Ein ferner Ozean
Spiegelt sein Rot in Dein sanfteres Blau
Dem Ufer nah zieht ein weißer Schwan
Schwarze Linien mit seiner Frau
Du ergibst Dich dem rasenden Wildwasserbach
Nur um den Schwan zu verstehn
Ein Krähenpaar segelt ganz leise und flach
Im Abendrot zu den tausend Seen
Am Meergrund triffst Du Dein weinendes Kind
Mit blutenden Tränen im helleren Blau
Wie viele Tage vergangen sind!
Und es klagt um Dich an und Du weißt es genau
Das Lächeln des Bruders in Baumwipfeln weht
Der Glutball sinkt stolpernd davon
Du suchst wie im Wahnsinn nach einem Gebet
Und die Krähen sehn es mit Hohn
Das weinende Kinde dem Wasser entsteigt
Vereint sich dem Schwane, der Frau
Die Krähen. - Und alles gemeinsam steigt
Zum Himmel hinauf. Und Du weißt es genau.
Hi WM!
Also dieser (schon sehr gute Sprachhabung verratende) Text unterscheidet sich von recht vielen deiner bisherigen so sehr, dass ich mich zuerst fragte, ob das wirklich von dir sein kann. Das soll nicht abwertend klingen deinem bisherigen Schaffen gegenüber, aber dieser Text ist so gut formuliert, dass es, gemessen an dem, was ich sonst zuweilen so von dir gelesen habe, mir wie Tag und Nacht erscheint!
Wohlgemerkt, der Text folgt keiner einheitlichen Metrik, keinem einheitlichen Auftaktschema, nur der eigenen Sprachmelodie, aber das ist statthaft, vor allem, wenn die Sprache selbst dabei so wohlgefügt ist.
Die Reimwiederholung "entsteigt/steigt" in der letzten Strophe würde ich entschärfen, ich schlage in S5Z3 "
zeigt" als Reimwort vor.
Und weil ich es mir nicht verkneifen kann, mit gutem Potential zu werkeln, versuche ich noch eine metrisch genehme Version + Satzzeichen:
Ein hoher, wolkenloser Ozean
bespiegelt Röte in ein sanftes Blau.
Dem Ufer nahe zieht ein weißer Schwan
gemach dahin mit seiner Schwanenfrau.
Und du ergibst Dich still dem wilden Bach,
nur um die fernen Schwäne zu verstehen.
Ein Krähenpärchen segelt stumm und flach
im Abendrot hinunter zu den Seen.
Am Grunde triffst du dort dein Kind, es weint
verlorne Tränen in das helle Blau.
Wie viel an Tagen schon verloren scheint -
sie klagen an und wissen es genau!
Des Bruders Lächeln in den Wipfeln weht,
der Glutball sinkt wie ausgelaugt davon.
Du suchst wie unerlöst nach dem Gebet,
und alle Krähen sehen es mit Hohn.
Du siehst das Kindlein aus dem Wasser steigen,
als wäre es den Schwänen ein Gefährte,
und alle kehren heim in dich und zeigen
dir alles, was die Seele noch begehrte.
Der Auftakt ist gleichmäßig unbetont, die Zeilen alle fünfhebig jambisch, alle Versenden gereimt.
Zu Beginn habe ich den Himmel deutlich als "Ozean" ins Bild gesetzt, weil das logischer erschien, ist doch später von Bach und Seen die Rede, und die liegen meist nicht direkt an Küsten. Zudem sind Schwäne Süßwasservögel und würden nicht im Meer schwimmen, so weit ich weiß. Seen und Bäche sollten reichen für das Bild hier, in dem sich Naturbetrachtung und Erinnerungen und Visionen von Verlust (oder gar Schuld?) wie in einem Traum mischen.
Diese Spielerei von mir soll wohlgemerkt dein obiges Werk nicht ersetzen - sieh es als Fingerünung an, und vielleicht kannst du für spätere Werke Anregungen daraus ziehen, wenn du magst.
Sehr gern gelesen und damit gearbeitet!

LG, eKy