Autor Thema: Schlussakkord  (Gelesen 1029 mal)

Erich Kykal

Schlussakkord
« am: August 20, 2019, 12:24:49 »
Alles Schwere, alles Leichte,
alles Tiefe, alles Seichte,
alles Dunkle, alles Lichte,
all die wägenden Gewichte
eines Lebens, seiner Tage,
jede Antwort, jede Frage
sammelt sich wie einer Fuge
Klang in jedem Atemzuge,
der dem alten Leib entweicht,
wenn die Rechnung sich begleicht,
ist verloren und vergangen,
gleich ob Reue, ob Verlangen,
alles sinkt ins Ungewusste -
so sind menschliche Verluste.
« Letzte Änderung: August 20, 2019, 19:58:54 von Erich Kykal »
Ironie: Ich halte euch einen Spiegel vor, damit wir herzlich lachen können.
Sarkasmus: Ich halte euch einen Spiegel vor, weil ich von euch enttäuscht bin.
Zynismus: Ich halte euch einen Spiegel vor, aber ich glaube nicht mehr an euch.

Sufnus

Re: Schlussakkord
« Antwort #1 am: August 20, 2019, 16:59:42 »
Bravobravissimo!!! Da capo!!!
Ein wahrlich langgezogener, strahlender Schlussakkord, der aus einem einzigen Satz (jetzt bin ich vom Musikalischen ins Syntaktische gewechselt ;) ) besteht. Und der Moment, als ich innerlich Atem schöpfen musste, war genau in Z. 8 erreicht: Nach dem Wörtchen Atemzuge... Du bist ein Fuchs!!!
Eine Mini-Grammatikinkonsistenz: Du wechselt vom Singular (sammelt) ins Plural (sind verloren). Sonst gibt's nur langanhaltenden Applaus (siehe oben) und keine Meckerei. :)
LG!
S.

Erich Kykal

Re: Schlussakkord
« Antwort #2 am: August 20, 2019, 18:12:42 »
Hi Suf!

Was dir entgangen ist: Gleich nach dem "Atemholen" kommt die einzige mänliche Kadenz des Gedichts, was die Stelle zusätzlich hervorhebt.  ;)

Vielen Dank für deine Eindrücke und das begeisterte Lob - geht runter wie Öl!  ;D :)

LG, eKy
Ironie: Ich halte euch einen Spiegel vor, damit wir herzlich lachen können.
Sarkasmus: Ich halte euch einen Spiegel vor, weil ich von euch enttäuscht bin.
Zynismus: Ich halte euch einen Spiegel vor, aber ich glaube nicht mehr an euch.

Sufnus

Re: Schlussakkord
« Antwort #3 am: August 20, 2019, 22:15:01 »
Stimmt... der Kadenzwechsel ist mir nicht aufgefallen...  Das ist wirklich ein feines Werk! :)
Aber jetzt seh ich, dass Du auf Thomas' (Grüße gen Insel ;) ) Vorschlag hin aus dem lyrischen Niegewussten ein vergleichsweise profanes Ungewusstes gemacht hast... tststs....
Also ich versteh zwar den Einwand vom Kollegen Thomas, aber da geht für mich der "tiefere Sinn" vor der vordergründigen Logik: Etwas, was so endgültig entamtet den alten Leib verlassen hat, ist wie niemals gewusst, sinkt ganzverloren (sic!) ins NIEgewusste... buchhalterischer Verweis auf einst Gewusstes hin oder her.
Ist aber natürlich wie immer eine völlig subjektive Sichtweise... wie gesagt, ich kann Thomas Argument schon nachvollziehen... ich teile es bloß nicht ;)

Erich Kykal

Re: Schlussakkord
« Antwort #4 am: August 21, 2019, 01:48:10 »
Hi Suf!

Thomas interpretiert die Bedeutung des "Niegewussten" anders als du. Für mich sind "Nie-" und "Un-" nicht gar so weit voneinander entfernt, und letzteres klingt auch noch besser melodischer im Satzverlauf.

LG, eKy
Ironie: Ich halte euch einen Spiegel vor, damit wir herzlich lachen können.
Sarkasmus: Ich halte euch einen Spiegel vor, weil ich von euch enttäuscht bin.
Zynismus: Ich halte euch einen Spiegel vor, aber ich glaube nicht mehr an euch.

