Autor Thema: Die Mär vom Paradies  (Gelesen 900 mal)

Erich Kykal

Die Mär vom Paradies
« am: Dezember 24, 2019, 11:25:09 »
Man wollte holde Menschen hier
wie Schäfchen auf der Weide,
und alle liebten sich, und nie
tät man sich was zuleide!

Doch ach, man war nicht einig hier
und lag sich in den Haaren!
Man blieb sich treu und kontrovers,
sogar nach vielen Jahren.

Der hohe Vater, Herr der Welt,
wo all das sich bewegte,
die er erschuf als Paradies,
wo er der Ruhe pflegte,

wo er sich selbst durchaus erbost
zuweilen hat ergangen,
ward ungehalten, als zuviel
der Meinungen erklangen.

So dachte er – was kann man tun,
um alles zu befrieden,
und wieder eitel Freude herrscht
und Wonnesinn hienieden?

Am besten macht man alles dicht,
will etwas man nicht hören,
dann kann, was einem unliebsam,
die Seelenruh nicht stören.

Von starker Hand wird „aufgeräumt“,
und was die Laune mindert,
hat hier von Freiheit ausgeträumt:
Das Übel ist gelindert.

Die hohe Kunst der Diktatur
ist die Zensur.

Doch war dies wirklich sein Begehr,
sein ehrliches Motiv,
der so lang schwieg zu allem hier
und seine Pflicht verschlief?

Vielleicht ward ihm die Last zu schwer,
die Schöpfung zu erhalten,
und nötig nur ein „guter Grund“,
sie endlich abzuschalten?
« Letzte Änderung: Dezember 24, 2019, 11:36:00 von Erich Kykal »
Ironie: Ich halte euch einen Spiegel vor, damit wir herzlich lachen können.
Sarkasmus: Ich halte euch einen Spiegel vor, weil ich von euch enttäuscht bin.
Zynismus: Ich halte euch einen Spiegel vor, aber ich glaube nicht mehr an euch.

gummibaum

Re: Die Mär vom Paradies
« Antwort #1 am: Dezember 25, 2019, 12:16:20 »
Ja, lieber Erich, die Auffassung, der Mensch sei friedfertig, ist falsch. Jeder kennt eigene Stimmungsschwankungen, und es reicht oft wenig, dass man aus der Haut fahren möchte, selbst wenn man ganz allein ist. So sind viele Sicherungen auf persönlicher und überpersönlicher Ebene nötig, damit man es nicht tut (sie reichen vom Zwang bis zur Freiheit), und man muss sie ständig warten und nachbessern. Ein Schöpfer, der glaubt, er könne sich irgendwann zur Ruhe setzen, hat das wesentliche seiner Aufgabe nicht verstanden.

Umgekehrt ist die Agression ja auch gut, damit man sich wehren kann, um in den tatsächlichen Verhältnissen, die kein Paradies sind, seine Existenz zu sichern und etwas vom Glück abzubekommen.

Auch das Weihnachtsfest (vielleicht der Anlass zu diesem Gesicht) ist dem Unfrieden nur abgerungen. In harten Zeiten gewährte es immerhin eine kurzfristige Erholung vom Leid. 

Herzliche Grüße von gummibaum

 
« Letzte Änderung: Dezember 25, 2019, 12:25:58 von gummibaum »

Eleonore

  • Gast
Re: Die Mär vom Paradies
« Antwort #2 am: Dezember 25, 2019, 13:38:15 »
Hallo Erich,

Frieden entsteht durch Verhandlung, nicht durch Vereinbarung.

Den wesentlichen Gehalt dieses Satzes habe ich vor drei Jahren circa sehr intensiv erleben müssen:
Nach Jahren in einem Kollegium, wo jede gegen jede erbittert und erbiestert gekämpft hatte,
haben sich die Machtverhältnisse gedreht und eines der Biester war Chefin geworden.
Just zu diesem Anlass sollte der Frieden einkehren und alle sich die Hände küssen.

Dass dies nicht funktioniert, wurde dabei grob übersehen.

Ein "Projekt" , eine Firma oder was auch immer, wo etwas in Schräglage sich befindet,
muss gewartet werden. Sind dabei Menschen beteiligt, müssen (!) diese gehört werden.

Da die meisten Chefs und Chefinnen wenig Führungskompetenz haben (was gute Führung anbelangt),
wird eher zu solchen Friedensvereinbarungen gegriffen, wie ich sie oben geschildert habe
und / oder das ganze Projekt wird geschlossen.

