Autor Thema: Maskenball  (Gelesen 961 mal)

Eleonore

  • Gast
Maskenball
« am: August 13, 2020, 11:41:34 »
Streifzug in Lindgrün

All die bunten flirrenden Farben, die sich hier mitten in der Stadt treffen, haben sich zum Lichtertanz verabredet auf den Kleidern der Sonnenhungrigen.

Jede Farbe hat sich einen anderen Menschen gewählt. Hier dies Türkis den alten Mann und ein Grellrosa die 67-jährige Dreijährige.

Lila tanzt mit der Frau aus Kasachstan einen goldzahnglänzenden Tanz aus Eigenheimträumen. Ihre Haare sind parfümgelackte Zuckerbäckerkunst in drei Etagen.

Nur Krachrot! Krachrot sitzt ganz im Schatten bei 35 Grad.

Der Mann, der seine Meinung umgeschnallt hat, wie ein straff geschnürtes Korsett; die Pistole am Kinn gehalftert, trägt ein verwaschenes Hellblau.

Und die Lady da, die mit sich selber meckert, schleift einen Revolvergürtel hinter sich her. Er hängt in den Kniekehlen. Sie ist schwarz gekleidet von Kopf bis Fuss.

Mode ist ein bemerkenswertes Konstrukt und macht das Leben bunt.

Die einen entwerfen absichtlich Hosen, deren Schritt auf der Höhe Unterschenkel hängt. Farbe gleichförmig aschfahl wie Gesichter nach zuviel Zigaretten.

Und hier der alte Mann: Seine aus dem Hosenbund herausschauende Unterhose imitiert diesen lässigen Stil. Auch sein Gesicht ist fahl, die Gründe ähnlich.

Wenn der Ball heute zuende ist, ziehen sich all die Farben wieder zurück in ihre Heimatländer,
hängen lieblos über Stühle gelehnt oder werden akkurat zusammengefaltet in Schränken verstaut.

Wenige nur werden ihre Kleider an den Lindenbaum im Garten hängen
oder vom Bach bespielen lassen.

Morgen früh ist wieder Maskenball- die Farben wollen weitertanzen.
Manchmal bleibt eine Farbe übrig, weil ein Mensch zuwenig gekommen ist.

Die Masken glätten sich nachts
und wenn die Mondin mit ihrer Laterne
in die Betten der Welt schaut,
sieht sie überall nur Kinderherzen
und abgeschminkte Gesichter

(Sommer 2009)
« Letzte Änderung: August 13, 2020, 12:23:04 von Eleonore »

Sufnus

Re: Maskenball
« Antwort #1 am: Februar 02, 2021, 11:49:02 »
Gerade bin ich über diesen hochlyrischen Text von Eleonore gestolpert - wie schade, dass sie sich hier ausgeklinkt hat!!!

Da ich mich normalerweise nur auf Gedichte stürze, ist mir dieser Text bisher sehr zu meinem Verlust entgangen. Ist es lyrische Prosa? Ein Prosagedicht?

Auf alle Fälle zeigt sich ein wahrer Farbenrausch, der an expressionistische Lyrik erinnert - bei Anna Blume, dem epochalen Gedicht von Kurt Schwitters haben wir auch solche in Farben getauchten Taumeleien.

Nur an einer Stelle, ist der Text für mein Empfinden etwas aus dem Gestus der herrlichen Überschwangs gefallen und beugt sich in die Realität - ich bin allerdings nicht sicher, ob dieser Bruch dem Text als Ganzes wirklich zu nutzen vermag:

"Die einen entwerfen absichtlich Hosen, deren Schritt auf der Höhe Unterschenkel hängt. Farbe gleichförmig aschfahl wie Gesichter nach zuviel Zigaretten.
Und hier der alte Mann: Seine aus dem Hosenbund herausschauende Unterhose imitiert diesen lässigen Stil. Auch sein Gesicht ist fahl, die Gründe ähnlich."

Diese Passage ist in ihrer Konkretheit und in ihrer, von der sonstigen Haltung abweichenden, sehr viel alltagsnäheren Sprache für mich ein gewisser Fremdkörper im Gesamtgefüge.

Dafür ließ mich das kleine Gedicht, das den Text abschließt, wieder in höchsten Tönen jubilieren. Hier taucht plötzlich "die Mondin" auf, und ein fernes Echo jener jahrtausendalten Verse von Sappho weht uns an:

Untergegangen ist die Mondin,
sind die Pleiaden. Mitternacht herrscht,
die Zeit verstreicht und nur ich,
ich schlafe allein.

Begeistert gelesen! :)

S.
« Letzte Änderung: Februar 02, 2021, 12:59:55 von Sufnus »

Erich Kykal

Re: Maskenball
« Antwort #2 am: Februar 02, 2021, 12:35:55 »
Hi Eleonore, Suf!

woran ich hängen blieb, war die unkorrekte Anwendung des Verbs "lehnen" in diesem Satz:

Wenn der Ball heute zuende ist, ziehen sich all die Farben wieder zurück in ihre Heimatländer,
hängen lieblos über Stühle gelehnt oder werden akkurat zusammengefaltet in Schränken verstaut.

Über
eine Lehne kann etwas gehängt sein, drapiert oder geworfen, aber lehnen tut etwas immer nur an etwas anderem.

Und statt des eher gemeinsprachlichen "herausschauende" (Unterhose) hätte ich "herausragende" oder "hervorstehende" präferiert.


Abgesehen davon: Dank an Sufnus für das Hervorkramen dieser literarischen kleinen Perle! Auch ich bin höchst beeindruckt von der lyrischen Intensität der entworfenen Bilder! Allein die "siebenundsechzigjährige Dreijährige"! Ein altkluges Kleinkind oder eine demente alte Dame? Kopfkino vom Feinsten!

Gern gelesen!  :)

LG, eKy
Ironie: Ich halte euch einen Spiegel vor, damit wir herzlich lachen können.
Sarkasmus: Ich halte euch einen Spiegel vor, weil ich von euch enttäuscht bin.
Zynismus: Ich halte euch einen Spiegel vor, aber ich glaube nicht mehr an euch.

AlteLyrikerin

Re: Maskenball
« Antwort #3 am: Februar 02, 2021, 12:54:01 »
Hallo, Eleonore,


auch ich bin von diesem bildreichen Text sehr beeindruckt. Anfangs habe ich mich etwas über die "siebenundzechsigjährige Dreijährige" mokiert. Ich fand das Bild zu lieblos, aber vielleicht ist es ja gar nicht so zu verstehen. Ansonsten ein wirklich lyrischer Text, der mir sehr gut gefällt.
Herzliche Grüße, AlteLyrikerin.

Sufnus

Re: Maskenball
« Antwort #4 am: Februar 02, 2021, 13:03:22 »
Wie schön, eKy und AL, dass auch Ihr Eleonores Text würdigt! :) Ich habe ja, bei ehemaligen Wiesenbegrünern immer die Hoffnung, dass sie vielleicht einmal wieder zurück kommen! :) So schwingt denn einige Lockung in meinem Lobpreis mit... aber ganz unabhängig davon, finde ich, dass dies ein wirklich anregender und ganz wunderbarer Text ist! :)
LG!
S.