Martin Römer

  • Gast
Re: Schlussakkord
« Antwort #5 am: August 21, 2019, 04:52:49 »
Guten Morgen, guter Meister,

je nun, eine Fuge - möchte man zuvörderst aufraunen - ist sicherlich mit erzieherischem Wohl verbunden:
wie verschiedene Wege zu etwas Großem zusammenfließen können und das Hohe (Oberstimme) vom Kleinen (Unterstimme)
zu profitieren vermag, ja letztendlich das Mächtige gesegneterweise und güldenvoll zerbröckeln kann....
Paradebeispiel immer noch das Präludium für den Trauergottesdienst irgendeiner großen Fürstin, "dem Fürbild großer Frauen" -
Eingeweihte bedürfen nicht meiner nächtlichen Not für weitere Informationen.  ;D
Ging das Barock dahin, ging auch die Fuge dahin - die so hektischen und ungelenken kontrapunktischen Aufleuchtungen kann man nur schmähen.
Nach Vergangenem sollte man nicht die Hände strecken, schon gar nicht mit kindischem Pathos, genau jenes zu tun.

Was die Kürze und die Diktion des recht juvenilen Dogmatismus anbelangt, hätte ich fast die Sache mit dem Frühwerk ins Gespräch gebracht.
Ich muss den Zweifel eingestehen, ob ich hier der letzten Quintessenz teilhaftig geworden bin.
Leider fällt bei mir die grobe Nivellierung von seelischen Begebenheiten mehr und mehr in Ungnade.
Mein Ding sei das Herzglühende, wie es von Lady Anneliese ja in höchster Meisterschaft uns präsentiert worden ist.
Und noch mit ihren letzten Schritten sang sie uns: "was zu bereuen war, bereue ich noch heut - Jahr um Jahr um Jahr."

Ich möchte dir fürwahrlich keinen Tort antun.
Ob du dich selbst bereits und dergestalt auf dem Totenbett sähest.
Aber das Schwert für das halkyonische Dasein ist hier schon sehr scharf.
Mir schwirren noch so einige ein wenig weiser und weiter gesponnene Lieder von dir im Kopfe herum -
also kein Grund, zu radikal zu werden!  ;)
Was lag noch so auf den Lippen? Was lag mir noch so auf meinen Lippen?
Ach ja: ob der letzte Vers wirklich stark genug wäre, die vernachlässigbare Strophe - dergleichen.
Vielleicht ist dies die "Rache" für das allzu leise Pathos, für das Zärteln mit Apoll?
Hierbei schwenke ich nämlich eher die Fahne des verklärten Flusses und des aus sich selber rein erstrahlenden Werks.

Nichts gibt es an dieser Miniatur zu "meckern", der Bereich von Unsicherheiten ward lange verlassen.....
Und doch, zynisch zur Auflockerung: man könnte auch im Sinne eines Dummejungenstreiches den Grabstein des Bürgermeisters damit dekorieren....
Du siehst, ich lese mit gesundem Ernst und bin nun auf eine kleine weitere Ausführung gespannt.


Viele Grüße in den Tag
M.

Agneta

  • Gast
Re: Schlussakkord
« Antwort #6 am: August 21, 2019, 10:41:59 »
handwerklich sehr gut gemacht, lieber Erich. Die Aussage jedoch ist geprägt von dem Pragmatismus, der davon ausgeht, dass das Leben mit dem Tod beendet ist, die Seele nichts gespeichert hat und ins Nichts verschwindet.
Geht man davon aus, dass alles, was wir im Leben erleben und vor allem fühlen, sich in unserer Seele speichert und diese weiter existiert, kommt man zu einem andren Schlussakkord.
Dies ist nun eine höchst persönliche Einstellung.
Das Bild der Fuge. Eine Fuge muss man spielen, um ihren Klang zu erwecken. Es liegt also an jedem Menschen selbst. Selbst hochdemente Menschen schwelgen in den Etinnerungen der Kindheit.
Formal: sprachlich angesiedelt in hohem Bereich kommt mir gerade der Schlusssatz ein wenig vernachlässigt vor.
LG von Agneta

Erich Kykal

Re: Schlussakkord
« Antwort #7 am: August 21, 2019, 15:21:54 »
Hi Martin!

Danke für deine wieder mal recht ausufernden und umständlich beschriebenen Gedankenströme in  - für mich zumindest - leider sehr schwierig nachzuvollziehender Sprache, weil fast alles eigentlich aus Gleichnissen, Bildern und Andeutungen besteht, so als müsse jeder in deinen Kopf sehen und verstehen können, wie du etwas meinst. Du bringst kaum je etwas prägnant und klar verständlich auf den Punkt, aber du lavierst verbale Gebirge anhäufend inhaltlich sprunghaft darum herum, und die syntaktischen Hänge dieser Faltformationen erscheinen mental sehr rutschig und instabil, sodass sich der sie mühevoll Beschreitende kaum an etwas festhalten kann. So erscheinen mir deine Aneinanderreihungen von Gedankenseufzern ...

