Autor Thema: Hauteng  (Gelesen 918 mal)

Aspasia

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Hauteng
« am: August 14, 2015, 12:09:40 »
Mir ist mein Sein nicht arm an Rollenspielen,
und täglich lern ich Mimik neu hinzu,
beherrsche Buch und Dialog im Nu
und kenne Tricks, Effekte zu erzielen.

Nur ich allein weiß, was ich wirklich fühle:
Der Atem stockt mir in der engen Haut,
wär manchmal lieber leise statt zu laut,
gäb gerne Wärme statt gespielter Kühle.

Ich kann nicht über meinen Schatten springen,
geb‘ Herz und Seele, Haut und Haar nicht preis,
muss meine Zeit der Illusion verdingen.

Wird mir das Lebensfeuer dann und wann zu heiß:
Es kann und darf und wird mich nicht verschlingen,
und nichts und niemand hebt mich aus dem Gleis.

Aspasia

  • Gast
Re: Hauteng
« Antwort #1 am: August 14, 2015, 12:19:42 »
An Erich:

Dies ist eine Prüfungsaufgabe, die ich am Monatsende einschicken soll.

Die Vorgabe war der Text eines spanisch-sprachigen Dichters:

Ich bin nicht ich
Ich bin nicht ich. Ich bin jener, der an meiner Seite geht, ohne dass ich ihn erblicke, den ich oft besuche und den ich oft vergesse. Jener, der ruhig schweigt, wenn ich spreche, der sanftmütig verzeiht, wenn ich hasse, der umherschweift, so ich nicht bin, der aufrecht bleiben wird, wenn ich sterbe.


Davon sollte ich mich inspirieren lassen, ein Gedicht oder einen Song zu schreiben mit dem Hintergrund "zwei Seelen in einer Brust".

War nicht einfach. Obendrein ist es ein Sonett geworden, was nicht gerade zu meinen Lieblingsformen gehört.

Ich will keine Verbesserungsvorschläge, denn es ist - wie gesagt - eine Prüfungsaufgabe und soll auch so eingereicht werden. Ich will nur wissen, ob ich Deiner Ansicht nach den Nerv getroffen habe.

In der ersten Septemberwoche bekomme ich Rückmeldung von meinem Kursleiter. Danach kannst Du dich über das Gedicht hermachen. Kannste natürlich auch jetzt schon, nur darf ich das nicht "fremdverschuldet" einschicken.

Bin auf dein Urteil gespannt.

Lieben Gruß,
Aspasia

Erich Kykal

Re: Hauteng
« Antwort #2 am: August 14, 2015, 13:32:29 »
Hi, Aspasia!

Da tu ich mich schwer!

Was mache ich, wenn ich eindeutige Fehler entdecke wie zB. die sechshebige erste Zeile im letzten Terzett? (Altern.: "Und wird mitunter mir die Glut zu heiß:")

Oder was ist mit stilistischen/klanglichen Feinheiten?

ZB.:

S2Z4 - Klanglich schöner: "und gäbe Wärme statt ..." (Natürlich dann ohne Komma am Ende der Vorzeile).

S3Z2 - Auf den Apostroph kannst du getrost verzichten.

S3Z3 - "verdingen" klingt etwas bemüht herbeigereimt. Natürlicher: "Muss meine Zeit mit Illusion verbringen."


Darf ich über all das nicht sprechen? ;) Naja, dann lass ich es eben ...


Zum Inhalt: Du beschreibst hier eher die Rollen, die man voreinander im Alltag spielt, was man anderen Menschen vormacht, um sie zu schonen oder sich das Leben selbst zu erleichtern, indem man das wahre Selbst hinter Masken verbirgt (das ist mal prinzipiell nix Schlechtes!), aber ich denke, der Ausgangstext zielte auf eine rein interne Wesensebene ab - beschreibt sozusagen das "bessere Ich", den weisen Kern, der uns rät, wenn Gefühle überkochen, das "Über-Ich", das gute Gewissen usw..
Für mich beschreiben die beiden Texte grundverschiedene Arten von "Seelen in der Brust". Der reinen Wesens-Nabelschau des Spaniers setzt du die sozial-interaktive Komponente menschlichen Miteinanders gegenüber, setzt das Thema in einen sozialpsychologisch motivierten Kontext.
Wenn die Thematik so weit gefasst ist, dass dies keine Rolle spielt, so hast du eine gute Arbeit abgeliefert. Fasst der Beurteiler das Thema allerdings im engeren Sinne des Ursprungsgedichtes, könnte sich das negativ niederschlagen ...


