Autor Thema: Trunk sucht  (Gelesen 762 mal)

AlteLyrikerin

Trunk sucht
« am: Juni 25, 2020, 17:28:43 »
Die Leere gierig füllen,
den Schrei hinunter schlucken,
die Hoffnung stumm ertränken.

Im Zerrspiegel des Fließenden,
die Sehnsucht verspottend,
dem lächelnden Tod begegnen.

stephanus mall

Re: Trunk sucht
« Antwort #1 am: Juni 27, 2020, 22:10:50 »
Oh ja,liebe AL,
das kann man nur als freien Text fassen,
jedes abgestimmte Metrum würde es
konterkarieren.
Es muss so ausgefranst klingen wie sein
Inhalt nun mal ist.
Du hast es treffend rüber gebracht, es
passt alles, von der ersten Zeile an.
Ein trauriges Thema sehr gut gefasst.
Beste Grüße
stm

AlteLyrikerin

Re: Trunk sucht
« Antwort #2 am: Juni 29, 2020, 12:33:23 »
Lieber stephanus,


herzlichen Dank für den zustimmenden Kommentar. Da muss man ganz nahe dran sein, um dazu etwas schreiben zu können, das nicht einfach nur pauschale Verurteilung ist. Dennoch hat es bei mir Jahrzehnte gedauert bis ich die Sprachlosigkeit überwinden konnte. Ich sah meine Mutter und einen Bruder an Alkoholismus sterben. Da gibt es nur ohnmächtiges Danebenstehen, weil Du nichts tun kannst, wenn die erkrankte Person therapieresistent ist.
Herzliche Grüße, AlteLyrikerin.

Erich Kykal

Re: Trunk sucht
« Antwort #3 am: Juni 29, 2020, 15:13:55 »
Hi AL!

Mit dem von dir beschriebenen Hintergrund gewinnen die Zeilen zusätzlich an Prägnanz und Schwere. Unvorstellbar, was du mitgemacht haben musst, gerade mit geliebten Menschen, die sich unerreichbar machten. Es kommt einem wie eigenes Versagen vor, wenn man sich zuletzt selbst emotional abnabeln muss, um nicht zu verzweifeln. Aber sei versichert: Es ist nie die Schuld derer, die danebenstehen und dabei zusehen müssen, wie ein geliebter Mensch sich bewusst vernichtet, auch wenn diese Erkenntnis die Sache nicht weniger schmerzlich macht.

War Mitte 20 selbst auf der Kippe zum Alkoholismus (ca. vier Vollräusche pro Woche). War rein psychisch, denn das Zeug schmeckt mir nicht mal, im Gegenteil - ich bekomme schon beim Geruch von Alkohol Brechzreiz! Daher musste ich immer harte Schnäpse trinken (Whisky, Wodka) und sie "tarnen", mit Orangensaft, Cola oder Red Bull.

Irgendwann musste ich mich entscheiden: So weitermachen und irgendwann draufgehen - oder mich zusammenreißen und lernen, wann's genug ist. Da es mich heute noch gibt - und (leider?) stocknüchtern, dürfte meine damalige Wahl klar sein. Soff die nächsten 15 Jahre nur noch wochenends auf Bikertreffen, ritualisierte sozusagen den Drang, bis ich ihn sukzessive überwinden, daraus herauswachsen konnte. Als ich erkannte, dass ich mir weder die Welt schönsaufen konnte, noch mich mir selbst, verlor das Bedürfnis endgültig an Bedeutung. Seit 15 Jahren bin ich rauschlos unglücklich - aber das war ich mit Rausch ja auch schon ...  ;) ::) 8)

Gern gelesen!  :)

LG, eKy

Ironie: Ich halte euch einen Spiegel vor, damit wir herzlich lachen können.
Sarkasmus: Ich halte euch einen Spiegel vor, weil ich von euch enttäuscht bin.
Zynismus: Ich halte euch einen Spiegel vor, aber ich glaube nicht mehr an euch.

AlteLyrikerin

Re: Trunk sucht
« Antwort #4 am: Juni 29, 2020, 15:39:12 »
Hi Erich,


vielen Dank für Deinen Kommentar. Hellsichtig hast Du den Finger auf das Wesentliche gelegt. Die Schuldgefühle derer, die letztlich nichts tun können, sich aber schuldig fühlen, wenn sie sich abgrenzen müssen um zu überleben.


Um Deine einschlägigen Erfahrungen beneide ich dich nicht! Großartig, dass Du es geschafft hast da heraus zu kommen. Das stützt übrigens eine meiner Thesen. Kunst kommt - nicht zwangsläufig und nicht in jedem Fall - aus dem Leid und dem Schmerz.
Die Psychotherapeutin Lou Andreas-Salomé, eine Zeit lang liiert mit Rilke, riet ihm ab sich analysieren zu lassen. Er würde sich - möglicherweise - danach etwas besser fühlen, doch könne die Analyse sein künstlerisches Potential beeinträchtigen.
Herzliche Grüße, AlteLyrikerin.

Erich Kykal

Re: Trunk sucht
« Antwort #5 am: Juni 29, 2020, 15:52:11 »
Hi AL!

Alles, was uns dienlich ist, "die Leere gierig zu füllen", mag uns inspirieren und weitertragen.

Manches ist erfüllend, maches selbstzerstörerisch, manches bewusst, manches unbewusst - aber letztlich macht es uns und das Leben selbst interessanter, intensiver. Ob in Gnade oder Weh - wir erfühlen - und erfüllen uns darin.

LG, eKy

Ironie: Ich halte euch einen Spiegel vor, damit wir herzlich lachen können.
Sarkasmus: Ich halte euch einen Spiegel vor, weil ich von euch enttäuscht bin.
Zynismus: Ich halte euch einen Spiegel vor, aber ich glaube nicht mehr an euch.

AlteLyrikerin

Re: Trunk sucht
« Antwort #6 am: Juni 29, 2020, 16:14:41 »
Hi Erich,
Zitat
]Ob in Gnade oder Weh - wir erfühlen - und erfüllen uns darin
Das hast Du wirklich schön gesagt, und es trifft mitten in das Herz eines tiefen Problems.
Das einzige, was ich mir wirklich nur schwer verzeihen kann, ist die Unfähigkeit meinen Bruder so anzunehmen wie er war. In den letzten Wochen seines Lebens (von denen ich allerdings nicht wusste, dass es die letzten sein würden) hab ich bei Besuchen immer noch versucht über sein Alkoholproblem mit ihm zu reden. Mit zitternden Gliedmaßen, nicht mehr fähig zu gehen, saß er mir gegenüber, aber ein Alkoholproblem hatte er nicht. Wie peinlich müssen ihm diese Gespräche gewesen sein. Er konnte seine Alkoholkrankheit nicht zugeben und eine Therapie versuchen. Wenn er es gekonnt hätte, dann hätte er das versucht, denn recht viel elender hätte sein Leben gar nicht mehr werden können.
Ich hätte seinen Weg akzeptieren müssen. Manchmal kann man sich nur vor dem Leid eines Menschen verneigen und jede "messianische" Anwandlung als Anmaßung unterlassen.
Danke für Deine Sicht auf diese Dinge, AlteLyrikerin.