Es ist sehr anstrengend und zeitraubend für mich, deine Kommis zu lesen und zu verstehen, was sie eigentlich aussagen wollen und worauf du hinauswillst. Sorry, ist leider so ...


Hi Agneta!

Dass Demente sich an ihre Kindheit zuletzt erinnern, liegt daran, dass diese Erinnerungen die primären und intensivsten eines Lebens sind - das ist kein schlüssiges Argument für die Existenz einer "Seele".
Der Begriff ist an sich schon so diffus: Ist es nun eine Art eigenständiges Energiefeld, auf das wir keinen direkten Zugriff haben (und wenn, dann warum nicht?), eine Art unabhängiger Speichereinheit, in der wir erst nach dem Tod sozusagen wieder erwachen? In der menschlichen Anatomie ist jedenfalls nichts "seelenartiges" zu finden! Das ist für mich eben nur Wuschdenken - ich kann als "Seele" bestenfalls das Wesen eines Menschen bezeichnen, seine tiefsten Motive, Träume, Ambitionen.

Das alles wirkt für mich so abstrus und verzweifelt hinkonstruiert, eben um sich - so sehe ich es -  nicht mit der schlichten, aber kalten Wahrheit abfinden zu müssen, dass unser physisches Ende ein endgültiges ist, weil weder Götter noch Paradiese, weder Teufel noch Höllen existieren, und dass alle Erinnerungen und Erfahrungen nur für den Lebenden von Bedeutung waren. Das Ganze hätte eher Sinn, wenn es eine Art Gemeinschaftsgedächtnis gäbe, auf das man zugreifen kann, damit wertvolle Talente und große Weisheit der Allgemeinheit nicht verloren gehen, aber dafür gibt es ja Bücher ...

Wer also trotz aller vernunftgetragenen Einwände an eine Art "religiöser" Seele glauben kann, der tue es. Ich kann das nicht.


LG, eKy
« Letzte Änderung: August 21, 2019, 15:26:58 von Erich Kykal »
Ironie: Ich halte euch einen Spiegel vor, damit wir herzlich lachen können.
Sarkasmus: Ich halte euch einen Spiegel vor, weil ich von euch enttäuscht bin.
Zynismus: Ich halte euch einen Spiegel vor, aber ich glaube nicht mehr an euch.

Sufnus

Re: Schlussakkord
« Antwort #8 am: August 21, 2019, 21:50:00 »
eKy, Du alter Brummbär ;), bei Deiner Verständnisheischung zu den Anmerkungen unseres Admirals muss ich einhaken: Die Sprache erweitern heißt die Welt erweitern und wie schon Goethe überspitzte: Je inkommensurabler ein poetischer Gedanke, desto besser. In der Welt der Poesie zählt eben nicht die Simplizität des Ausdrucks (ist zumindest kein Wert an sich), sondern so altmodische Tugenden wie Anmut und Esprit. Wie gut, dass wir unseren Martin haben! :)
Lg Euch allen! :)
S.

Martin Römer

  • Gast
Re: Schlussakkord
« Antwort #9 am: August 21, 2019, 22:32:04 »
Verehrtester Erich,

wirst du wohl die Kirche im Dorfe lassen. Es ist wahr: Anglizismen, das Lapidare wie aus dem Journalismusmilieu, Larifari sind meinem Herzen nicht genehm. Und was die Klage über Bildreichtum anbelangt, hast du dich doch soeben auch nicht mit Ruhm bekleckert.

"Nachvollziehen" wurde - sag ich en passant - von der Stalinismusschlange Ilka-Maria mal auf die Liste der schlechten Vokabeln gesetzt, es käme aus dem Bereich des Urheberrechts oder dergleichen. Der Zeitfaktor sollte uns eigentlich nicht im Vordergrund stehen.

Gebirge sind besser als Seen, über welche jemand wie im Rausche geht und ein kulturell ausgerichtetes Forum sollte einen Hauch des Gebirges durchaus nicht vermissen lassen.
Wo du haufenweise Gleichnisse und Bilder sehen möchtest, ist mir doch ein wenig schleierhaft.
Manche Dinge wollen mit Samthandschuhen angetastet werden, ich möchte nicht als zwangbeseelter Späher durch finstere Wälder schreiten.