 "Es soll Ruhe herrrschen und Ordnung!" - die alteingesessenen Tugenden der Deutschen, die Fortbewegung schier unmöglich machen. Das geht im Kindergarten los, wo die kleinen lebendigen Zwurkel sich den Regeln von Frauen unterordnen müssen, die ihre Pädagogik kurz nach dem WK II gelernt haben müssen und endet im Altenheim. *gruslig* aber ordentlich  ;D

Danke für Deine Gedanken dazu, die mich zu den meinigen - angeregt haben.

lG Eleonore

« Letzte Änderung: Dezember 25, 2019, 14:13:23 von Eleonore »

Erich Kykal

Re: Die Mär vom Paradies
« Antwort #3 am: Dezember 27, 2019, 00:59:10 »
Hi Gum, Eleonore!

Ihr seid nicht ganz beim Anlass meiner Zeilen angekommen, aber das macht nichts. Eure Interpretationen/erweiternden Gedanken gefallen mir gut.  :)

Vielen Dank für die Beiträge!

LG, eKy
Ironie: Ich halte euch einen Spiegel vor, damit wir herzlich lachen können.
Sarkasmus: Ich halte euch einen Spiegel vor, weil ich von euch enttäuscht bin.
Zynismus: Ich halte euch einen Spiegel vor, aber ich glaube nicht mehr an euch.

wolfmozart

Re: Die Mär vom Paradies
« Antwort #4 am: Dezember 28, 2019, 11:31:04 »
Kluges Gedicht, Erich.
Und mutig ausgeführt, scheinbar ohne Einschränkung die eigene Meinung kundgetan.

Lieben Gruß wolfmozart

Erich Kykal

Re: Die Mär vom Paradies
« Antwort #5 am: Dezember 28, 2019, 13:21:38 »
Hi WM!

Vielen Dank für den freundlichen Zuspruch!  :)

LG, eKy
Ironie: Ich halte euch einen Spiegel vor, damit wir herzlich lachen können.
Sarkasmus: Ich halte euch einen Spiegel vor, weil ich von euch enttäuscht bin.
Zynismus: Ich halte euch einen Spiegel vor, aber ich glaube nicht mehr an euch.

Agneta

  • Gast
Re: Die Mär vom Paradies
« Antwort #6 am: Januar 04, 2020, 18:40:02 »
zunächst denkt man, es geht um den lieben Gott, dann aber wird schnell klar, dass es um einen Menschen geht, der etwas verwaltet. Mir würde hier speziell zu deinen Zeilen ein Forum einfallen, ein ganz bestimmtes. Menschen bleiben, auch im netz immer Menschen und so benehmen sie sich dann eben auch.
LG von Agneta

Erich Kykal

Re: Die Mär vom Paradies
« Antwort #7 am: Januar 05, 2020, 00:50:04 »
HI Agneta!

Du hast es getroffen!  ;)

Die beiden letzten Strophen sind eigentlich obsolet, denn das Forum ist mittlerweile wieder online. Hab mich zunächst gefreut, auch weil ich endlich ein paar Kommis zu meinen Gedichten bekommen hatte (dort kommentierte mich kaum noch jemand), bis ich merkte, dass man mein Archiv ohne mein Wissen oder Einverständnis zensiert hatte - mehrere Gedichte mit dort unwillkommenem politischen Inhalt (gegen AfD, Nazis und Islamophobie) waren während der Sperre entfernt worden - um "den Frieden zu wahren", wie man mir sagte, und ich solle von nun an solche Themen nicht mehr berühren, da es in einem Gedichteforum um Lyrik gehe und nicht um Politik. (Meine Gedichte GEGEN den Islam oder die Fehler der aktuellen Regierungen Europas wurden interessanterweise nicht entfernt ...)
Argument war, ich hätte mich eh nur mit bestimmten anderen Autoren "gefetzt", und man wolle keinen Streit mehr. Aufrichtigerweise muss man zugestehen, dass deren Werke auch zensiert wurden, aber das macht für mich die Tat an sich nicht erträglicher.
Mag sein, dass ein Forenbetreiber das in die Regeln eingeschriebene Recht dazu hat - das moralische Recht hat er in meinen Augen nicht. Ich fühlte mich wie jemand, der heimkommt und feststellen muss, dass Einbrecher da waren. Witztig die Benachrichtigung, man würde mir die entfernten Werke gern per Email zuschicken, wenn ich dessen bedürfte - etwa so, als riefe mich der Einbrecher hinterher an, um mir mitzuteilen, er hätte nur "aufgeräumt", das Diebesgut aus meinem Haus für wertlos befunden und würde es mir auf Anfrage gern jederzeit per Paketdienst retournieren, solang ich es im Keller verstaue, wo es keiner mehr sehen kann ...

