Autor Thema: So eigen  (Gelesen 628 mal)

gummibaum

So eigen
« am: Februar 20, 2022, 23:27:06 »
Du bist so anders, als ich dich erschaffe,
um dir das Licht auf deinem Weg zu sein,
so dunkel wie ein Schatten, so als klaffe
ein Abgrund auf und risse dich hinein.

Doch manchmal, wenn die Trauer mich verdunkelt,
und ich wie Nacht um dich vergessend schweb,
ist mir, als ob ein Stern darinnen funkelt,
dem ich den Raum zum Selberleuchten geb…

Erich Kykal

Re: So eigen
« Antwort #1 am: Februar 21, 2022, 09:08:28 »
Hi Gum!

"Selbsterleuchten" in der letzten Zeile.



Selbstverwirklichung? Warum dann "Du bist so anders, als ich dich erschaffe" - gespaltene Persönlichkeit?

Ein LyrIch erschafft etwas, das sein eigenes Licht auf seinem eigenen Weg sein soll (Häh?), aber es bleibt zunächst dunkel. Erst als das Schöpfer-LyrIch, das es umschwebt, sich selbst verdunkelt, glaubt es, ein Licht im Geschaffenen zu erkennen.


Wäre es nicht sinnvoller, wenn die erste Zeile sich so läse:

Ich bist so anders, als ich mich erschaffe,
um dir das Licht auf deinem Weg zu sein,
so dunkel wie ein Schatten, so als klaffe
ein Abgrund auf und risse dich hinein.

So würde auch S2 viel mehr Sinn ergeben: Ein liebender Mensch, doch voller eigener Schatten der Trauer, will jemandem ein Licht sein, doch wie er sich auch für den anderen "erschafft", er bleibt in die eigene Dunkelheit gehüllt. Nur wenn er sich selbst vergisst vor lauter Schmerz, kann er dem geliebten Wesen genug Raum geben, um sich selbst zu verwirklichen, zu "erleuchten".

Eine schöne Metapher auf einen besitzergreifenden, selbstzerissenen Partner, der lernen muss, sich selbst zurückzunehmen, dem Partner Raum zu geben, anstatt ihn zu erdrücken mit seiner überwältigenden Liebe und Schuld.


Was deine Version ausdrücken will, so wie sie oben steht, erschent mir viel komplexer und eher selbstreflexiv. Was war die eigentliche Intention?

Sehr gern gelesen, da wunderschön formuliert!  :)

LG, eKy
Ironie: Ich halte euch einen Spiegel vor, damit wir herzlich lachen können.
Sarkasmus: Ich halte euch einen Spiegel vor, weil ich von euch enttäuscht bin.
Zynismus: Ich halte euch einen Spiegel vor, aber ich glaube nicht mehr an euch.

Sufnus

Re: So eigen
« Antwort #2 am: Februar 21, 2022, 12:43:09 »
Hi gum!

Ich schließe mich eKys Lob vollumfänglich an, nicht jedoch seinen Korrekturvorschlägen, weil sie Deinen Zeilen eine Sinn-Eindeutigkeit einschreiben, die für mein Liking gar sehr auf Kosten der Komplexität und Selbstreflexivität gingen (mir gefallen die beiden von eKys eingeführten Stichworte! :) ).

Der "Trick" der Zeilen ist gerade, dass die Grenzen zwischen dem Ich und dem Du auch auf der sprachlich-logischen Ebene durchlässig werden: Das "Du" wird vom "Ich" erschaffen, erweist sich dann aber nicht als das antizipierte "Du" sondern als ein "Abgrund", der sich in sich selbst verschlingt (Z. 3/4). Man kann hier an das Symbol des Ouroboros denken, dieses schlangen- oder drachenartigen Fabelwesens, das  sich selbst auffrisst.

Mit dem Bild des "Abgrundes" ist das lyrische Du aber viel entstofflichter zu denken, denn ein Abgrund ist ja ein Fehlen von sicherem Grund und Boden, ein Mangelzustand, was den in Z. 1 beschriebenen Schöpfungsvorgang in eine Paradoxie verwandelt, denn wie soll man ein Fehlen erschaffen?

Übersprungen habe ich bei diesen Überlegungen noch die wunderbare zweite Zeile, die eine interessante Doppeldeutigkeit des Bezugs enthält: Bezieht sich diese "um... zu-Konstruktion" auf das lyrische Du (... dich erschaffe, um ... zu sein) oder auf das lyrische Ich (Ich... erschaffe, um... zu sein). Die zweitgenannte Variante wirft weniger logische Probleme auf, ist aber die uninteressante. Die erstgenannte Variante ist logisch fordernder, weil dann das Du erschaffen würde, um sich selbst ein Licht zu sein... ein Gedankenkonstrukt, welches wieder zu einer Art Logik-Schlage führt, die sich in den eigenen Schwanz beißt oder meinethalben zu dem Bild des Baron v. Münchhausen, der sich am eigenen Schopf aus dem Morast zieht (und sein Pferd noch gleich mit).

