Autor Thema: Abendstern  (Gelesen 1064 mal)

Sufnus

Abendstern
« am: Januar 04, 2019, 10:31:31 »
Abendstern

für Sappho

Führ mit Deinem Funkeln nach Hause
nicht nur verirrte, blökende Schäfchen,
die der Leichtsinn am Tag übern Rand
der vertrauten Weide gelockt.
Du leuchtest doch heimwärts
jeder verlorenen Seele!
Siehst Du nicht, wie ich nachts
reglos am Fenster sitze und warte?

Martin Römer

  • Gast
Re: Abendstern
« Antwort #1 am: Januar 05, 2019, 08:51:05 »
Wie ein Weibgeschöpf der Wunder harren,
ließ auch mich, den Widerling, erstarren.
Was versunken ist, das ist versunken.
Wir bedürfen Herren und Halunken…


Mchen

Sufnus

Re: Abendstern
« Antwort #2 am: Januar 05, 2019, 12:40:40 »
Die Sphäre, die der Geist nur streift:
Vermächtnis menschlicher Substanz,
die spukhaft nach Verschwundnem greift.
Nichts Nichtiges erfasst je ganz,
was im Nichtnichtigen gereift.

Grüße! :)

S.

Agneta

  • Gast
Re: Abendstern
« Antwort #3 am: Januar 12, 2019, 19:10:26 »
hoffnungsvoll  und atmosphärisch, lieber Sufnus. Das "und warte" am Ende wäre verzichtbar, es sei denn , es wäre eine bestimmte Metrik, die eingehalten werden soll.
LG von Agneta

Sufnus

Re: Abendstern
« Antwort #4 am: Januar 18, 2019, 15:16:43 »
Dankeschön, liebe Agneta! :) Ja, die Zeilen sind zwar melancholisch, aber auch hoffnungsvoll gemeint! :) Mir scheint das "und warte" rundet den letzten Vers tatsächlich rhythmisch etwas ab und er hörte ohne diesen Zusatz etwas abrupt auf, oder?

Agneta

  • Gast
Re: Abendstern
« Antwort #5 am: Januar 18, 2019, 19:01:27 »
ja, das tut es, lieber Sufnus, jedoch symbolisiert ja schon das reglose am Fenster Sitzen dieses Warten! Insofern würde ich es als geheimnisvoller und pathtetischer empfinden, wenn das direkte Warten nicht ausgesprochen wird- aber das mag Geschmacksache sein.
Korrspondierend dazu könnte man anstatt gelockt, wo ja das Hilfverb fehlt, auch lockt schreiben. Allgemeingültig dann.
Ich mag diese Verse besonders, schön sind sie.
LG von Agnea



Sufnus

Re: Abendstern
« Antwort #6 am: Januar 19, 2019, 20:10:01 »
Es freut mich, liebe Agneta, dass Dir die Verse so gut gefallen! Ich hatte es natürlich leicht... die ersten 4 Zeilen sind einigermaßen nahe an eines der schönsten Gedichte von Sappho, der Unerreichten, angelehnt, in dem sie Hesperos, den Abendstern, besingt, welcher die Ziegen und Schafe wieder nach Hause geleitet, die Eos, die Morgenröte, über die Weiden verstreut hat. :)
Liebe Grüße,
S.

Agneta

  • Gast
Re: Abendstern
« Antwort #7 am: Januar 19, 2019, 22:58:23 »
ja, drum dachte ich , ob es vielleicht dem Schema einer sapphischen Ode folgt und das warten wegen der Metrik noch folgt. Habe auch einige sapphische Oden geschrieben, aber das Schema nicht mehr genau im Kopf. Müsste ich mal noch mal nachlesen, aber ich glaube, dieses ist keine, oder?
Falls doch, wäre es natürlich genial.
 LG von Agnegta

Sufnus

Re: Abendstern
« Antwort #8 am: Januar 21, 2019, 16:57:18 »
Hi Agneta!
Nein... die Verse folgen nicht streng einem klassischen metrischen Schema - in gewisser Weise find ich (soweit hier verallgemeinernde Aussagen statthaft sind) bei reimloser Lyrik die Verwendung von gänzlich festgefügter Metrik sogar (oft noch) schwieriger als bei gereimten Gedichten, die Gefahr des leiernden Klangs erscheint mir hier (nicht selten) noch größer....