Autor Thema: Sommer des Klimawandels  (Gelesen 475 mal)

Erich Kykal

Sommer des Klimawandels
« am: August 18, 2022, 11:29:34 »
Die Blätter dunkeln. Von des Frühlings Helle
ist nichts mehr übrig unter Sommerglut,
sogar den welken Winden fehlt der Mut,
sie frech zu regen noch an mancher Stelle.

Die Hitze überströmt wie eine Welle
die Welt vor ihrer mörderischen Flut,
die nur versengt und brennt in heißer Wut,
und stürmt des Morgens morsche Zitadelle,

als gälte nichts als nur noch ein Bestreben,
das nackte Erdenrund von allem Leben
zu reinigen, es haltlos zu verbrennen.

Die Blätter dunkeln. Ihre Schatten geben
kein Kühles mehr, und ihre Ränder weben
nur fremde Bilder, die wir nicht erkennen.
Ironie: Ich halte euch einen Spiegel vor, damit wir herzlich lachen können.
Sarkasmus: Ich halte euch einen Spiegel vor, weil ich von euch enttäuscht bin.
Zynismus: Ich halte euch einen Spiegel vor, aber ich glaube nicht mehr an euch.

Sufnus

Re: Sommer des Klimawandels
« Antwort #1 am: November 11, 2022, 20:41:45 »
Hi eKy!
Ich hab ja schon geschrieben, dass ich noch einige Gedichte von Dir im Rückstand bin (die mir von Dir ans Herz gelegten versauten Liebesgedichte sind noch nicht vergessen, aber da ist - wie schon gesagt - der Anlauf etwas länger für mich... ).
Hier also ein Gedicht, dass jetzt im November ein kleines bisschen antizyklisch rüberkommen könnte... andererseits muss man konstatieren, dass auch im November - wenn auch glücklicherweise auf niedrigerem Temperaturniveau - die Klimakrise an dem "zu milden" Wetter (gemessen an einem früheren Normal) deutlich spürbar ist.
Was mir hier besonders gut gefällt, dass Du dem dystopischen (leider sehr realen) Bild der zerstörten (zerstörerischen) Natur die zivilisatorische Power des Kulturguts "Sonett" in seiner formvollendetsten Variante gegenüberstellst (d. h. mit den kanonischen zwei Reimendungen, mit denen sich die zwei Quartette begnügen müssen). Die wenigsten Sonettdichter legen die formale Messlatte so hoch (mich eingeschlossen) - in der Regel begnügt man sich mit einem ABBA-CDDC-Shema und versucht sich nicht, wie Du hier, am ungleich schwierigeren ABBA-ABBA-Reim.
Den Punkt möchte ich hier auch ausdrücklich machen, weil wir ja an anderer Stelle gerade über die Möglichkeit einer Abweichung von strengen Formvorgaben (bis hin zur bewussten Formauflösung) diskutieren, wo Du eine klare Contra-Position beziehst und ich eine etwas volatile Pro-Argumentation verfolge.
Nun... mein hohes Lob für die hier angewandte strenge Form beweist vielleicht, dass meine Ansicht zu Formvorgaben mehrdimensional und keineswegs einseitig ist (nebenbefundilch lässt sich erwähnen, dass Du in den Terzetten  sogar noch über die formalen Vorgaben hinausgegangen bist und ebenfalls nur zwei verschiedene Reimen-Endigungen bemühst, anstelle der "erlaubten" drei (CCD-EED oder CDC-EDE), das ist ja eine schon öfter von Dir demonstrierte Spezialität (CCD-CCD oder CDC-DCD). :)
LG!
S.
« Letzte Änderung: November 12, 2022, 13:02:34 von Sufnus »

Erich Kykal

Re: Sommer des Klimawandels
« Antwort #2 am: November 19, 2022, 11:56:26 »
Hi Suf!

