Autor Thema: Freiheitsspiel  (Gelesen 1401 mal)

gummibaum

Freiheitsspiel
« am: April 04, 2020, 12:15:12 »
Im Knoten sah ich mich als Kind
an meiner Peitschenschnur,
der rauschend wie Gewitterwind
beim Schlag die Luft durchfuhr.

Und glückte dann der Peitschenknall,
der laut nach Freiheit roch,
entschlüpfte ich dem eignen Schall
und ließ ein Mauerloch…
 

Erich Kykal

Re: Freiheitsspiel
« Antwort #1 am: April 04, 2020, 20:54:09 »
Hi Gum!

Ein peitschenknallendes Kind? - Ländliches Brauchtum? Reitergut oder Viehtrieb? Folterkeller für sexuelle Abartigkeiten?

Warum sah sich das Kind ausgerechnet im Knoten der Peitsche? Weil der den größten Schmerz - oder Knall - verursacht? Sadismus oder Masochismus? Beides?

Inwiefern kann ein Peitschenknall nach Freiheit riechen? Ist nicht gerade dieser das Zeichen für Versklavung und Unterdrückung? Aber ehrlich gesagt, selbst wenn man vom harmlosesten Bild ausgeht, das sich da aufdrängt - das ländliche Brauchtum - so kann ich die Aussagen nicht mit einem logischen, stringenten Sinn verknüpfen.

Dem eigenen Schall zu entschlüpfen - ein Gleichnis dafür, sich selbst zu widerlegen, sich selbst - oder gesellschaftlichen Zwängen - zu entkommen?

Und das so plötzlich im letzten Bild auftauchende Mauerloch - obwohl im ganzen Werk sonst kein Mauerbild vorkommt, nur ein Symbol für die geglückte Flucht? In dem Fall für den Leser etwas abrupt und verwirrend: War das Kind nun physisch eingesperrt - oder doch nur psychisch? Und in jedem Falle: Warum hatte es eine Peitsche, an die es sich zu allem Überfluss gefesselt (oder darin eingeknotet) fühlte?

Solche Fragen bestürmen mich bei der Lektüre dieses Gedichtes. Ich ersuche um Antworten.  :-\

LG, eKy
Ironie: Ich halte euch einen Spiegel vor, damit wir herzlich lachen können.
Sarkasmus: Ich halte euch einen Spiegel vor, weil ich von euch enttäuscht bin.
Zynismus: Ich halte euch einen Spiegel vor, aber ich glaube nicht mehr an euch.

Sufnus

Re: Freiheitsspiel
« Antwort #2 am: April 04, 2020, 21:59:20 »
Ein spielendes Kind. Ein wilder Junge wohl, der beim Peitschenknall Marlboro-Mann-mäßig von der weiten Welt träumt.
Wieso eKy ins Rätseln kommt, mag zunächst verwundern. Doch tatsächlich scheint in gums vermeintlich eindeutigen Gedicht eine metaphorische Ebene eingefügt zu sein. Mir drängt sich - wenngleich der Überschallknall der Peitsche da nicht wortwörtlich hinpasst - etwas das Bild der Nabelschnur und eine Geburtsphantasie auf... mag nicht die Hauptzielrichtung der Verse sein, aber das "Kind am Knoten" und die Anspielung auf den Lärm (Geburtsschrei) beim "Entschlüpfen" (sic!) spielen zumindest etwas in diese Richtung... :)
Sehr gerne gelesen!
S.

Eisenvorhang

  • Gast
Re: Freiheitsspiel
« Antwort #3 am: April 04, 2020, 22:21:18 »
Hi gummibaum,

ich lese... ein junges nach Freiheit drängendes Geschöpf, das mit dem Kopf durch die Wand will,
und dabei sich nicht das Genick bricht, sondern ein Loch in der Mauer hinterlässt.
Das Entschlüpfen passt gut zum in S1 erwähnten Kind. Es geht also wohl auch um Reife, Entfaltung, ein gewisser Grad an Skrupellosigkeit und Konsequenz.
Interessant ist auch der Knoten.

vlg

EV

gummibaum

Re: Freiheitsspiel
« Antwort #4 am: April 04, 2020, 23:46:50 »
Danke, lieber Erich, lieber Sufnus und lieber Eisenvorhang. Verständlich scheint der kleine Text nicht zu sein. Vielleicht bin ich ja aus der Übung.

Die Peitsche gehörte zum Spielzeug, um Kreisel zu treiben, die Kraft daran auszulassen und den Knall zu üben. Bei dieser Übung fühlte ich mich ganz in den Knoten am Ende der Schnur hinein: ihm beizustehen, den Schall des Rauschens zu erzeugen und ihm schließlich davonzueilen, d.h., die Schallmauer zu durchbrechen. Und wenn es gelang (die Mauer, kindlich gedacht, ein Loch hatte), so fühlte ich Freiheit.

Nicht anders mag es dem ersten Piloten gegangen sein, der seinen Schall überholte und denen, die später (2003) mathematisch bewiesen, dass es das Ende der Peitschenschnur schon immer konnte. 

Herzliche Grüße
gummibaum
« Letzte Änderung: April 05, 2020, 11:49:19 von gummibaum »

Erich Kykal

Re: Freiheitsspiel
« Antwort #5 am: April 05, 2020, 11:33:17 »
Hi Gum!

