Autor Thema: Du weißt es genau  (Gelesen 845 mal)

wolfmozart

Du weißt es genau
« am: September 14, 2019, 11:27:12 »
Ein ferner Ozean
Spiegelt sein Rot in Dein sanfteres Blau
Dem Ufer nah zieht ein weißer Schwan
Schwarze Linien mit seiner Frau

Du ergibst Dich dem rasenden Wildwasserbach
Nur um den Schwan zu verstehn
Ein Krähenpaar segelt ganz leise und flach
Im Abendrot zu den tausend Seen

Am Meergrund triffst Du Dein weinendes Kind
Mit blutenden Tränen im helleren Blau
Wie viele Tage vergangen sind!
Und es klagt um Dich an und Du weißt es genau

Das Lächeln des Bruders in Baumwipfeln weht
Der Glutball sinkt stolpernd davon
Du suchst wie im Wahnsinn nach einem Gebet
Und die Krähen sehn es mit Hohn

Das weinende Kinde dem Wasser entsteigt
Vereint sich dem Schwane, der Frau
Die Krähen. - Und alles gemeinsam zeigt
Zum Himmel hinauf. Und Du weißt es genau.
« Letzte Änderung: September 21, 2019, 18:44:16 von wolfmozart »

Erich Kykal

Re: Du weißt es genau
« Antwort #1 am: September 14, 2019, 13:44:43 »
Ein ferner Ozean
Spiegelt sein Rot in Dein sanfteres Blau
Dem Ufer nah zieht ein weißer Schwan
Schwarze Linien mit seiner Frau

Du ergibst Dich dem rasenden Wildwasserbach
Nur um den Schwan zu verstehn
Ein Krähenpaar segelt ganz leise und flach
Im Abendrot zu den tausend Seen

Am Meergrund triffst Du Dein weinendes Kind
Mit blutenden Tränen im helleren Blau
Wie viele Tage vergangen sind!
Und es klagt um Dich an und Du weißt es genau

Das Lächeln des Bruders in Baumwipfeln weht
Der Glutball sinkt stolpernd davon
Du suchst wie im Wahnsinn nach einem Gebet
Und die Krähen sehn es mit Hohn

Das weinende Kinde dem Wasser entsteigt
Vereint sich dem Schwane, der Frau
Die Krähen. - Und alles gemeinsam steigt
Zum Himmel hinauf. Und Du weißt es genau.


Hi WM!

Also dieser (schon sehr gute Sprachhabung verratende) Text unterscheidet sich von recht vielen deiner bisherigen so sehr, dass ich mich zuerst fragte, ob das wirklich von dir sein kann. Das soll nicht abwertend klingen deinem bisherigen Schaffen gegenüber, aber dieser Text ist so gut formuliert, dass es, gemessen an dem, was ich sonst zuweilen so von dir gelesen habe, mir wie Tag und Nacht erscheint!
Wohlgemerkt, der Text folgt keiner einheitlichen Metrik, keinem einheitlichen Auftaktschema, nur der eigenen Sprachmelodie, aber das ist statthaft, vor allem, wenn die Sprache selbst dabei so wohlgefügt ist.

Die Reimwiederholung "entsteigt/steigt" in der letzten Strophe würde ich entschärfen, ich schlage in S5Z3 "zeigt" als Reimwort vor.


Und weil ich es mir nicht verkneifen kann, mit gutem Potential zu werkeln, versuche ich noch eine metrisch genehme Version + Satzzeichen:

Ein hoher, wolkenloser Ozean
bespiegelt Röte in ein sanftes Blau.
Dem Ufer nahe zieht ein weißer Schwan
gemach dahin mit seiner Schwanenfrau.

Und du ergibst Dich still dem wilden Bach,
nur um die fernen Schwäne zu verstehen.
Ein Krähenpärchen segelt stumm und flach
im Abendrot hinunter zu den Seen.

Am Grunde triffst du dort dein Kind, es weint
verlorne Tränen in das helle Blau.
Wie viel an Tagen schon verloren scheint -
sie klagen an und wissen es genau!

Des Bruders Lächeln in den Wipfeln weht,
der Glutball sinkt wie ausgelaugt davon.
Du suchst wie unerlöst nach dem Gebet,
und alle Krähen sehen es mit Hohn.

Du siehst das Kindlein aus dem Wasser steigen,
als wäre es den Schwänen ein Gefährte,
und alle kehren heim in dich und zeigen
dir alles, was die Seele noch begehrte.