Vielen Dank für das freudliche Lob! Da ich gern mit der Sonettform ab und an experimentiere, könnten Kritikusse und Adepten des Purismus gegen mich ins Feld führen, ich wüsste oder könnte es gar nicht besser. Diesen halte ich bisweilen so ein Stückchen entgegen, damit sie erkennen, dass nicht Unwissen oder Unfähigkeit mich bewogen haben, die Form zu erweitern oder teilweise aufzulösen, sondern das Gegenteil. Selbst wenn ich mich bisweilen nicht so anhöre: Auch in der lyrischen Kunst darf nichts auf ewig in Erz gegossen bleiben, erstarrt und erwürgt von zu engem Regelwerk.
Für mich gilt: So lange dabei der evaluierbare Punkt der lyrischen Wertigkeit gegeben bleibt, muss es zulässig sein, mit einer Form nach künstlerischem Ermessen zu spielen.

LG, eKy
« Letzte Änderung: November 21, 2022, 20:00:58 von Erich Kykal »
Ironie: Ich halte euch einen Spiegel vor, damit wir herzlich lachen können.
Sarkasmus: Ich halte euch einen Spiegel vor, weil ich von euch enttäuscht bin.
Zynismus: Ich halte euch einen Spiegel vor, aber ich glaube nicht mehr an euch.

Sufnus

Re: Sommer des Klimawandels
« Antwort #3 am: November 20, 2022, 21:27:12 »
Hi eKy!
Freut mich, dass Du das so siehst... ich weiß, dass ich aus Deiner Sicht den experimentellen Bogen dann und wann deutlich überspanne... aber ich finde, Du nimmst das im großen und ganzen doch sehr großzügig auf, angesichts der sensorischen Schmerzen, die Dir solcherlei Eskapden bereiten. :) Dass Du daran Kritik übst, finde ich übrigens sehr gut! Darum geht es ja bei einem wechselseitigen Austausch! :) (und nur der Vollständigkeit halber, meine Versuche in Formerweiterungen oder Sprachexperiment sind dennoch im Vergleichs-Kontext äußerst brav und konservativ - ich staune duchaus, was die Nachwuchslyriker*innen unternehmen, um sprachliche Grenzen zu erweitern. Ich bewundere das sogar zutiefst, aber ich glaube Dir, eKy, würde bei einer Konfrontation mit diesen Werken ein bisschen der Comment der Wohlerzogenheit verloren gehen... ;) Nun... das ist aber nicht das (Haupt-)Thema hier auf der Wiese. :)
LG!
S.

Erich Kykal

Re: Sommer des Klimawandels
« Antwort #4 am: November 21, 2022, 20:12:25 »
Hi Suf!

Danke für dein Verständnis für einen versteinerten alten Zyniker, der mitunter kein gutes Haar an der Welt lassen will, bloß weil er selber schon kahl ist!  ;) ;D

Mir ist durchaus klar, dass ich in jüngeren Kreisen als Fossil gelte, mit dem obendrein nicht immer gut Kirschen essen ist. Allerdings war meine Einstellung schon vor 40 Jahren dieselbe, als ich zu dichten begann. Ich schrieb klassisch gereimt und strukturiert, obwohl ich damals im Grunde keine Ahnung von der Materie hatte und natürlich jede Menge Metrikfehler machte.
Wohlmeinende Freunde rieten mir, modern zu schreiben, weil 'den alten Schmonzes' keiner mehr lesen würde. Ich war jung und leicht zu manipulieren und versuchte es tatsächlich ein oder zwei Monate lang. Die Ergebnisse waren - laut Kritiken - nicht schlecht, allerdings sicher nicht überragend, aber was mich letztlich bewog, davon wieder abzulassen, war der Umstand, dass ich einfach nie mit dem Herzen dabei war! Das moderne Schreiben gab mir nichts, kein Gefühl von Erhebung, oder dabei etwas geleistet zu haben. Es hinterließ mich immer nur mit einem Achselzucken. Wenn Reime toller Sex waren, empfand ich das reimlose Schreiben wie Onanie - letztlich unbefriedigend und leer hinterlassend, was hätte erfüllt sein sollen.

LG, eKy
Ironie: Ich halte euch einen Spiegel vor, damit wir herzlich lachen können.
Sarkasmus: Ich halte euch einen Spiegel vor, weil ich von euch enttäuscht bin.
Zynismus: Ich halte euch einen Spiegel vor, aber ich glaube nicht mehr an euch.