Gerne schaffen wir Klarheit: so volle Kanne aus dem nackten Selbst in rauschhaftem Gefühl und in allzu ordinären und verbrauchten Worten seine Kunde zu machen - gewiss, ich degoutiere es ein wenig. Wo ist denn deine Würde, jenseits des Allzugewöhnlichen und Seichten zu stehen? möchte man fast keck erschallen. Verstehe mich nicht falsch: wie habe ich doch eine verschämte Seele! Obschon das bei den zwanzig Schwerperversen und dem Dasein in Schmerzensbädern wohl gar nicht angebracht sein müsste.



***

Was sagte Lady Anneliese über die Seele einstmals: s i e sollte uns lehren, Verse zu schreiben.
Das klingt einigermaßen prägnant.

Ach ja, mein Leben ist auf gelinde oder auch nicht gelinde Weise so eine große Scheußlichkeit, vielleicht daher die Sehnsucht, die Inkohärenz aus Schaffenstrieb und Nihilismus auszusöhnen.
Wie uns doch immer wieder ein Dämon lockt, durch diese Spiralen der Daseinsfragen zu wandern.
Herrlich: "und wenn in tausend Jahren nichts mehr von dir übrig ist - du kannst es dann auch nicht mehr bedauern!"....

Wie war es denn schlussendlich mit deiner guten und so weisen Freundin?
So oft der kühle und agnostische Charakter....... so oft das Jenseits und die Romantik der besonderen Art......
"Das Sechste habe ich in meiner Jugend im Traum gelöst........"
Ja, so ging sie wohl - mit verklärter unvollkommener Gewissheit.....

Ach, von diesem demantvollen Auge, jeden Tag neu zu werten, jeden Tag neu geben, juvenil und losgelassen
und doch vollkommen irdisch mit greifenden und glühenden Händen: bin ich noch immer betört.
Du wirst doch ihr Herzenskindelein nicht auspeitschen wollen.
Nur selten warf sie mit Argumenten und anderen Giften um sich.
Sondern subtiler Scherz und verschiedene Bedeutungsebenen waren angesagt.
Blies ein Infantiler sich nur allzu sehr auf, kam gleich der Gott aus dem alten Testament: momentan fällt mir kein besseres Beispiel ein.
Paar Tage später war wiederum die Rede vom göttlichen Funken......

Wie dem Ganzen auch sei - Lady Annelieses Mystik bleibt fürtrefflich.
"Ein grimmer Gott befahl das Scheiden......"
Das Netz bleibt fest gespannt und undurchlässig, eine Dimension wird beschritten......
Hier hat man nicht akademischer Totschläger zu sein.


Schöne Abendgrüße
Professor Armstrong  ;D

(.... der seinem Rahmen bald entschreiten muss, um schlimme männliche Taten zu vollführen: ein sogenannter großer Augenblick des Lebens.....)


PS Ich werde gewarnt, es gäbe einen neuen Beitrag - welch süße Geste.
Ja, lasst uns hinausgleiten - nur der klaren Sternennacht entgegen!

gummibaum

Re: Schlussakkord
« Antwort #10 am: August 22, 2019, 18:13:12 »
Das hat viel Schwung. Mit Freude gelesen, lieber Erich.

LG g

 

Martin Römer

  • Gast
Re: Schlussakkord
« Antwort #11 am: August 22, 2019, 18:18:57 »
Dies wurde mir des Morgens gezwitschert und warum sollte es in der Schublade verschwinden?

"Dafür gibt es ja Bücher...." - das ist schon eine Art..... manch einer hieße sie naiv und wäre verstimmt.

Diese Widersprüchlichkeit von Lady Anneliese aufzulösen stößt mir immer wieder mal ins Herz.
"In meinen Augen gibt es kein wie auch immer geartetes Leben nach dem Tod"
war ungefähr in gleichem Maße so oft zu vernehmen wie
"dort, dort werden wir vereint" oder "du hast nach mir gerufen!" usw.
Ich begnüge mich mit dem Kompromiss sozusagen, mit den lockeren humorvollen Sentenzen,
wie dass bspw. eine Friedhofsmauer die unnötigste Erfindung der Welt sei.

Hat die Seele ihre Pflicht getan, so kann die Seele schwinden.
Man kann schon ganz logischerweise von Wiedergeburt, Verwandtschaften, Verborgenheiten sprechen....

Um diese Fragen rechtschaffen zu beantworten, müssen woanders Federn gelassen werden.
Heißt, auch die Wertigkeit und Wichtigkeit von "Seelen" muss betrachtet werden.

Manche heißen ja die Kunst als Summe von Geist, Gefühl, Männlichkeit und Zärtlichkeit höher entwickelt.

Wenn alles sinnlos ist, warum gibt es dann alles? Also auch deine Inbrünstigkeit für die bloße Vergänglichkeit aller Dinge und wozu dann alles?
Das alte Wort: mit einer Nadel bloß.....

