Autor Thema: Die Bürgschaft  (Gelesen 767 mal)

gummibaum

Die Bürgschaft
« am: September 13, 2019, 22:40:52 »
Er trug mich zum Tyrannen, wollte
die Stadt befreien, ward entdeckt.
Dionysos, der sterben sollte,
hat mich, den Dolch, zu sich gesteckt.

Und Damon, dessen guten Händen
ich sicheren Erfolg versprach,
soll gnadenlos am Kreuze enden,
weil ich nicht, wie erwartet, stach.

Drei Tage sind ihm noch gegeben,           
damit er eilt, die Schwester traut,         
dem Glück in ihrem jungen Leben
die Brücke in die Zukunft baut.

Ein treuer Freund hat sich gefunden
als Bürge seiner Wiederkehr.
Er harrt und wird am Kreuz geschunden,
flieht Damon feig und kommt nicht mehr.

Wie es auch geht, ich bin beklommen.
Es wäre schändlich, wenn er flieht.
Drum hoff ich mehr, er möge kommen,
damit man ihn als edel sieht.

Der dritte Tag hat schon begonnen,   
die Hochzeit muss vorüber sein.
Bleibt Damon tugendhaft gesonnen,
trifft er in ein paar Stunden ein.

Doch nichts passiert, nur starker Regen                         
erzählt mir, dass der Himmel weint.     
Dionysos verlacht hingegen
den Bürgen, der naiv erscheint.

Der gibt mir Trost, bleibt unerschüttert,
erklärt, bei Regen sei der Fluss
so wild, dass er den Steg zersplittert,
und man durch Strudel schwimmen muss.

Noch immer gießt es wie aus Kannen,
ich stecke schauernd im Gewand,
so nah am Körper des Tyrannen,
so fern von Damons tapfrer Hand.

Zuletzt erscheint die Sonne wieder,
doch, wenn sie auch gleich flammend sticht,
so geht sie doch schon langsam nieder,
und Damon ist noch nicht Sicht.

Der Bürge lässt den Spötter walten
und sagt: „Mein Damon hat - gequält
von Durst, von Räubern aufgehalten -
doch seinen Weg zu mir gewählt!“

„Genug des Faselns!“, lacht der derbe
Tyrann. „Der Abendhimmel glüht:   
Schafft ihn ans Kreuz, damit er sterbe,
da sich kein Arsch um ihn bemüht!“

Der Bürge geht, und meine Klinge
verliert den Glanz. Es ist vorbei.
Doch während ich mit Tränen ringe,
hör ich vom Kreuz her einen Schrei.

Dionysos vernimmt die Kunde,
dass Damon eingetroffen ist.
Es scheint, als blute eine Wunde
in ihm, die alles Harte frisst.

Man holt die Freunde, und voll Reue
fragt er, ob er ihr Freund sein kann:
ein Bündnispartner ihrer Treue  -
und wie poliert schließ ich mich an...


(nach Schillers Ballade)
https://www.deutschelyrik.de/die-buergschaft.336.html





« Letzte Änderung: November 15, 2020, 18:48:21 von gummibaum »

Erich Kykal

Re: Die Bürgschaft
« Antwort #1 am: September 13, 2019, 23:55:53 »
Hi Gum!

(Ohne nachgeschaut zu haben)

Zu Dionysos, dem Tyrannen, schlich
Damon, den Dolch im Gewande.
Ihn schlugen die Häscher in Bande.
"Was wolltest du mit dem Dolche - sprich!"
"Das Land vom Tyrannen befrein!"
"Das sollst du am Kreuze bereun!"

Usw ... - he, ich kann's noch, nach über 40 Jahren!  ;D Naja, so ungefähr halt ...

Den GANZEN Sermon mussten wir damals auswendig lernen. "Die Glocke" auch! und "Die Kraniche des Ibykus"! Brrrr! Wie sperrig erschien mir Schiller schon damals im Vergleich zu Rilke's Panther!  ::)

Der Einstieg erscheint mir als bild seltsam, denn nicht der Dolch , der hier ja der Erzähler ist, schlich zum Tyrannen, sondern sein Träger - das verwirrt anfangs ein wenig.

Wie wäre es mit: "Man trug mich zum ..."?


Sammelst du eigentlich alle deine "Personifikationen"? Gedenkst du sie mal gemeinsam einzustellen?

Sehr gern gelesen!  :)

LG, eKy
Ironie: Ich halte euch einen Spiegel vor, damit wir herzlich lachen können.
Sarkasmus: Ich halte euch einen Spiegel vor, weil ich von euch enttäuscht bin.
Zynismus: Ich halte euch einen Spiegel vor, aber ich glaube nicht mehr an euch.

gummibaum

Re: Die Bürgschaft
« Antwort #2 am: September 14, 2019, 01:30:16 »
Danke, lieber Erich. Ja, genauso geht das. Kein Fehler.

Wir mussten das nicht mehr auswendig lernen. Aber ich habe mal 2 Balladen von Goethe beim Vortragswettbewerb für die Unterstufe vorgetragen.

Dein Vorschlag für den Einstieg ist sicher gut. Ich schaue morgen, wie ich es mache.

Ich habe jetzt 12 Balladen so umgeschrieben, dass Gegenstände, Feuer oder Pferd aus hrer Sicht den Inhalt erzählen. Ich könnte also einen Kalender daraus machen.

Alles Liebe
g

Erich Kykal

Re: Die Bürgschaft
« Antwort #3 am: September 14, 2019, 10:46:04 »
Hi Gum!

Als Titel dazu könnte ich mir vorstellen: "Blickwinkel","Perspektive", "Neue Perspektiven", "Schlaglicht von schräg", "Die andere Stimme", "Verschoben", "Klassik mal anders" usw ...  ;D

Aber was ich meinte, sind deine genialen Dinggedichte allgemein, worunter viele dieser neu interpretierten Klassiker ja auch fallen. In dieser Sparte (Personifizierung des Unbelebten) bist du so gut, dass man mit manchen dieser Gegenstände nachgerade mitfühlt - was natürlich bei logischer Betrachtung eine ganz außerordentliche lyrische Leistung darstellt!  :)

LG, eKy
« Letzte Änderung: September 15, 2019, 11:47:47 von Erich Kykal »
Ironie: Ich halte euch einen Spiegel vor, damit wir herzlich lachen können.
Sarkasmus: Ich halte euch einen Spiegel vor, weil ich von euch enttäuscht bin.
Zynismus: Ich halte euch einen Spiegel vor, aber ich glaube nicht mehr an euch.

gummibaum

Re: Die Bürgschaft
« Antwort #4 am: September 15, 2019, 03:07:46 »
Oh, danke für die guten Tipps, lieber Erich.

LG g