Autor Thema: Mein Anderssein  (Gelesen 462 mal)

Erich Kykal

Mein Anderssein
« am: Mai 15, 2021, 10:51:19 »
Alles, was ich noch bedeute,
was ich war in diesem Sein
von der Jugend an bis heute,
ist mein lautes Anderssein.

Viele Jahre sind gekommen,
sind gegangen ohne Ziel,
mancher Gipfel, zäh erklommen,
war nicht das, was mir gefiel.

Bald beschließen meine Tage
einen dunklen, leeren Kreis,
der dem Echo einer Frage
niemals eine Antwort weiß.

Alles, was mich je bewegte,
ließ mich mit mir selbst allein,
wies mir dieses unentwegte,
undankbare Anderssein.

Manche Stunden bleckten gierig
nach der Liebe weichem Glanz,
doch die Nähe war zu schwierig,
und es blieb nur die Distanz.

Manchmal durfte ich benützen,
schenkte sich ein Augenblick,
um die Illusion zu stützen,
dass ich selig war vor Glück.

Alles, was ich noch begreife
von der Zeit, die mir verbleibt,
ist ein Ahnen von der Reife,
die mir diese Zeilen schreibt.

Alles, was ich mir bedeute,
was ich wollte, gut und rein,
was ich tat und was mich reute,
ist mein leises Anderssein.
Ironie: Ich halte euch einen Spiegel vor, damit wir herzlich lachen können.
Sarkasmus: Ich halte euch einen Spiegel vor, weil ich von euch enttäuscht bin.
Zynismus: Ich halte euch einen Spiegel vor, aber ich glaube nicht mehr an euch.

gummibaum

Re: Mein Anderssein
« Antwort #1 am: Mai 16, 2021, 11:25:07 »
Sehr, sehr schön, lieber Erich,

der gedankliche Bogen, die Sprache, der Rhythmus. Das Laute nach außen, das Leise nach innen als Rahmung.
 
Ein von  Anderssein gezeichnetes Leben lässt abweichende Erfahrungen zu. Es ermöglicht kritische Distanz. Aber der Graben zu den anderen macht häufig einsam. Ein Gefühl, nicht verstanden zu werden, von Sinnleere aller Bemühungen und Anstrengungen und von Fremdheit sich selbst gegenüber stellen sich ein. Mit dem Alter nehmen die Möglichkeiten, da vorübergehend ausbrechen (und zu „benützen“), ab.
 
Vielleicht kann der Schatz der Erinnerungen aber noch eine Kostbarkeit sein, und umso mehr, wenn die Sprache, wie bei dir, sie neu und zugleich geklärt  in Gegenwart zurückholt.

Mit Genuss  gelesen und mitgereift.

Chapeau und Gruß von gummibaum

Erich Kykal

Re: Mein Anderssein
« Antwort #2 am: Mai 16, 2021, 13:18:37 »
Hi Gum!

Ab einem gewissen Punkt innerer Reifung WILL man ja auch gar nicht nehr "benützen", weil man gelernt hat, Rücksicht auf die Gefühlswelten anderer zu nhemen, weil man nicht mehr gar so gefangen in der eigenen ist, fixiert auf alte Kränkungen und Demütigungen.

Vielen Dank für das lyrische Lob und deine profunde Einsicht!  :)

LG, eKy
Ironie: Ich halte euch einen Spiegel vor, damit wir herzlich lachen können.
Sarkasmus: Ich halte euch einen Spiegel vor, weil ich von euch enttäuscht bin.
Zynismus: Ich halte euch einen Spiegel vor, aber ich glaube nicht mehr an euch.

Sufnus

Re: Mein Anderssein
« Antwort #3 am: Mai 24, 2021, 20:50:35 »
Hi eKy,
das ist nach heutigen Maßstäben mit 8 Strophen a 4 Versen schon ein Gedicht der längeren Art. In früheren Zeit - als alles was längenmäßig unterhalb des Schillerschen Glockenlieds (fest gemauert in der Erden... ) rangierte als prägnant gelten durfte - hätte man das ganz anders wahrgenommen. Nunja... the times they are a changin'.... und allen Unkenrufen zum Trotz noch nicht einhellig zum Schlechteren. :)
Mir gefällt jedenfalls dieses trotzige Bekenntnis zum Anderssein. Jede Zeit - nennt sie sich auch noch so liberal - hat eine gewisse Tendenz, das Anderssein negativ zu sanktionieren. In unserer heutigen Zeit bildeten demnach nicht-gendernde, Fleischessende Skeptiker mit einer Neigung zur Lyrik die Gegen-den-Strom-Schwimmer. :)
Wie dem auch sei: Was formal bei Deinem schönen Werk besonders hervorgehoben sein will, ist die völlig regelhafte Folge der Kadenzen (weiblich-männlich) über alle Strophen hinweg und die Wiederholung der Reimendungen der ersten Strophe in der letzten, um so das Werk gebührend abzurunden. Diese Detailarbeit ist es, die ein Gedicht auf ein höheres Niveau erhebt... leider sind viele "Gedicht"-Schreiber einfach zu faul und hudeln schnell was Halbgares hin... eine freche Missachtung des Lesepublikums! Gut, dass Du Dich auch hier des Andersseins befleißigst! :)
LG!
S.