Jedenfalls so oder so sehr gerne gelesen - man merkt dem Text an, dass du dir hier wirklich Mühe gemacht hast! :)

Ich hoffe, das war hilfreich.

LG, eKy
Ironie: Ich halte euch einen Spiegel vor, damit wir herzlich lachen können.
Sarkasmus: Ich halte euch einen Spiegel vor, weil ich von euch enttäuscht bin.
Zynismus: Ich halte euch einen Spiegel vor, aber ich glaube nicht mehr an euch.

Aspasia

  • Gast
Re: Hauteng
« Antwort #3 am: August 14, 2015, 13:58:46 »
Ja, danke. Bei "verbringen" war ich z.B. zuerst, bevor ich mich auf "verdingen" einließ. Vielleicht wäre der erste Impuls doch die bessere Lösung gewesen. Insofern ist dein Kommentar hilfreich.  Ich denke über das Gedicht nochmal gründlich nach.
« Letzte Änderung: August 14, 2015, 16:06:44 von Aspasia »

charis

  • Gast
Re: Hauteng
« Antwort #4 am: August 14, 2015, 15:19:22 »
Mir ist mein Sein nicht arm an Rollenspielen,
und täglich lern ich Mimik neu hinzu,
beherrsche Buch und Dialog im Nu
und kenne Tricks, Effekte zu erzielen.

Nur ich allein weiß, was ich wirklich fühle:
Der Atem stockt mir in der engen Haut,
wär manchmal lieber leise statt zu laut,
gäb gerne Wärme statt gespielter Kühle.

Ich kann nicht über meinen Schatten springen,
geb‘ Herz und Seele, Haut und Haar nicht preis,
muss meine Zeit der Illusion verdingen.

Wird mir das Lebensfeuer dann und wann zu heiß:
Es kann und darf und wird mich nicht verschlingen,
und nichts und niemand hebt mich aus dem Gleis.

Liebe Aspasia,
Darf ich auch noch meinen Senf dazugeben. Ich finde das sprachlich wunderbar, auch der Inhalt gefällt mir außerordentlich gut. Ich teile allerdings Ekys interpretation des Spaniers. Der für mein Empfinden eine philosophisch, ja sogar eine religiös-transzendente "Innenschau", eine "ideal reine Seele" beschreibt.
Zum Handwerk habe ich einfach nur ein paar interessierte Frage, weil ich selbst anhand solcher Texte etwas lernen will:

Eky hat es nicht bemängelt. Kann einer von euch beiden mir daher die Metrik von S3v3 erklären:
Illusion wird nur auf der letzten Silbe betont, also ich xe einmal, meine Vorstellung:
muss meine Zeit der Illusion verdingen
xXxXxxxXxXx
Kann man überhaupt drei unbetonte Silen hintereinander lesen? Dann würde eine Hebung fehlen. Wenn nicht, müsste man Illusion falsch betonen, also so: XxX

Und diese Zeile hat Eky bemängelt, aber sie gefällt mir so wie sie Ilka schreibt besser, als mit dem "und" am Anfang,
oder findest du Eky nur das Wort "gerne" überflüssig, was ich hier eben im Kontext zu dem Vers davor auch so empfinde...sprich: und gäb lieber Wärme als....

Ich hoffe, du nimmst mir nicht übel, dass ich da jetzt soviel gequasselt habe, aber ich habe die Gelegenheit euch beide über lyrische Feinheiten zu befragen und würde mich über Antwort freuen.

