Autor Thema: Aria selenosa  (Gelesen 1023 mal)

Sufnus

Aria selenosa
« am: Oktober 09, 2018, 13:17:05 »
Ein weiterer Gruß aus dem Fundus

Aria selenosa

So übt die Mondfrau sachte Macht:
Hat uns mit fernen Sternenspielen
um aller Blicke Wacht gebracht,
und lenkt uns sanft zu stillen Zielen

und legt des Tages Pracht in Acht
und führt aus kühlen Chorgestühlen
die überschwere Traumesfracht
in unser nachtentfachtes Fühlen.

Und tief im dämmervollen Schwinden,
entrückten Siebensinnekünden,
selbander wir in Eines münden:

Dies Immeraneinanderbinden
lässt nimmer ganz sich ausergründen.
Verliebte Hände. Suchen. Finden.

Erich Kykal

Re: Aria selenosa
« Antwort #1 am: Oktober 09, 2018, 14:18:50 »
Hi Suf!

Ein schönes "Mondlied"!

"selbander" kannte ich bisher nicht. Ein Neologismus - oder (was ich eher denke) etwas sehr Altes. Gefällt mir sehr. Was genau sagt es aus?

Sprachlich höchst fein "ziseliert", deine Zeilen - ausgesprochen lesenswert! Chapeau!


Zwei Details widersprechen der Sonettform: die Vierhebigkeit der Zeilen und das Reimschema ABAB in den Quartetten (statt ABBA).
Ersteres spielt heute keine große Rolle mehr, und letzteres kann man unter "Experiment" einordnen. (Ich habe meine ersten paar Dutzend "Sonette" selbst so geschrieben, weil ich damals von den meisten Regeln dazu keinen Schimmer hatte, aber alles schon zu wissen dachte!  ::))

Sehr gern gelesen!  :)

LG, eKy
Ironie: Ich halte euch einen Spiegel vor, damit wir herzlich lachen können.
Sarkasmus: Ich halte euch einen Spiegel vor, weil ich von euch enttäuscht bin.
Zynismus: Ich halte euch einen Spiegel vor, aber ich glaube nicht mehr an euch.

Sufnus

Re: Aria selenosa
« Antwort #2 am: Oktober 09, 2018, 15:10:07 »
Vielen Dank für die freundliche Antwort, lieber eKy! In der Tat ist das hier kein "anständiges Sonett" - Du hast sehr richtig auf die formalen Kriterien hingewiesen. :)
Und "selbander" ist tatsächlich ein altes Wort und bedeutet "zu zweit". Es ist damit eng verwandt mit einem anderen alten Wort: "selbdritt", was dementsprechend "zu dritt" meint. :)
Dass dieses Wort auch in neuerer Zeit noch nicht ganz ausgestorben ist, belegt sogar ein Gedicht der gar nicht ganz unbekannten modernen Lyrikerin Barbara Köhler "SELBANDER: wir beide" (Google-findbar); ich weiß um Deine Haltung zu moderner Lyrik und Du würdest auch dieses (wie ich persönlich finde sehr schöne) Gedicht als ganz dringend überarbeitungsbedürftig empfinden ob seiner deutlich sprachflusshemmenden Rhythmussprünge (dieses Empfinden sei Dir auch selbstredend unbenommen! :) ); immerhin: ein unstrittig ganz modernes Gedicht und doch gereimt. :)

Erich Kykal

Re: Aria selenosa
« Antwort #3 am: Oktober 09, 2018, 18:22:07 »
Hi Suf!

O, ich sehe es durchaus als Sonett an, eben ein modernes. Und sehr schön ist es obendrein geschrieben. Das "selbdritt" war mir geläufig, das wird in der Heiligenverehrung verwendet: Anna Selbdritt. Danke nochmals für das schöne "selbander"! Das werde ich gewiss einmal selbst verwenden!  :)

LG, eKy
Ironie: Ich halte euch einen Spiegel vor, damit wir herzlich lachen können.
Sarkasmus: Ich halte euch einen Spiegel vor, weil ich von euch enttäuscht bin.
Zynismus: Ich halte euch einen Spiegel vor, aber ich glaube nicht mehr an euch.

gummibaum

Re: Aria selenosa
« Antwort #4 am: Oktober 09, 2018, 21:09:55 »
Lieber Sufnus,

deine Mondarie gefällt mir. Nicht nur, weil ich den Mond mag, der gern Liebe und Sehnsucht weckt. Auch das mittelalterliche Wortambiente (Wacht, Acht, Chorgestühl, Siebensinnekünden, ausergründen), der schöne Binnenreim und die Interpunktion im letzten Vers machen das Gedicht wertvoll.

Mit Freude gelesen

LG g

 

Sufnus

Re: Aria selenosa
« Antwort #5 am: Oktober 12, 2018, 14:03:24 »
Lieber gummibaum!
Ich mag Mondgedichte grundsätzlich sehr gerne - auch aufgrund der Herausforderung, dem lyrisch doch recht "ausgelatschten" Sujet noch neue Aspekte abzugewinnen... diesem Anspruch wird zugegebenerweise mein Liedchen nicht wirklich gerecht... hat aber trotzdem Spaß gemacht zu schreiben. :)
Grüße,
S.

wolfmozart

Re: Aria selenosa
« Antwort #6 am: Oktober 13, 2018, 15:33:40 »
Grosse Poesie Sufnus!

Vor allem die geniale Wortschöpfungen und Ausdrücke habens mir angetan.

Im Ganzen ein Poem das schon weit auf den hohen Berggipfeln steht, wo nur wenig Lyrisches raufreicht.

Lieben Gruß wolfmozart