Mein Schreiben wider Herzenskälte, Grausamkeit und Intoleranz wurde mir als "fanatische Verstiegenheit jenseits aller politischen Korrektheit" ausgelegt, und ich solle froh sein, dass mich niemand verklagt hätte von denen, die ich mit meinen Versen beleidigt hätte. Man schien ernsthaft meinem Ansinnen gegenüber völlig verständnislos, so als wäre meine Sicht der Dinge gar nicht vorstellbar ...
Dazu kam zuletzt: In über 10 Jahren hatte ich mich dort selten beschwert, aber wenn, dann mit aus meiner Sicht guter Begründung. Nun wurde ich hingestellt, als wäre ich wie ein greinendes Kleinkind ständig gelaufen gekommen, um mir vom Oberonkel helfen zu lassen, wenn irgendwer "böse" zu mir war. Oder hätte mit meinen (seltenen) Beschwerden nur versucht, manipulativ jene loszuwerden, die mir opponierten. Nebenbei: Fast alle, über die ich mich je beschwerte, sind später geflogen, nicht meinetwegen, sondern weil sie wirklich unzurechnungsfähig oder boshaft waren, trollig oder ätzend.

10 Jahre Engagement ...

Da denkt man, man wäre jemanden nach so langer Zeit freundschaflich verbunden, könnte mit moralischer Unterstützung rechnen für aufrichtige Meinung - nur um irgendwann feststellen zu müssen, dass man sich da was vorgemacht hat. So lang ich brav funktioniert habe und mit guter, aber politisch unverfänglicher Lyrik Leser ins Forum brachte, war ich der "gute Junge vom Dienst", aber sobald ich mich gegen die neue harte Rechte wandte, zerbröselten schlagartig alle Sympathien. Man sollte meinen, dass gebildete und sensible Dichter grundsätzlich ein Gefühl für Menschwürdigkeit, Menschenwerte und moralische Intergität hätten, aber ich musste erkennen, dass manche wohl selbst rechte Agenten oder Mitläufer sind - oder zu naiv, verbohrt oder dumm, um zu erkennen, wem sie nachlaufen und das Wort reden.

Und das sage ich nicht, weil ich ein "linksliberaler Spinner" wäre, wie mir unter vielem anderem unterstellt wurde, sondern ausschließlich aus allgemeinen ethischen und sozialen Erwägungen - weil ich erkenne, wie herzkalt, brutal und widerlich entmenschlichend diese patridiotischen Holzköpfe reden und agieren! Zieh dir mal ein paar Bierzeltreden von Bernd Höcke rein, dann weißt du, was ich meine ...
Und von den noch rechteren Strömungen wie NPD und noch extremeren Nazigruppierungen reden wir gar nicht erst - die wünschen sich längst neue KZs, weil sie, wie sie stolz behaupten, bis 45 nicht alle erwischt hätten, die ausgerottet werden sollten!

Na gut - man will dort ein flurbereinigtes, apolitisches Forum, eine geistes- und meinungskastrierte Wohlfühlzone für Schweizimitanten und Blümchendichter (das Etikett musste ich selbst lange Jahre mit mir rumschleppen!). Das könnte ich vielleicht noch ertragen - aber der Überfall auf mein Archiv war für mich unerträglich, sozusagen der letzte Sargnagel, und keine noch so "logischen" Erklärungen ändern da was daran. Das war ein Akt der Verstümmelung, der Zensur, eine entwürdigende Breitseite willkürlicher Machtausübung.

Ich werde jenen Hallen jetzt erst mal sehr lange fernbleiben. Nicht, weil ich jemanden bestrafen will, aus Revanche oder anderen niederen Gründen. Einfach, weil ich mich unverstanden, verletzt und zu Unrecht beschuldigt fühle, weil ich die defaitistische Stimmung dort nicht verstehe, das Verstecken hinter unerträglich überzogener "political correctness", und weil ich mich nicht zum Schweigen bringen lasse, wenn man auf meinem Recht der Meinungs- und Redefreiheit herumtrampelt.