Lieben Gruß
charis
p.s. der Titel widerstrebt mir irgendwie, aber das ist nur ein Gefühl, er lässt für mein Gefühl zu wenig Spielraum, es geht ja um die Überwindung von "Enge" und "Korsetten" (also zumindest bezogen auf die Vorlage) und für mein Gefühl sollte sich das im Titel irgendwie ausdrücken - aber das ist einfach nur mein Empfinden, mehr nicht.




« Letzte Änderung: August 14, 2015, 15:59:58 von charis »

Aspasia

  • Gast
Re: Hauteng
« Antwort #5 am: August 14, 2015, 16:20:57 »
Danke, Charis.

Um einen Irrtum zu korrigieren: Es geht nicht darum, die Vorlage des spanischen Lyrikers zu interpretieren, sondern lediglich als Inspiration aufzugreifen, um ein eigenes Gedicht oder einen Song zu schreiben, dessen Grundinhalt auf "zwei Seelen in der Brust" beruht. Die Zeilen des Spaniers sollen lediglich wecken und zum Spielen aufrufen. Was aus der Inspiration entsteht, braucht rein gar nichts mehr mit der Vorlage zu tun haben, sie ist tatsächlich nur der sprichwörtliche Fußtritt, um anzutreiben.

Und genau darum ging es mir vorab: Vermittelt mein Gedicht dem Leser das Gefühl, dass das Lyrische Ich über zwei Seelen in seiner Brust erzählt?

Wenn das der Fall ist, habe ich eine richtige Idee entwickelt. Wenn nicht, muss ich nochmal von vorn anfangen und mir etwas ganz anderes einfallen lassen.

Handwerk und Technik kommen später dran, wenn ich weiß, ob ich das Thema getroffen habe.

Danke für die Beschäftigung damit,
Aspasia

Erich Kykal

Re: Hauteng
« Antwort #6 am: August 14, 2015, 18:06:33 »
HI nochmal!

@ charis:

"Illusion" wird für mich auf der ersten und letzten Silbe betont: Il-lu-si-on

LG, eKy
Ironie: Ich halte euch einen Spiegel vor, damit wir herzlich lachen können.
Sarkasmus: Ich halte euch einen Spiegel vor, weil ich von euch enttäuscht bin.
Zynismus: Ich halte euch einen Spiegel vor, aber ich glaube nicht mehr an euch.

charis

  • Gast
Re: Hauteng
« Antwort #7 am: August 14, 2015, 20:44:31 »
So soll man das aussprechen  ???
Man lernt nie aus. ;D


cyparis

Re: Hauteng
« Antwort #8 am: August 14, 2015, 20:47:14 »
Il - lu-sjon

ist im hiesigen Raum die Aussprache.
Möglicherweise angelehnt an die französische Aussprache.

Der Titel ist in meinen Augen nicht gerade das gelbe vom Ei.
"Hauteng" gilt für mein Verständnis für Kleidung/Bekleidung.
Die Haut kann im Grunde doch nicht enger und weiter werden - lediglich das Gefühl oder.

Aber ich hab leider nicht besonders aufmerksam gelesen, das muß ich nachholen.

So à priori:
Gewohnt guter Text!


Abendgruß
von
Cyparis



Liebe Aspasia -


ich weiß, daß das sehr unhöflich und unentschuldbar ist.
Ich werde es Dir telefonisch zu erklären versuchen.
« Letzte Änderung: August 14, 2015, 21:02:09 von cyparis »
Der Schönheit treu ergeben
(Lady Anne von Camster & Glencairn)
copyright auf alle Texte

charis

  • Gast
Re: Hauteng
« Antwort #9 am: August 14, 2015, 20:55:44 »
Natürlich ist dir das klar und deutlich und überzeugend gelungen, diese zwei oder sogar mehr Seelen in der Brust zu beschreiben.
Mir hat es ausgesprochen gut gefallen, wie hier das Ich-möchte-gerne-Loslassen-LI mit seinem Kontrollfreakgeschwisterchen kämpft!

Klanglich schlauer bin ich allerdings immer noch nicht geworden.  ;)
Lieben Gruß an euch alle!
charis
« Letzte Änderung: August 14, 2015, 21:08:44 von charis »