Der Auftakt ist gleichmäßig unbetont, die Zeilen alle fünfhebig jambisch, alle Versenden gereimt.
Zu Beginn habe ich den Himmel deutlich als "Ozean" ins Bild gesetzt, weil das logischer erschien, ist doch später von Bach und Seen die Rede, und die liegen meist nicht direkt an Küsten. Zudem sind Schwäne Süßwasservögel und würden nicht im Meer schwimmen, so weit ich weiß. Seen und Bäche sollten reichen für das Bild hier, in dem sich Naturbetrachtung und Erinnerungen und Visionen von Verlust (oder gar Schuld?) wie in einem Traum mischen.

Diese Spielerei von mir soll wohlgemerkt dein obiges Werk nicht ersetzen - sieh es als Fingerünung an, und vielleicht kannst du für spätere Werke Anregungen daraus ziehen, wenn du magst.

Sehr gern gelesen und damit gearbeitet!  :)

LG, eKy
Ironie: Ich halte euch einen Spiegel vor, damit wir herzlich lachen können.
Sarkasmus: Ich halte euch einen Spiegel vor, weil ich von euch enttäuscht bin.
Zynismus: Ich halte euch einen Spiegel vor, aber ich glaube nicht mehr an euch.

Eleonore

  • Gast
Re: Du weißt es genau
« Antwort #2 am: September 14, 2019, 19:23:02 »
Hallo wolfmozart,

Dein Gedicht ist in sehr sprechende Bilder gekleidet,
die mich gut erreichen.

ErikKykal, ich dachte auch immer, dass Schwäne nicht im Meer schwimmen;
vor einigen Jahren wurde ich an der Ostsee eines Besseren belehrt,
als eine ganze Armada von Schwänen plötzlich im Meer auftauchte.

lG Eleonore
« Letzte Änderung: September 14, 2019, 19:58:12 von Eleonore »

Erich Kykal

Re: Du weißt es genau
« Antwort #3 am: September 14, 2019, 21:19:33 »
Hi Eleonore!

Interessant, das wusste ich nicht. Ich dachte, nur Meeresvögel hätten entsprechend eingefettetes Gefieder, das sie vor Salzwasser schützt. Dazu dieser Gedanke: Wahrscheinlich funktioniert das mit den Schwänen im Meer tatsächlich NUR in der Ostsee, denn diese hat von allen Meeren weltweit den bei weitem niedrigsten Salzgehalt, da dieses nur über die Meerenge zwischen Schweden und Dänemark eindringen kann. Denn die Ostsee war früher mal wirklich ein riesiger See, erdgeschichtlich erst seit kurzer Zeit gibt es die Verbindung zur Nordsee.
Da die Ostsee ein Sonderfall ist, bleibe ich im großen und ganzen bei meiner obigen Aussage. Zudem scheint es mir für den Text selbst besser, nur mit Bach und Seen auszukommen, das Bild wirkt sonst überladen.

LG, eKy
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Zynismus: Ich halte euch einen Spiegel vor, aber ich glaube nicht mehr an euch.

wolfmozart

Re: Du weißt es genau
« Antwort #4 am: September 21, 2019, 18:54:29 »
Hallo Erich,

habe deine Version  mit Interesse gelesen und kann sagen: Ein ausgezeichnetes Gedicht hast du da abgeleitet von meiner Urversion. Das freut einem wenn man andere Dichter inspirieren kann mit seinen Werken.
Und für Leser unserer Lyrik ist es auch ein Gewinn, da sie jetzt 2 Varianten zur Verfügung haben.

Und wie immer Dank fürs Zeitnehmen fürs Kommentieren.

Hi Elenore, mich freuts auch dass dich meine Zeilen erreichen konnten.

Liebe Grüße euch beiden wolfmozart

Agneta

  • Gast
Re: Du weißt es genau
« Antwort #5 am: September 24, 2019, 17:55:01 »
eine Ballade,lieber Wolf, die von Schuld erzählt, von Selbstvorwürfen. Ein Kind ist vor langer Zeit im Wasser ertunken. Ein gutes Thema, wie geht man damit um, dass man nicht aufpasste? Eine schwere Last, die man trägt.
Die Bilder sind packend, der Text berührt.
Natürlich wäre es noch ansprechender, wenn man die Metrik gleichmäßig gestalten würde. Dies hat Erich gezeigt. Und den Wildwasserbach würde ich auch eher in einen Teich münden lassen, als in einen Ozean. Da die Schwäne mir dort eher angesiedt sind.
Gerne geesen und lG von Agneta

wolfmozart

Re: Du weißt es genau
« Antwort #6 am: September 28, 2019, 10:14:22 »
Hallo Agneta,
Dank dir für deine Stellungnahme.
Die Wasser hab ich etwas durcheinander gehen lassen.Vielleicht sollte man den Ozean wirklich ersetzen durch einen Teich oder ähnliches.
Freut mich jedenfalls dass dir der Text soweit zusagt.

LG wolfmozart