Mit Erklärung macht es endlich Sinn, obwohl man heutzutage kaum noch Kreisel verkauft, und wenn, dann welche, die ohne die Peitsche funktionieren, und wenn schon, dann nur mit einem Stück Schnur zum Abziehen. Ist wohl ein Spielzeug aus früheren Tagen - bloß jüngere Leser würden nie drauf kommen. Ich auch nicht, denn solche Peitschenkreisel waren bei uns unüblich.

Du solltest den Text erweitern, um die Verbindung von Peische, Kreisel, Überschallknall und "Schall"mauer deutlich zu machen, sonst ergibt sich leider hier kein roter Faden.

LG, eKy
Ironie: Ich halte euch einen Spiegel vor, damit wir herzlich lachen können.
Sarkasmus: Ich halte euch einen Spiegel vor, weil ich von euch enttäuscht bin.
Zynismus: Ich halte euch einen Spiegel vor, aber ich glaube nicht mehr an euch.

gummibaum

Re: Freiheitsspiel
« Antwort #6 am: April 05, 2020, 12:12:50 »
Danke, lieber Erich. Ja, vielleicht schreibe ich es noch mal aus der Sicht des Knotens oder der Schallmauer.

Sonntagsgrüße von gummibaum

https://www.youtube.com/watch?v=aHlFYHticq4
 

Sufnus

Re: Freiheitsspiel
« Antwort #7 am: April 05, 2020, 14:37:26 »
Ich würde eKy hier vorsichtig widersprechen. ;) Wir hatten die Debatte ja schon einige Male und sie wird (und soll!) sich nicht auflösen lassen, in dem am Ende einer recht hat und der andere sich irrt - es geht mir also nicht darum, mich durchzusetzen oder das letzte Wort zu haben, sondern nur um den diskursiven Austausch von Argumenten :)
Meines Erachtens sollte in einem Gedicht nicht notwendigerweise alles haarklein erklärt werden, bis jeder die Verse nur noch auf eine einzige Weise lesen kann. Ich will nicht sagen, dass ein inhaltlich eindeutiges Gedicht zwingend "schlechter" ist als eines, das sich nicht auf eine Lesart festlegt. Aber ich plädiere doch dafür auch einmal ganz bewusst in einem Gedicht etwas stehen zu lassen, was (scheinbar) "nicht richtig reinpasst" oder mehrdeutig oder sogar unverständlich ist. Natürlich ist das ein schmaler Grat: Mancher Faulpelz macht sich einfach keine Mühe und deklariert hinterher ein wirres Textkuddelmuddel zur gewollten Hermetik. Auch aus dieser Gefahr heraus bin ich eKy für sein Pochen auf Sinn durchaus dankbar... aber unser gum ist über jeden Verdacht der Struddelei himmelhoch erhaben... ich würd dieses sehr schöne Gedicht genau so lassen, wie es ist, auch (und gerade!) dann, wenn verschiedene Menschen es dann vielleicht unterschiedlich für sich deuten. :)
LG!
S.

Erich Kykal

Re: Freiheitsspiel
« Antwort #8 am: April 06, 2020, 00:37:59 »
Hi Suf!

Danke für die Ausführung. Bei mir ist es so: Wenn ich ein Gedicht lese, will ich mich auskennen, was der Autor damit sagen will, was er bezweckt, was die Bilder aussagen sollen und wie sie zueinander in Relation stehen. Das verstehe ich unter "rotem Faden".
Es mag eine eigene Lyrikgattung geben, die sich darin gefällt, Mystizismus zu produzieren, statt durch Sprachkunst durch Verwirung oder Geheimnis zu wirken - nicht mein Geschmack.
Schlimmer die dekonstruktivistischen Experimente wie Dadaismus oder rein onomatopoetische Werke wie zB Jandl's "Schtzngrm" (Schützengraben) - als intellektuelle Effekte tragbar, aber als Lyrik möchte ich das nicht mehr bezeichnet wissen.
Zuletzt - und am allerschlimmsten - die reine "Hirnwixerei" derer, die es sich gern leicht machen, oder die nicht wissen, wie sie eine elitär überintellektualisierte Leserschaft sonst noch mit "Neuem" beeindrucken könnten: Unterbewusstes abtropfen zu lassen, indem man aufschreibt, was einem gerade so durch die Birne zirkuliert, unzusammenhängend und sinnbefreit, quasi verbalisierter zerebraler Mittelstrahl! Und das voll mitten in das Gesicht jedes Lesers! Wuääärks!!!

Nicht, dass dies hier der Fall wäre - sonst hätte ich gar nicht erst kommentiert. Ich finde bloß, dass MIR ganz persönlich dieser Text hier zu wenig Sinn ergibt, als dass ich als Leser damit zufrieden sein könnte, und ich habe dies mitgeteilt, weiter nichts.

LG, eKy
Ironie: Ich halte euch einen Spiegel vor, damit wir herzlich lachen können.
Sarkasmus: Ich halte euch einen Spiegel vor, weil ich von euch enttäuscht bin.
Zynismus: Ich halte euch einen Spiegel vor, aber ich glaube nicht mehr an euch.