Hi EV!
Man könnte ein paar wenige grammatische Ungenauigkeiten anmerken und sehr sehr sehr viele sprachschöne (dieses Adjektiv müsste hier eigentlich noch gesteigert werden) Ausdrücke rühmen und preisen.
Mein Haupteindrück ist aber der einer gewissen Überladung, der Text wirkt für mich wie die Gründerzeitfassade eines denkmalgeschützten großstädtischen Mehrfamilienhauses aus den 1890er Jahren: Jede Menge Säulen, Halbsäulen, Erker, Gesimse und Balustraden, die ganz verschiedenen Epochen zu entstammen scheinen. Und jedes Element für sich ist wunderschön, aber in der Gesamtheit ist es (für mich) zu viel. Es ist eine Art Übersättigung mit Schönheit, die tiefe Sehnsucht nach dem Einfachen weckt, ein schlichtes Haiku, ein Vierzeiler in schlichter Sprache...
Bitte missverstehe das aber nicht als Fundamentalkritik - es ist ein erster Eindruck bei mir und sicher auch meiner aktuellen Stimmung geschuldet. Das sieht anderntags schon wieder ganz anders aus. Heute würde es mich aber jucken, aus dem Text vier ganz verschiedene, kürzere Gedichte zu machen:
Nur mal als ad hoc-Idee.... das müsste dann weiter umgebaut werden:
Am Ende des Anfangs
Als sie erwachten, zog der Himmel zu.
Aus Höhlen wurden Häuser. Alle Wiesen
verdingten ihre Pracht als Autobahnen,
die waberten: zubetonierte Wüsten,
und Winde wellten sich zu Wohlstandsfahnen.
Als sie erwachten, zog der Himmel zu
und irgendwann ging auch das Sandgeriesel aus
und man empörte sich des Rückschritts wegen!
Und über Prismen dieser Zeit hinaus
vollzog die Photosphäre ihren Segen,
der Sonne ging ihr langes Leuchten aus ...
Als sie erwachten zog der Himmel zu.
Verlust
Wir schöpfen Gesten, halb Gestein, halb Seide,
durchzittert noch vom Glanz aus Kinderaugen
und nähren Geist und Wort mit blanker Kreide
und führen Wehmutsbecher süßer Laugen
der Seele zu, ob sie auch immer leide:
Wir schöpfen Gesten, halb Gestein, halb Seide.
Waldglas
Doch die Natur, sie ward zum Schwindsuchtland,
was einst in reicher Fülle stand, entschwand.
Die Wälder, reich an Gaben und das Gras,
aus Wolkenseiden tiefster Rührung weich,
verbrannte man und schuf das edle Glas
aus Sand: Was übrig blieb, ein Königreich
aus himmelgrüner Scherbe. Eingangshallen
erschienen schnurgerad im Wüstenlicht.
So sah'n wir Träume in den Himmel fallen.
Moloch
Die Gärten prangen, Amethystgemäuer
umranken Abenderker aus Kristall,
für Liebe zahlt man heute Cyborgsteuer,
die Nächte gleißen: irisierendes Metall.
Das Leben formt sich aus zu Flederschwämmen,
die Menschenstädte sind wohl nur so echt
wie dürre Morcheln aus Myzelgeflecht,
und in das Waldlicht wachsen Domstadtdämme.