Autor Thema: Tanzabend  (Gelesen 1245 mal)

Erich Kykal

Tanzabend
« am: August 26, 2013, 11:25:22 »
Wo die Blicke Krallen haben,
von den Zähnen Lüge lacht,
hinter Türen Nägel schaben,
Lüste sich aus Kellern graben,
die kein Wille mehr bewacht -

tanzen die Kinder.

Wo die Hände Zeichen setzen
an erblühten Mädchenhüften,
unter grellen Kleiderfetzen
Unschuld auf den Tod verletzen
und den letzten Schleier lüften -

träumen die Kinder.

Wo durch nieberührte Lippen
gierig fremde Zungen brechen,
Hände auf entblößte Rippen
Wollust und Erfüllung kippen
und die Seelen schuldig sprechen -

sterben die Kinder.
« Letzte Änderung: August 26, 2013, 11:29:24 von Erich Kykal »
Ironie: Ich halte euch einen Spiegel vor, damit wir herzlich lachen können.
Sarkasmus: Ich halte euch einen Spiegel vor, weil ich von euch enttäuscht bin.
Zynismus: Ich halte euch einen Spiegel vor, aber ich glaube nicht mehr an euch.

Daisy

Re:Tanzabend
« Antwort #1 am: August 27, 2013, 19:12:07 »
Hallo Erich,

so ganz blicke ich noch nicht durch, aber es mutet gräuslich an, was da im Gange ist!

Diese Verse verursachen bei mir Gänsehaut und Schauder.

LG Daisy

Erich Kykal

Re:Tanzabend
« Antwort #2 am: August 28, 2013, 00:51:50 »
HI, Daisy!

Hier fasste ich den Begriff "Kind" als Zustand der Unschuld und Reinheit, noch nicht sexuell aktiv, bestenfalls schon ahnend, sehnend vielleicht.
Dann beginnt die "Ausgehzeit", früher Disco, heute Rave oder was auch immer gerade "cool" ist - und die Kinder (sprich, die Kinder in jedem von ihnen) sterben, weil Erwachsene draus werden, weil Erotik, Sex und Drogen (wozu ich auch Alkohol zähle), also Erleben wie auch Betäubung der Sinne plötzlich allumfassend werden und ihr noch kleines Universum erobern.
Manche bleiben dabei auf der Strecke, moralisch und/oder körperlich, dafür sorgen miese "Freunde", später Freier, Zuhälter, Alkohol, Drogen, Aids, usw...
Grade bei manchen meiner Schülerinnen - und nicht immer nur aus bildungsfernen Schichten - erlebe ich es mit tiefem Bedauern, wie sie offensichtlich in ein Umfeld ordinärsten und primitivsten Umganges mit Sexualität hineinwachsen: Keine davon eine "geborene" Schlampe, sondern von gleichgültigen oder kulturfernen Eltern, miesen Kumpels und geilen Nutzniesern dazu gemacht und immer weiter erniedrigt.
Andere werfen sich aus Widerspruch zum Konservativismus oder der Rigidität des Elternhauses praktisch selbst "vor die (geilen) Säue". Immer aber ist es ein Verlust für alles Schöne und Edle in uns!

Die Kinder sterben, weil die Kindheit stirbt. Und was nachkommt, ist nicht immer besser... Aber ob Opfer oder Täter - Getriebene sind wir alle...

LG, eKy
Ironie: Ich halte euch einen Spiegel vor, damit wir herzlich lachen können.
Sarkasmus: Ich halte euch einen Spiegel vor, weil ich von euch enttäuscht bin.
Zynismus: Ich halte euch einen Spiegel vor, aber ich glaube nicht mehr an euch.

Daisy

Re:Tanzabend
« Antwort #3 am: August 29, 2013, 20:53:44 »
Hallo Erich,

für die ausführliche Erklärung danke ich dir sehr herzlich!

Wenn man, so wie du, diese traurigen Vorgänge aus der ersten Reihe miterlebt, ist das verständlicherweise mit tiefem Bedauern verbunden. Das Schlimme daran ist,
dass es kaum möglich sein dürfte, in irgendeiner Weise etwas dagegen zu unternehmen. Was für ein Dilemma!

In deinem Gedicht ist es dir erschreckend gut gelungen, die Situation so intensiv zu verdeutlichen, dass sie einen zutiefst betroffen macht.

Chapeau!

LG Daisy

Erich Kykal

Re:Tanzabend
« Antwort #4 am: August 31, 2013, 09:55:45 »
Hi, Daisy!

Es ist nun mal so, dass Kinder zu Erwachsenen werden, die Unschuld und das Kindliche also irgendwann sterben müssen!
Es ist allerdings sehr wesentlich, wann - und vor allem: wie - das geschieht!
So wie hier beschrieben jedenfalls nicht: Durch Berauschung und Enthemmung - das führt allzu leicht auf Abwege...

LG, eKy
Ironie: Ich halte euch einen Spiegel vor, damit wir herzlich lachen können.
Sarkasmus: Ich halte euch einen Spiegel vor, weil ich von euch enttäuscht bin.
Zynismus: Ich halte euch einen Spiegel vor, aber ich glaube nicht mehr an euch.

cyparis

Re:Tanzabend
« Antwort #5 am: August 31, 2013, 11:00:16 »
Schlicht und kurz:

Grausig. Gut. Grausig gut.


Lieben Gruß
von
Cyparis
Der Schönheit treu ergeben
(Lady Anne von Camster & Glencairn)
copyright auf alle Texte

gummibaum

Re:Tanzabend
« Antwort #6 am: September 01, 2013, 15:32:15 »
Man kann es auch als eindringlich schrillen Pfiff gegen Kindesmissbrauch lesen, wenngleich es sich ja spezieller festlegt. Sehr gut,  Erich.

LG gummibaum

 
« Letzte Änderung: September 01, 2013, 15:34:55 von gummibaum »

Erich Kykal

Re:Tanzabend
« Antwort #7 am: September 01, 2013, 21:07:57 »
Hi, Cypi, Gum!

Herzlichen Dank für eure Gedanken dazu!

Ich wollte auch auf die Naivität hinweisen, mit der viele dieser unerfahrenen, jungen Menschen quasi auf dem Rand des Vulkans tanzen! Im Numbus ihres Glaubens an die eigene Unsterblichkeit (schlimme Dinge passieren immer nur anderen und weit weg...) negieren sie Anzeichen (oder erkennen sie nicht einmal), nur um ein wenig erwachsener und cooler rüberzukommen, weil sie so offensichtlich furchtlos mit der Gefahr spielen!
Waren WIR anders????

LG, eKy
Ironie: Ich halte euch einen Spiegel vor, damit wir herzlich lachen können.
Sarkasmus: Ich halte euch einen Spiegel vor, weil ich von euch enttäuscht bin.
Zynismus: Ich halte euch einen Spiegel vor, aber ich glaube nicht mehr an euch.

cyparis

Re:Tanzabend
« Antwort #8 am: September 01, 2013, 21:34:06 »
Waren WIR anders?

Zumindest teilweise:
Ja.
Die Kuba-Krise steckte mir lange in den Knochen.
Wie der Mauerbau auch.

Da war ich noch sozusagen "jung".

Lieben Gruß
von
Cyparis
Der Schönheit treu ergeben
(Lady Anne von Camster & Glencairn)
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