 »
Lieber Dornröschen-Erich,

sehr schöne Bilder einer traumschweren und wirklichkeitsfernen, weil "willenswelken" Kokonexistenz.

Ich bin auch ein bisschen so im Moment.

Mit Genuss gelesen.
LG gummibaum

wolfmozart

Re: Der Stubenhocker
« Antwort #2 am: September 22, 2018, 14:33:54 »
Hallo Erich,

bin auch ein Stubenhocker, zumindest großteils.

Die Wortwahl und die Formulierungen sind wieder excellent, keine viel bemühten Phrasen langweilen bei diesem Poem den Leser.

Hochgestochende Lyrik, die mir persönlich sehr zusagt.

Lieben Gruß wolfmozart

cyparis

Re: Der Stubenhocker
« Antwort #3 am: September 22, 2018, 14:39:26 »
Lieber Erich,

ich dachte schon, daß Du uns am ausgestreckten Arm verdursten läßt - zum Glück ein Trugschluß.

Jeder Vers ist eine kleine Kostbarkeit, geschliffen wie ein Beryll !!!
Die ganze Melancholie des Meisterwerks teilt sich Wort für Wort, Vers für Vers und Strophe für Strophe so intensiv mit, als sei ich ins Innere des Dichters gekrochen/gestiegen und könne seinen Puls spüren.
Der Beginn ( - so schön doppeldeutig) mündet in die gleiche Richtung (vertraute Wände) und das Dazwischen ist so bildreich und wortstark, daß man (ich) sich der Magie nicht entziehen kann.

Von ferne fühle ich mich an Grillparzer (seine Gedichte kenne ich nicht) erinnert.
Das soll ein großes Lob nichtlyrischer Art sein.

Hingerissenen Gruß
von
Cypi

« Letzte Änderung: September 22, 2018, 14:51:23 von cyparis »
Der Schönheit treu ergeben
(Lady Anne von Camster & Glencairn)
copyright auf alle Texte

Erich Kykal

Re: Der Stubenhocker
« Antwort #4 am: September 22, 2018, 20:08:17 »
Hi Gum, WM, Cypi!

Ja, es war Zeit für meinen monatlichen lyrischen Seufzer in Sachen Selbstmitleid ...  ;) ::)

Vielen Dank für eure Gedanken dazu!  :)

LG, eKy
Ironie: Ich halte euch einen Spiegel vor, damit wir herzlich lachen können.
Sarkasmus: Ich halte euch einen Spiegel vor, weil ich von euch enttäuscht bin.
Zynismus: Ich halte euch einen Spiegel vor, aber ich glaube nicht mehr an euch.

cyparis

Re: Der Stubenhocker
« Antwort #5 am: September 23, 2018, 00:48:14 »
Ist das alles?   :(
Der Schönheit treu ergeben
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Erich Kykal

Re: Der Stubenhocker
« Antwort #6 am: September 23, 2018, 12:05:21 »
Ja - leider. Mehr ist nicht dahinter, bloß das übliche selbstreflektorische Gejammer über einen Umstand, den ich selbst herbeigeführt habe - und auch immer beibehalten werde.

Mit zunehmendem Alter bemerke ich zudem, dass mich die Welt da draußen immer weniger lockt und ruft. Der Teil von mir, der sich am Leben versuchen möchte, der interagieren will und erleben, scheint sich mehr und mehr abgearbeitet zu haben - oder er ist von der Einsicht besiegt, dass man doch nie genau das bekommt was man haben will; oder noch schlimmer: man erkennt, dass das, was man immer haben wollte, gar nicht das ist, was man wirklich gebraucht hätte!

So gibt man sich mit dem Vorhandensein von Möglichkeiten zufrieden: Man KÖNNTE ja jederzeit hinaus und unter Leute, man KÖNNTE ja eine Karriere verfolgen, sich verwirklichen, etwas erreichen ...
Mit dem langsamen Verfall des Leibes aber werden der Möglichkeiten weniger und weniger (wer wüsste das besser als du?  :'(), und irgendwann bereut man es wohl ein wenig, sie nie genutzt zu haben. So ist das bei mir - aber ein Gedichtchen darüber ab und zu, und ich habe mir die Erkenntnis dieser Tragik wieder für eine Weile von der Seele gedichtet!

Das ist eben alles ...  :-\ :-[

LG, eKy
« Letzte Änderung: M?RZ 15, 2021, 18:54:34 von Erich Kykal »
Ironie: Ich halte euch einen Spiegel vor, damit wir herzlich lachen können.
Sarkasmus: Ich halte euch einen Spiegel vor, weil ich von euch enttäuscht bin.
Zynismus: Ich halte euch einen Spiegel vor, aber ich glaube nicht mehr an euch.

cyparis

Re: Der Stubenhocker
« Antwort #7 am: September 23, 2018, 12:17:49 »
Ja - leider. Mehr ist nicht dahinter, bloß das übliche selbstreflektorische Gejammer über einen Umstand, den ich selbst herbeigeführt habe - und ihn auch immer beibehalten werde.