Das Vexierspiel um das besungene "Du" und das dichtende "Ich" lässt sich in der zweiten Strophe weiter verfolgen. Hier schwebt das lyrische Ich um das besungene Du, wobei es dann im Inneren (des "Ich"? des "Du"?) einen Stern findet, also ein Objekt, das astrophysikalisch gesprochen, eine ausreichende Masse besitzt, um einen hinreichend effizienten Fusionsprozess zu "zünden" und somit soviel Photonen freisetzt, dass es "selber leuchtet". Es geht also nicht, wie eKy das verstanden hat, um "Erleuchtung" im hermeneutischen Sinne, sondern um Autarkie. Nebenbei bemerkt, ist es diese Eigenschaft, nämlich sich selbst zu genügen, sich aus sich heraus zu ernähren, welche die alten Mystiker mit dem Bild des Ouroboros ausdrücken wollten.

So ist mystisch wohl auch der passende Begriff für diese schönen Zeilen, die in der Form an ein Gebet erinnern und durchaus einige Anklänge an die geheimnisvoll-paradoxen Epigramme des Angelus Silesius liefern, der ja auch ein großer Freund "astronomischer" Bilder mit sehr verschwommener Grenze von Schöpfer und Schöpfung war: "Gott wohnt in einem Licht, zu dem die Bahn gebricht. Wer es nicht selber wird, der sieht Ihn ewig nicht."

Fasziniert gelesen!

S.

gummibaum

Re: So eigen
« Antwort #3 am: Februar 22, 2022, 01:57:13 »
Lieber Erich, lieber Sufnus,

ich muss eure schönen Kommentare noch gründlicher studieren, danke aber schon einmal. Was ich mit dem Gedicht sagen wollte, ist:

1. Strophe:

Du bist ganz anders, als die Gestalt, die ich aus dir mache, damit ich das Licht sein kann, das deinen  Weg erhellt und auf welches du zugehen sollst. Du bist (durch das, was ich tue) verdunkelt, zum Schatten, ja,  zum Abgrund geworden, in welchem du dir und mir verloren gehst.

2. Strophe:

Erst wenn ich, von Trauer darüber überwältigt, damit aufhöre und dir (lichtlos/mich selbst vergessend) Raum lasse, scheint etwas von deinem (so) eigenen Licht/Wesen an mich heranzutreten…

LG g

Erich Kykal

Re: So eigen
« Antwort #4 am: Februar 22, 2022, 11:27:10 »
Hi Gum!

Das habe ich verstanden, danke für die Erläuterung - bloß das Wort "erschaffe" kann eben missverständlich interpretiert werden, vor allem, weil die angesprochene Entität wie auch das LyrIch selbst nicht näher definiert sind. Ist das Angesprochene ein Ding, eine Eigenschaft, der eigene Verstand, das eigene Herz, eine andere Person, die das LyrIch sozusagen zu "seinem" (hörigen) Geschöpf gemacht hat? Ist das LyrIch ein Gott, der tatsächlich Leben erschafft, oder ein Bildhauer, der eine Skulptur erschafft, oder ein Dichter, oder eben bloß ein manipulierender Mensch, der gern an seinen Partnern "herumerzieht" und sie nach seinem Bedarf und Gutdünken formen will - aber letztlich irgendwann die Vergeblichkeit und das Unrecht seines egoistischen Bemühens erkennt und sich läutert?
All das ist möglich und hinterlässt mich als Leser etwas ratlos, denn anders als Sufnus bin ich nicht so maßlos begeistert von multiplen Deutungsvarianten - ich möchte GENAU wissen, was der Autor EXAKT aussagen wollte. Das hat etwas mit meinem Faible für Sprachpräzision zu tun - wie man wirklich exakt aussagt, was man als Botschaft bezweckt. Mehrdeutigkeiten sind für mich verwirrend, fast schon wie eine Vorstufe zur Lüge, zu Manipulation, zu Politik. Ich kann mich kaum dafür begeistern, selbst wenn es sprachlich superb gemacht ist.

Ich verwende selbst durchaus Gleichnisse, Metaebenen und Anspielungen, aber dann bemühe ich mich, es so zu formulieren, dass dem Leser all dies auch möglichst deutlich erkennbar ist, zumindest ab einem gewissen intellektuellen Niveau.
Bei deinem obigen Werk, so wundervoll es sprachlich geschliffen sein mag, bleibt mir eben leider vieles, was ich beim Lesen klar vor Augen haben möchte, undefiniert, und ohne die erbetene Klärung des Autors bestenfalls eine Deutungsmöglichkeit unter vielen. Oder ich verstehe es gar nicht, so geradeaus, wie ich zu denken scheine.

Das heißt nicht, dass dein Werk mangelhaft wäre oder ich es so bewerten würde - es trifft halt bloß nicht meine "Linie", meine (lyrische) Denkungsart. Es liegt also nur an mir, nicht an dir!

LG, eKy
Ironie: Ich halte euch einen Spiegel vor, damit wir herzlich lachen können.
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Zynismus: Ich halte euch einen Spiegel vor, aber ich glaube nicht mehr an euch.