Lady Anneliese hatte so einen dionysischen Geist -
dem Blühenden zugetan mit leichter Seele
und ohne Winkel und unverlassbare Wege.

Wie ist mein Leben doch erbärmlich!
Es ist zur regelrechten Narrenposse geworden, wo mit jeder Gütigkeit auf der einen Seite ein Grauen auf der andern Seite erweckt wird.
Die zwanzig Jahre der kalten Hölle kann ich mir aufgrund des Gewissens nicht ersparen, das ist ganz sachlich gesagt.
Und solch ein Gewissen könnte doch genannt werden: "das Licht an uns, das niemals endet"......




So viel noch von deinem Seemannsfahrtgeschöpfelein dazu.

Erich Kykal

Re: Schlussakkord
« Antwort #12 am: August 22, 2019, 19:03:18 »
Hi Martin!

Worin wir leben, bauen wir selbst. Wie wir die zufälligen Bausteine, von Leiden bis Glückseligkeit, stapeln und verbauen, liegt bei uns. Was wir uns wichtig machen, was uns Wegweiser ist, was wir verdammen oder woran wir nicht vorbeizudenken vermögen - letztlich unsere Entscheidung innerhalb der Begrenztheit augenblicklichen Wissens und Horizontes, und leider meist von kurzlebigen Gefühlen motiviert.
Wenn also die Welt für dich nur eine "Narrenposse" sein kann, liegt das an deiner eigenen Begrenztheit, Dinge anders zu betrachten, oder du hast ein Bedürfnis dazu, dich selbst zu quälen, ob es dir bewusst ist oder nicht. Nimm zB deine extreme Fixierung auf Anneliese, die du praktisch in jedem Kommi erwähnst ...

Und "was das alles soll"? - Nichts! Es hat keine tiefere Bedeutung, und wenn, kann unser kleiner, allzu sterblicher Geist sie (noch?) nicht erfassen. Aber die Sinnfrage liegt auch an uns: Der menschliche Geist ist leider eine Sinnsuchmaschine - alles soll Ursache und Wirkung haben, die erforschbar sind. Unsere Existenz sowie die des Universums, in dem wir sind, kann von uns also nicht als gegeben hingenommen werden, damit fühlen wir uns nicht wohl. Es ist also ein Fehler in unserem Denken, der uns so unglücklich macht. Könnten wir die Sinnlosigkeit als solche einfach positiv akzeptieren, ohne gleich unser ganzes Sein mit wegzuwerfen, weil, wie manche glauben, "nichts Sinn machen könne, wenn nicht alles Sinn macht", wir wären glücklichere, bescheidenere und ausgeglichenere Wesen.

Denn hier ist zu unterscheiden zwischen dem "großen" Sinn, den der Mensch sich gern als "größer als er selbst" vorstellt, und um den herum er seine Welterklärungsmodelle, sprich Religionen, entwirft, und dem "kleinen" Sinn, den jedes Individuum dem eigenen Sein und Wirken zuspricht und verleiht. Und das muss beileibe nicht ein- und dasselbe sein. Also nicht immer gleich das Kind mit dem Bade ausschütten!

Und Friedhofsmauern waren absolut nicht unnötig:

1) Als sichtbare Grenze zwischen dem Land der Lebenden und dem Bereich der Toten.
2) als Barriere für unruhige Geister und Gespenster - sie beruhigte die Abergläubischen.
3) Als Kennzeichnung für den Bereich der "geweihten Erde", in dem Selbstmörder nicht beerdigt werden durften.
4) als Behinderung für Grab- oder Leichenräuber.
5) Als optische Sperre wider den Bereich, mit dem sich kein Lebender gern auseinandersetzt: Dem Tod, und damit dem eigenen.

Du siehst - viele "gute" Gründe, je nach dem, was Menschen sich einreden oder einreden lassen ...  ;)
Ich persönlich habe nie verstanden, warum sich die Menschen zum Gedenken an ihre Lieben unbedingt an die Stelle begeben wollen, an denen die fleischlichen Reste dieser Lieben unterirdisch verrotten! (Grusel! - Nicht vor den Leichen, sondern den Lebenden!  :o)

LG, eKy
« Letzte Änderung: August 22, 2019, 19:08:14 von Erich Kykal »
Ironie: Ich halte euch einen Spiegel vor, damit wir herzlich lachen können.
Sarkasmus: Ich halte euch einen Spiegel vor, weil ich von euch enttäuscht bin.
Zynismus: Ich halte euch einen Spiegel vor, aber ich glaube nicht mehr an euch.