... - aber ein Gedichtchen darüber ab und zu, und ich habe mir die Erkenntnis dieser Tragik wieder für eine Weile von der Seele gedichtet!

Das ist eben alles ...  :-\ :-[

LG, eKy

Lieber Erich,

Ich hatte immer den Eindruck, daß Du Dich in Deinem Eingerichtetsein leidlich wohlfühlst - oder Du läßt keinen wirklich hinter (D)eine Maske sehen.
Über Deine Gesundheit kann ich mir  kein Bild machen - ich kann nur wünschen.


Und der Diminutiv paßt hier ganz und gar nicht!!!

Der Scheffel muß gar bald verbrannt sein, unter den nicht nur Du Dein Licht stellst!

Ganz lieben Gruß
von
Cypi
Der Schönheit treu ergeben
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Erich Kykal

Re: Der Stubenhocker
« Antwort #8 am: September 23, 2018, 12:56:06 »
Hi Cypi!

Vielen Dank für die freundliche Beweihräucherung!  ;)

Und ja - ich fühle mich durchaus "leidlich" wohl in meinem selbst errichteten Elfenbeinturm - es ist "leidlich" besser als so gut wie alle denkbaren Alternativen, die so gut wie alle bös enden würden, wenn ich sie versuchte. Zumindest, wenn ich sie durchdenke - und dabei bemühe ich mich durchaus um Objektivität.

Die wenigen Male, da ich mich wirklich nach außen kehrte, zeitigten mehrheitlich negative Ergebnisse - ich bin eben einfach nicht dauerhaft kompatibel mit anderen Leuten in sozialem Kontext. Enge Beziehungen kann ich nicht lange aufrecht erhalten, da ich insgesamt zu wenig dafür für Menschen empfinde. Andererseits verletzt es mich extrem, wenn mir Menschen, denen ich mein Vertrauen erst einmal geschenkt habe, irgendwie in den Rücken fallen. Und so unleidig und zynisch, wie ich nun mal bin, ist das wohl früher oder später zwangsläufig der Fall. Ich fühle mich rasch emotional eingeengt, manipuliert oder in der Auslebung meiner Wesenszüge (die teilweise recht soziopathisch sein können) behindert, wenn da jemand allzu nah an mir dran ist, zu sehr klammert. Statt geliebt fühle ich mich eher vereinnahmt - und reagiere dann entsprechend.
Die "Rache" derer, die sich von mir brüskiert fühlen, lässt dann nicht lange auf sich warten, kommt für mich aus heiterem Himmel - und schmerzt.
Ich habe selbst wohl zu wenige Sensoren, die bemerken könnten, wie sehr ich anderen weh tue, mit unbedachten Bemerkungen, Scherzen, Wortspielen (ich "disse" gern, meine es aber selten böse, für mich ist es eher eine intellektuelle Herausforderung), und wenn der Schaden angerichtet ist, überrascht mich die Retourkutsche kalt.
Zudem tu ich mir extrem schwer, Zuneigung zu zeigen - ich würde eher eine heiße Herdplatte anfassen als "Ich liebe dich" zu sagen! Was nebenbei bemerkt ohnehin gelogen wäre: wirklich lieben kann ich nicht (mehr?). Ich kann sympathisch finden, gern haben, mögen - aber ganz vertrauen und hingeben, das habe ich lang verlernt.
Und ich lüge eben nicht gern - daher ist es leichter, erst gar keine Beziehung zu suchen, als sie durch Halbwahrheiten und Verschweigen gewisser Fakten mühsam aufrechterhalten zu müssen.
Das gilt bei mir interessanterweise für Liebesbeziehungen, wie gesagt, nicht für Freundschaften. Habe ich jemanden erst einmal unter "Freund" eingeordnet, vertraue ich sehr darauf, dass gewisse Regeln der Rücksichtnahme eingehalten werden (dass ich sie selbst aus der Sicht anderer verletze, kommt mir meist erst gar nicht in den Sinn. Das liegt daran, dass dem Menschen das eigene Denken logisch erscheint, und darum müssten eigentlich alle ähnlich wie man selbst denken, da alle anderen sonst unlogisch wären ...  ::) - naja, wir kennen die möglichen Verscherungen falscher Kausalverknüpfungen! Und weil mein soziales Sensorium eben unterentwickelt ist, bemerke ich die Anzeichen leider nicht, wenn ich andere verletze, ohne es zu wollen.). Umso schmerzlicher ist es dann, wenn so ein Freund sich abwendet, aus welchen Gründen auch immer,  die aus seiner/ihrer Sicht sicherlich wohlüberlegt sein mögen. Das sorgt dafür, dass ich auch nur sehr wenige Freunde habe - ich erspare mir die scheinbar unvermeidliche Enttäuschung lieber gleich ...

