Autor Thema: Deine Berührung  (Gelesen 1599 mal)

ANOUK

Deine Berührung
« am: August 17, 2015, 11:40:13 »
Von deinen Lippen pflückte ich
einst deinen Namen, band ihn sacht
an einen Pusteblumenschirm,
dem Weg zum Himmel zugedacht.

Aus deinen Augen schöpfte ich
schon viel von dem, was dich bewegt.
Hab’s unter meinem Wimpernkranz
geborgen und zur Ruh gelegt.

Und deine Seele legtest du
mir wie ein Kätzchen in den Arm,
ich kraulte jedes Defizit
und wirre Ängste wurden zahm.

Doch heute nahmst du meine Hand,
ich schaute dich verwundert an,
weil die Berührung mich nicht so
wie deine Blicke wärmen kann.

A.F. November 2014
Die Menschen sind nicht immer, was sie scheinen, aber selten etwas Besseres. (Lessing; aus: Nathan der Weise]

cyparis

Re: Deine Berührung
« Antwort #1 am: August 17, 2015, 13:26:47 »
Liebe ANOUK,


ein gar wunderliches, pusteblumenleichtes und fast in die Nähe des Kitsches gerücktes Gedicht -
aber sehr originell, will heißen ungewöhnlich und keineswegs althergebracht.
Abweichend von leergesogenen Liebesgedichten.


Hin- und herschwankenden Gruß
von
Cyparis
Der Schönheit treu ergeben
(Lady Anne von Camster & Glencairn)
copyright auf alle Texte

Erich Kykal

Re: Deine Berührung
« Antwort #2 am: August 17, 2015, 14:01:06 »
Hi, Anouk!

Kitschig finde ich das gar nicht - im Gegenteil! Hochlyrisch beschreibst du ein sachtes Kennenlernen zweier Seelen, das - interessante Conclusio - allerdings nicht "zündet", zumindest beim LyrIch: Die Berührung bringt keine Erfüllung, da springt kein Funke (mehr) über - eine emotional beendete Bekanntschaft, die mit einem meist für beide unerquicklichen oder unehrlich gemeinten "Wir können ja Freunde bleiben!" endet, bevor sie so richtig begonnen hat (Kommt mir irgendwie bekannt vor...  ::)).

Gerade dieses Ende weist jeglichen Kitsch weit von sich - das ist höchst gelungene Lyrik (vorausgesetzt, ich habe es richtig gedeutet... ;))!

Sehr gern gelesen! :)

LG, eKy
Ironie: Ich halte euch einen Spiegel vor, damit wir herzlich lachen können.
Sarkasmus: Ich halte euch einen Spiegel vor, weil ich von euch enttäuscht bin.
Zynismus: Ich halte euch einen Spiegel vor, aber ich glaube nicht mehr an euch.

cyparis

Re: Deine Berührung
« Antwort #3 am: August 17, 2015, 14:47:12 »
Ich stimme Erich zu -

wahrscheinlich hatte ich zu unaufmerksam gelesen.
Verzeih!


Cyparis
Der Schönheit treu ergeben
(Lady Anne von Camster & Glencairn)
copyright auf alle Texte

ANOUK

Re: Deine Berührung
« Antwort #4 am: August 17, 2015, 21:17:44 »
Hallo liebe Cyparis, lieber Eky (ich kürze sich mal so ab, wenn's hoffentlich erlaubt ist)

Mich stört der immer weiter um sich greifende Körperkult, die immer niedriger sinkende Schamgrenze, die früh erfolgende körperliche Nähe,
die Annahme "es" müsse am besten sofort passieren ( ich bin weder prüde, noch ein Moralapostel, bloß bin ich der Meinung, dass sich auch etwas auf anderer ebene, auf geistig-seelischer Ebene entwickeln kann und sollte) . Und aus diesem Gefühl heraus schrieb ich dieses Gedicht. Ich wollte eben aufzeigen, was dem alles vorangehen kann. Entweder stellt man fest, dass es bei dem Platonischen bleiben sollte ( Erichs Ausdeutung) oder aber man geht eines Tages einen Schritt weiter, betritt die körperliche Schiene, und dies kann auch durchaus (wunder) schön sein, nur wird man feststellen, dass das hauptsächlich innige Gefühl auch von innen kommt, von der vorangegangen seelischen Annäherung. Und dass das Körperliche dann "nur noch" das Tüpfelchen auf dem "i" ist. Wie es jeder für sich ausdeuten mag, ist wohl höchst individuell. Mir persönlich ging es darum, überhaupt diesen Gedanken in Versform zu bringen, dass Wärme, ein "inniges Gefühl" weit mehr als pure Physis ist.

Danke vielmals fürs Lesen und eure Auseinandersetzung mit diesem Gedicht
lG
Anouk
Die Menschen sind nicht immer, was sie scheinen, aber selten etwas Besseres. (Lessing; aus: Nathan der Weise]

cyparis

Re: Deine Berührung
« Antwort #5 am: August 17, 2015, 23:24:06 »
Das hat mich angeregt,
Dein Gedicht wieder und wieder unten diesem neuen Aspekt zu lesen.

Deine Antwort rennt meine offenen Türen ein.
Auch ich bin nicht prüde, obwohl manche Mitmenschen mich mit diesem Attribut sozusagen disqualifizieren möchten -
zwischen Prüderie und Dezenz klaffen Abgründe.

Was Du über die platonische Liebe schreibst, die sich irgendwann auch einem physischen Begegnen nähern kann -
großartig!
Du schilderst ein wichtiges Kapitel so mancher Liebenden.


Laß Dir danken
von
Cyparis



Der Schönheit treu ergeben
(Lady Anne von Camster & Glencairn)
copyright auf alle Texte