:)


« Letzte Änderung: Mai 24, 2021, 22:27:48 von Sufnus »

Erich Kykal

Re: Mein Anderssein
« Antwort #4 am: Mai 24, 2021, 21:31:58 »
Hi Suf!

Vielen Dank! Ich wollte bewusst kein bestimmtes Anderssein definieren - jeder Leser kann sich so mit seinem eigenen Anderssein, sofern ihm/ihr bewusst, ins Gedicht hineindenken und identifizieren.

LG, eKy

PS: In deinem letzten Satz muss es "des (schöner: deines) Andersseins" heißen. Genitiv. (sorry, es ist zwanghaft ...  ::))
Ironie: Ich halte euch einen Spiegel vor, damit wir herzlich lachen können.
Sarkasmus: Ich halte euch einen Spiegel vor, weil ich von euch enttäuscht bin.
Zynismus: Ich halte euch einen Spiegel vor, aber ich glaube nicht mehr an euch.

Sufnus

Re: Mein Anderssein
« Antwort #5 am: Mai 24, 2021, 21:37:14 »
Lieber eKy!
Danke für das kleine s - wurde pflichtschuldig und "wie das Gesetz es befahl" nachgetragen. :)
LG!
S.
P.S.:
Mildernde Umstände: Bin ganz schön beschickert... ein sehr agreabler österreichischer Tropfen by the way...

Erich Kykal

Re: Mein Anderssein
« Antwort #6 am: Mai 25, 2021, 17:51:50 »
Hi Suf!

Ich neide dir den Genuss und die Wirkung! Mein Doc hat zwar gemeint, ich könne trotz meiner täglichen Tablettenchemo und den Pillen für Blutdruck und Harnsäure durchaus Alkohol konsumieren, aber mich so richtig "anzuschickern" trau ich mich nicht mehr so recht. Und so ganz allein macht es mir auch keinen Spass mehr. Wenn ich mich schon enthemme, sollte auch ein "Opfer" zugegen sein, an dem ich sodann meine Lust stillen darf!  ;) >:D

Als Ästhet stelle ich mir das allerdings bei meiner entuferten Physis lieber nicht bildlich vor ...  ::) (Kotz ...)

LG, eKy
Ironie: Ich halte euch einen Spiegel vor, damit wir herzlich lachen können.
Sarkasmus: Ich halte euch einen Spiegel vor, weil ich von euch enttäuscht bin.
Zynismus: Ich halte euch einen Spiegel vor, aber ich glaube nicht mehr an euch.

Agneta

  • Gast
Re: Mein Anderssein
« Antwort #7 am: Juni 08, 2021, 20:10:01 »
einfach toll geschrieben, Erich, wenn es auch traurig ist. Ich finde Anderssein nicht schlimm. Aber die Mehrheit der Gesellschaft bevorzugt eben eine gewissen Konformismus. LG von Agneta

Erich Kykal

Re: Mein Anderssein
« Antwort #8 am: Juni 08, 2021, 23:30:55 »
Hi Agneta!

Ich habe mich eigentlich mein Leben lang über mein Anderssein definiert. In meiner sozial besonders ungelenken Jugendzeit war es mir Stütze und schützende Hybris, später die Basis meines Stolzes und Selbstvertrauens.
Aber nicht jedes Anderssein ist - wie du richtig schreibst - gesellschaftskonform, und ich vereinige in meiner Person gleich mehrere Abweichungen von sog. Normen. So war mein Anderssein - zumindest gewisse Aspekte - mir auch immer Fluch und Verdammnis.

Daher meine Zwiegespaltenheit, die in diesen Zeilen anklingt.

Vielen Dank für deine Beschäftigung hiermit!  :)

LG, eKy
Ironie: Ich halte euch einen Spiegel vor, damit wir herzlich lachen können.
Sarkasmus: Ich halte euch einen Spiegel vor, weil ich von euch enttäuscht bin.
Zynismus: Ich halte euch einen Spiegel vor, aber ich glaube nicht mehr an euch.