Ich werde versuchen, mich abzuregen, um objektiv sein zu können, falls ich es in dieser Sache jemals nicht war. Aber letztendlich wird es wohl vorbei sein. Ich schreibe ohnehin kaum noch - ein letztes Buch heuer, und das soll es dann gewesen sein. Ich werde mich im Laufe des heurigen Jahres langsam aus dem Internet verabschieden.
Weiß ohnehin, wie's laufen wird: Wenn irgendeiner von "drüben" liest, dass ich mich hier zu "Foreninterna" geäußert habe, wird man mich dort als "Verräter" brandmarken  - sie erweitern ihre geistige Kleinstaaterei auch noch auf die Poesie! Das Forum ist wichtiger als das, was darin zu lesen sein sollte ...


LG, eKy
« Letzte Änderung: Januar 05, 2020, 01:24:32 von Erich Kykal »
Ironie: Ich halte euch einen Spiegel vor, damit wir herzlich lachen können.
Sarkasmus: Ich halte euch einen Spiegel vor, weil ich von euch enttäuscht bin.
Zynismus: Ich halte euch einen Spiegel vor, aber ich glaube nicht mehr an euch.

Sufnus

Re: Die Mär vom Paradies
« Antwort #8 am: Januar 10, 2020, 13:02:39 »
Hey eKy!
Ich hoffe, Du bist trotz der als Beitrag zur Befriedung getarnten Zensurpolitik im Eiland und des dort bis dato nicht aufgearbeiteten antidemokratischen Verständnisses einiger Schreiber wohlauf!
Ist auch Dein so wichtiges (und sehr schönes!) Gedicht "Gegen Nazis" dem Rotstift zum Opfer gefallen oder nur in unzugängliche Eilandbereiche verschoben worden (was immerhin eine halbe Zensurmaßnahme wäre)? Gut und wichtig, dass diese Deine Zeilen via Wiese noch öffentlich lesbar bleiben!
Liebe Grüße!
S.

Erich Kykal

Re: Die Mär vom Paradies
« Antwort #9 am: Januar 10, 2020, 22:09:09 »
Hi Suf!

Nein, alle gegen AfD oder (Neo)Nazis gerichteten Gedichte wurden entfernt, auch aus meinem dortigen Archiv. Man bot mir an, sie mir per Email zuzusenden, hätte ich dessen bedurft.
Entfernt wurden aber auch die islamfeindlichen und patriotisch gefärbten Gedichte mancher Widersacher. So gesehen glaube ich schon, dass es der Forenleitung um Frieden geht und nicht dezidiert um Stärkung rechter Elemente. Nur die Art, wie man diesen Frieden erzwingen wollte, kann ich nicht gutheißen. Totschweigen hat noch nie ein Problem gelöst, und ich denke, die wesentlichen Verantwortlichen dort sehen das "rechte" Problem gar nicht - oder wollen es nicht wahrnehmen.
Man schalt mich, als wären die von mir bedichteten Herrn respektable Bürger mit Recht auf ihre Ansichten, demokratisch akzeptabel und als politische Menschen tatsächlich im Bedarfsfall wählbar und diskussionswürdig. Als wäre ich der Unfriedenstifter und nicht derjeneige, der sich gegen die rechte Welle wehrt und gegen die Kälte und Härte dieser Leute anzukämpfen versucht. Als würde ich völlig überzogen reagieren, übersteuernd verunglimpfen und zu Unrecht zu Felde ziehen, verbissen und "fanatisch", wie man unterstellte.

Ich glaube, die dortige Forenleitung begreift nicht einmal ansatzweise, was in diesem Lande vorgeht - oder will es nicht erkennen. Sie wiederum glauben von mir, ich würde demokratische Reife und politische Korrektheit nicht begreifen oder verwerfen. Nun, Intelligenz kann sich in vielen Weisen zeigen, und nicht alle sind jeweils für anders Denkende nachvollziehbar. Für mich sind sie vernagelt, für sie bin ich es - für mich sind sie blind auf dem rechten Auge: Biedermann und die Brandstifter, für sie bin ich fanatisch und übertrieben rechtsfeindlich. Standpunkte können tödlich sein.

LG, eKy

Ironie: Ich halte euch einen Spiegel vor, damit wir herzlich lachen können.
Sarkasmus: Ich halte euch einen Spiegel vor, weil ich von euch enttäuscht bin.
Zynismus: Ich halte euch einen Spiegel vor, aber ich glaube nicht mehr an euch.