Die Frau mit dem Buchladen
Tag um Tag gebannt in ihr Gewölbe,
Stund um Stunde in der Bücher Kreis,
ordnet und verzeichnet sie dasselbe,
und zu Feierabend schließt sie leis
ihre Pforte fast wie eine Bibel,
die ihr antiquarisch kostbar deucht,
blickt hinauf zum aufgesteilten Giebel,
der in sternbestreute Himmel reicht,
weiß um alles, was sie treulich bindet
in ihr Reich aus Träumen auf Papier,
hoffend immer, dass ein andrer findet,
was sie fand in all den Jahren hier.
Der Mann mit dem Kiosk
Tabak, Zeitung, Magazine,
Krimskrams, Feuerzeug und Lose,
und dazwischen seine Miene,
wund wie eine Gürtelrose.
Stifte, Bändel, Fußballkarten,
Groschenhefte, „Liebe Grüße“:
Auf die Pensionierung warten
und verbittern an der Süße.
Kippen, Pornos, Tuschestifte,
Comics, Filter und Radierer -
Jeden Tag nur Schund und Gifte,
und dahinter: Der Verlierer.
Der Mann mit dem Café
An der wohlbekannten Ecke
grüßen mild die weichen Lichter,
leuchten golden in die Gasse,
flüstern zärtlich einem Dichter
zu: „Tritt ein hier und entdecke,
was ich dich entdecken lasse.
An den glanzpolierten Tischen
sitzen alle, die mich kennen,
klimpern leise mit den Tassen,
und gedrehte Kerzen brennen,
und geraunte Worte mischen
sich mit Blicken, mich zu fassen.
Und im hellen Hintergrunde,
dort im Zentrum edler Düfte,
werkelt glücklich der Gerechte,
der die Geister alle gründet,
da den Trank in aller Munde
wie kein Zweiter er bereitet.
Summend wiegt er seine Hüfte,
immer webend am Geflechte,
darin aller Wohlsein mündet.
Die Frau mit der Schneiderei
In der kleinen Hinterkammer
sitzt sie täglich an den Stoffen,
misst und schneidet allerlei,
rastlos fleißig wie die Biene.
Sommers steht das Fenster offen,
und man hört die Nähmaschine,
und sie summt und singt dabei;
manchmal klopft sogar ein Hammer!
Gern betrete ich den Laden,
brauch ich auch nicht wirklich was.
Sehe ihre Finger sausen,
wenn sie meine Maße nimmt.
Eine Jacke kann nicht schaden,
denn der Winter kommt bestimmt!
Und wir reden dies und das,
und ich schüttle meine Flausen.
Der Mann mit dem Spielzeugladen
Ab und an besuch ich gerne
jenen vollgepackten Laden:
Kinderaugen voller Sterne,
Wüsche auf der Zielgeraden.
Krame in Erinnerungen
an die Dinge meiner Spiele,
die verschwanden, als dem Jungen
Jahre wurden, große Ziele.
Der Besitzer baut Modelle,
spielt mit Lego stundenlang.
Lächelnd zeig ich ihm die Stelle,
wo das Bauwerk nicht gelang.
Auf dem Spielbrett klacken Steine,
und es ziehen wilde Horden.
Kindgebliebener der eine,
und ich: Wieder Kind geworden.
Der Mann mit dem Schuhladen
Ach, er weiß, wie Füße riechen,
junger Schweiß und alter Siechen
schwielig harte Überbeine -
jedem findet er das Seine.
Abends geht auf dünnen Waden
er nach hinten in den Laden.
Ausgetretnes überholend,
alte Schuhe neu besohlend
sitzt er Stunden noch im Stillen
und gießt seinen stummen Willen
unermüdlich in das Leder,
denn marschieren muss ein jeder.
Die Frau mit dem Bioladen
Alle Früchte ihres Lebens
will sie lieber ungespritzt,
wes Behufes sie seit Jahren
einen Biomarkt besitzt.
Auch Reformkost, Vollkornwecken,
vegetarisch und vegan,
Sojamilch und Dinkelschnecken
bietet sie der Kundschaft an.
FairTrade sind die Marken alle,
denn sie beutet keinen aus,
doch ist abends leer die Halle,
kauft sie Burger für zu Haus,
fette Pizza oder Braten,
und woher das Rindfleisch kommt,
schert sie nicht mehr. Wohl geraten
ist hier alles, was ihr frommt.
Die Frau mit dem Bordell
Alle Wünsche werden wahr, wenn diese
Tür sich öffnet willigen Beschälern,
Burgen öffnen schlüpfrigen Erzählern,
die sie locken, modrige Verliese
voll Verdrängtem, ewig Ungelebtem:
Träume in gesellschaftlichen Ketten,
und die Frau am Tresen darf sie retten
aus der Regeln Starrem und Verklebtem.
Wissend weist sie jedem seine Himmel,
aus Erfahrung ahnend, wo sie liegen,
und ein Wunschtraum steigt aus dem Gewimmel
schöner Leiber lächelnd in die Arme
des Enthemmten: Trunkne Lüste fliegen
sein zu lang Gefrorenes ins Warme.
Die Frau mit dem Hurenhaus
Nach Lust und Pisse riechen alle Gänge,
die eng und rot wie Därme sich verdunkeln,
und in den Räumen weiter ist gut Munkeln,
wo des Korsetts gesellschaftlicher Zwänge
man sich für Geld im Stundentakt entledigt,
die feuchte Gier sich spiegelt in den Augen,
die hier im Dustern an den Leibern saugen,
die im Gebrauch man fordert und entschädigt.
Was schert's die Dame dieser dunklen Stelle,
wo jene Seelen bleiben, die sie knechtet,
in ihrem Dienst entwertet und entrechtet?
Sie weiß sich einzig am Ertrag zu laben,
und deshalb gibt es hinter dieser Schwelle
auch bald ein Angebot an schönen Knaben.
Der Mann mit dem Wettbüro
Worauf wollt ihr heute setzen?
Wisst ihr, wie die Quoten stehen?
Lasst euch artig wieder hetzen
von Fortunas wunden Wehen,
lasst sie euer Kind gebären,
das nach rascher Münze bettelt,
unverdaut im Ungefähren
und in wirren Trieb verzettelt.
Kommt nur her, ihr ewig Dummen,
betet am Altar der Lüge,
dass sich auch im deutlich Krummen
alles ganz gerade füge.
Davon leb ich, davon zehr ich,
wettet nur auf eure Pferde!
Eure schmalen Säckel leer ich,
auf dass meines praller werde.
Die Frau mit dem Gasthaus
Täglich zaubert sie in ihrer Küche
Gaumenfreuden für den guten Gast,
tritt aus ihrem Reich der Wohlgerüche
in der Stube mittaglichen Glast,
um zu sehen, wie die Becher kreisen,
die Bestecke auf die Teller sinken,
weil es schmeckt, was ihr Talent an Speisen
auftat den Beschenkten, die ihr winken.
Dieser Augenblick ist ihre Nahrung,
mehr noch, als was sie damit verdient.
Alle Kunst, das Wissen, die Erfahrung
münden in die Lust, die sie bedient.