Autor Thema: Preislied auf einen Korkenzieher  (Gelesen 400 mal)

Sufnus

Preislied auf einen Korkenzieher
« am: Oktober 22, 2022, 15:05:44 »
Preislied auf einen Korkenzieher

Einen Korkenzieher will ich hier besingen,
der entkorkte täglich eine Flasche Wein.
Leichthin sah man ihn in Flaschenhälse dringen,
und sein Herrchen schenkte ein

und hat so sein Herz ums Traurigsein betrogen,
da es um die Menschheit steht, wies nunmal steht:
Seelenkummer? Schnell den Wein aufs Glas gezogen!
Zappzarapp. Der Schmerz vergeht.

Dieser Korkenzieher war nur Pfennigware
und hat doch die ganze, schlimme Welt besiegt.
Sorgenbrecher. Wundermittel. Bis zur Bahre.
Wer was andres sagt, der lügt.



« Letzte Änderung: Oktober 22, 2022, 18:04:46 von Sufnus »

Erich Kykal

Re: Preislied auf einen Korkenzieher
« Antwort #1 am: Oktober 25, 2022, 19:15:27 »
Hi Suf!

Genial! Einerseits die Mär vom nützlichen Gerät, die natürlich so nicht stimmt, denn es ist der Wein, der den Trinker betäubt, und hätte er nicht diesen Öffner, er hätte einen andern, andererseits die zweite bewusst fehlerhafte Kausalverknüfung, dass dieses Objekt tatsächlich ein Problemlöser in der Weltgeschichte sei, und nicht nur ein jämmerliches Helferlein beim Selbstbetrug eines einzelnen Weltflüchtlings.

Habe ich das korrekt analysiert? Hat es je Menschheitsgeschichte ohne jede Menge fehlerhafter Kausalverknüpfungen gegeben?

Sehr gern gelesen!  :)

LG, eKy
Ironie: Ich halte euch einen Spiegel vor, damit wir herzlich lachen können.
Sarkasmus: Ich halte euch einen Spiegel vor, weil ich von euch enttäuscht bin.
Zynismus: Ich halte euch einen Spiegel vor, aber ich glaube nicht mehr an euch.

Sufnus

Re: Preislied auf einen Korkenzieher
« Antwort #2 am: November 18, 2022, 12:31:21 »
Hi eKy!
Dein Kommentar ist von mir noch nicht zurückkommentiert worden, was angesichts Deines umwerfend hohen Lobes umso verwerflicher ist!J Jetzt also:
Die Mehrbödigkeit des Textes hast Du genau richtig herausgehört - die Erzählstimme des Gedichts ist offensichtlich ein unzuverlässiger Gewährsmann und die Einlassungen der Erzählstimme dürfen getrost bezweifelt werden, wenn sie behauptet, ein einfacher Korkenzieher sei eines Preisliedes würdig und der Konsum von Alkohol ein probater Problemlöser. Man beachte dabei, mit welcher Vehemenz die Erzählstimme darauf dringt, ihre Sichtweise sei die einzig akzeptable ("wer was andres sagt, der lügt"). Man kann sich fragen, wer hier überzeugt werden soll? Ist hier womöglich Autosuggestion am Werk?
Und nur fürs Protokoll: Es gibt natürlich noch eine weitere Mehrbödigkeit, die sich auf die "ganze, schlimme Welt" bezieht. Denn: Wie ist das jetzt mit der Welt? Ist sie wirklich so schlimm? Ist der Griff zur Flasche dann womöglich sogar nachvollziehbar? Oder übertreibt die Erzählstimme hier maßlos? Woher kommt dann dieses Bedürfnis, den Kummer zu ertränken? Viele Fragen. :)
LG!
S.

gummibaum

Re: Preislied auf einen Korkenzieher
« Antwort #3 am: Mai 20, 2023, 20:42:56 »
Die unscheinbaren Dinge, lieber Sufnus,

erfüllen oft so wichtige Aufgaben, und der Korkenzieher verdient wirklich ein besonders Lob. Seine emsige Mithilfe daran, um die Traurigkeit zu betrügen, hast du beredt ins Bild gesetzt.

Ein wunderschönes Gedicht!

Mit Freude gelesen.

LG g


Mein Kopf ist breit, mein Körper lang
und ähnelt einer große Schraube.
Sooft ich in die Korken drang,
war allen Flaschenhälsen bang,
dass ich ihr Liebstes raube.

Das tat ich, und der Trunk ergoss
sich bald in eines Trinkers Kehle.
Ich hörte Schlucken und genoss,
was manchem Trunkenen entspross
aus der entkorkten Seele…
 


Erich Kykal

Re: Preislied auf einen Korkenzieher
« Antwort #4 am: Mai 28, 2023, 16:58:30 »
Hi Gum!

Ich kann deinen kürzlichen Vorschlag an mich nur an dich zurückgeben: Sollte dein Kommigedicht noch nicht als eigenständiges Thema hier zu finden sein: Unbedingt als solches posten!

LG, eKy
Ironie: Ich halte euch einen Spiegel vor, damit wir herzlich lachen können.
Sarkasmus: Ich halte euch einen Spiegel vor, weil ich von euch enttäuscht bin.
Zynismus: Ich halte euch einen Spiegel vor, aber ich glaube nicht mehr an euch.