Hier im Internet ist die Distanz groß genug. Hier kann ich "funktionieren", weil ich mich nicht allzu bedrängt fühle. Hier bleiben die Wünsche und Ansprüche anderer an mich eher hypothetisch, überfordern mich nicht emotional, und ich fühle mich sicher genug, ihnen zu begegnen.


So, das war ein "Blick hinter die Fassade" - ich hoffe, er hilft dir, mich zu verstehen, so weit es da etwas zu verstehen gibt.  ::) :-\

LG, eKy
« Letzte Änderung: Oktober 05, 2018, 18:51:35 von Erich Kykal »
Ironie: Ich halte euch einen Spiegel vor, damit wir herzlich lachen können.
Sarkasmus: Ich halte euch einen Spiegel vor, weil ich von euch enttäuscht bin.
Zynismus: Ich halte euch einen Spiegel vor, aber ich glaube nicht mehr an euch.

cyparis

Re: Der Stubenhocker
« Antwort #9 am: September 23, 2018, 15:14:23 »
Ach, Erich -

ich kenne den Stubenhocker auswendig gut ( hach, ein Wortspiel!) und inwendig geht mich nichts an.
Ich animiere Freunde nicht dazu, ihr Inneres vor mir auszubreiten - im Gegenteil, denn das kann peinlich werden.
Ich bin mir ziemlich sicher, daß ich mich zu Deinen Lyrikfreunden zählen darf!
Und sobald ich wieder gut zu Fuß bin ( ;D),  werde ich Dich vielleicht auch wieder sehen können.
Bis dorthin ist Dein Kätzchen bestimmt ein ausgewachsener Kater.

Und so unleidig und zynisch, wie ich nun mal bin


Das warst Du nie, solange ich Dich kenne - im Gegenteil:
Du bist ein fürsorglicher, ritterlicher (jaja!) und großzügiger Hausherr! (der bei mir über so manches hinwegsah).
Auf jedenfall bin ich stolz, zu Deinen Freunden zu zählen und das nicht nur im Forum!
Bevor ich mich hier bis zur Emphase steigere:

In Zuneigung
immer
Cypi
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Erich Kykal

Re: Der Stubenhocker
« Antwort #10 am: September 23, 2018, 16:15:45 »
Hi Cypi!

Danke, dass du mich so positiv siehst. Die paar Tage lockeres Dichtertreffen waren ja auch nie genug, um mich zu "überlasten".

Ich erinnere mich an nichts, wobei ich bei dir hätte groß darüber hinwegsehen müssen.

Das Kätzchen ist seit drei Jahren ein ausgewachsener Kater! Er ist vier Jahre alt!  ;D

LG, eKy
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Zynismus: Ich halte euch einen Spiegel vor, aber ich glaube nicht mehr an euch.

Agneta

  • Gast
Re: Der Stubenhocker
« Antwort #11 am: Oktober 05, 2018, 18:45:42 »
ein von tiefer Traurigkeit und Mutlosigkeit durchdrungenes Werk, das mich sehr  berührt, lieber Erich.

Das  Wortspiel "ZimmerFLUCHT" wäre genial, wenn es ls solches absichtlich gesetzt worden wäre und somit andeuten, dass der Prot erkannt hat.
Wer erkannt hat, kann vielleicht noch etwas ändern, sich doch noch einmal einen Ruck geben. Ich würde es dem LI wünschen. Der Herbst lockt mit zauberhaften Farben, die zu Hinausgehn verführen.
Ansonsten sehr sehr stark geschrieben.
LG von Agneta

Erich Kykal

Re: Der Stubenhocker
« Antwort #12 am: Oktober 05, 2018, 18:58:53 »
Hi Agneta!

In diesem Fall ist es - wenn überhaupt - eine unbewusst gesetzte Anspielung. Beim Schreiben meinte ich tatsächlich nur meine eigenen Räumlichkeiten: Als "Zimmerflucht" bezeichnet man ganz normal eine Reihe aneinandergrenzender Räume.
Zudem wäre dieser Begriff als wie von dir interpretierte Zweideutigkeit problematisch, da "Zimmerflucht", im eigentlichen Wortsinn der Teile dieses zusammengesetzten Begriffs ja viel eher "Flucht AUS einem Zimmer" bedeuten würde denn "Flucht IN ein Zimmer". Für letzteres schriebe man besser sowas wie "Zimmerzuflucht".
Beim LyrIch hingegen handelt es sich um einen Fall von Weltflucht. (Du erkennst hier sicher die logische Wortparallele auf semantischer Ebene)

Vielen Dank für dein tiefes Mitempfinden und deine Freude an meinen Zeilen!  :)

LG, eKy
« Letzte Änderung: November 22, 2020, 11:35:41 von Erich Kykal »
Ironie: Ich halte euch einen Spiegel vor, damit wir herzlich lachen können.
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