Autor Thema: Krankes Kind  (Gelesen 1511 mal)

gummibaum

Krankes Kind
« am: September 21, 2013, 14:25:56 »
Die Mutter steht, von ihrem Kind begleitet,
im Sommerwalde starr und lächelt kühl,
der feingemachte Sohn, der Mutter leitet,
empfindet wachsend schon ihr Angstgefühl.

Wie anders läuft es sich an Vaters Seite,
der auf dem Regenschirm Trompete spielt,
die beiden sind wie Clowns und in die Weite
entflieht das Zage, das die Kindheit stiehlt.

Doch ist der Vater meistens auf der Reise,
und weil dem Jungen dann kein Essen schmeckt,
wird frühes Kranksein nun zur neuen Speise,

das Fieber kommt und er wird zugedeckt,
die Mutter sorgt sich wärmend, zittert leise,
was ihm die Einsamkeit erquickend leckt.

cyparis

Re:Krankes Kind
« Antwort #1 am: Oktober 09, 2013, 12:10:36 »
Sehr geheimnisvoll, lieber Gummibaum!
Was mag des Rätsels Lösung sein, dort tief im Wald.
Faszinierende Verse.


Herzlichen Gruß
von
Cyparis
Der Schönheit treu ergeben
(Lady Anne von Camster & Glencairn)
copyright auf alle Texte

gummibaum

Re:Krankes Kind
« Antwort #2 am: Oktober 15, 2013, 13:39:40 »
Hallo Cyparis,

ich hinke mit Antwort leider sehr hinterher. Nach dem Tod meiner Mutter sind einige Fotos in meine Hände gefallen, die mich in den Fünfzigern mit meinen Eltern zeigen. Ich war als kleines Kind sehr zart und häufig krank und zeigte nervöse Ticks. Meine Mutter war eine komplizierte, unsichere Frau, deren Wertgefühl sich aus dem Besitz eines Kindes und seiner Stilisierung speiste. Mein Vater war unkompliziert, ein halber Bub noch, ein Kumpel, den ich aber nur selten um mich hatte. Die Ehe meiner Eltern war labil, da mein Vater meine Mutter nicht verstand und sie auch ein anders Männerbild hatte, aber froh war, dass er sich ihre Schwangerschaft als Verursacher zurechnete und gleich zur Heirat bereit war. Ich entwerfe hier einen Zusammenhang zwischen der Atmosphäre und den zwischenmenschlichen Beziehungen einerseits und der Krankheit, die mir mehr als Symptom einer Flucht als einer viralen Infektion erscheint.

Danke für deinen Kommentar
LG gummibaum

Erich Kykal

Re: Krankes Kind
« Antwort #3 am: Mai 09, 2020, 12:51:57 »
Hi Gum!

Habe dieses sonette Kleinod nie gelesen - das muss mir damals schlicht entgangen sein!

Ein wunderschönes ,"zerbrechliches" Werk voller emotionaler Schlagschatten, wie ein Bild von Picasso aus der blauen oder rosa Phase - die voneinander abgewandten, versonnen ernsten, versteinerten Gesichter von Mutter und Kind ...

Die Krankheit, um die es hier geht, ist sicher eine des Geistes, und das Fieber nur ein Symptom. Kinder reflektieren die Welt nicht, sie sind ursächlich darin zu Hause, aber eben auch ausgeliefert, dem Steuern anderer anheimgegeben. Und wenn der Steuermann (oder wie in diesem Fall -frau) versagt, kommt man leicht vom guten Kurs ab.

Dass eine unsichere, etwas seltsame Mutter dein Kindsein stilisierte, hast du mit Rilke gemeinsam, wusstest du das?

Sehr gern gelesen!  :)

LG, eKy
Ironie: Ich halte euch einen Spiegel vor, damit wir herzlich lachen können.
Sarkasmus: Ich halte euch einen Spiegel vor, weil ich von euch enttäuscht bin.
Zynismus: Ich halte euch einen Spiegel vor, aber ich glaube nicht mehr an euch.

Eisenvorhang

  • Gast
Re: Krankes Kind
« Antwort #4 am: Mai 09, 2020, 13:53:40 »
Die letzten zwei Terzette sind harte Kost, lieber gummibaum.
Die lyrische Qualität kann sich sehen lassen und das Handwerk ist meisterlich!
 
Bei mir war es umgedreht, eine sehr warmherzige und umsorgende Mutter und ein cholerischer, emotional distanzierter und grundsätzlich abwesender Vater,
der in meiner Kindheit schon sehr zeitig das Gefühl des Erdenfremdseins etablierte, und mir kein richtiges "Mannsbild" vermittelte, weil ich als Jüngster von dreien, wovon einer verstarb, wohl im Zug der tiefen Trauer meiner Eltern, die damals emotional nicht verfügbar waren, unterging. Daraus entwickelten sich Unsicherheiten und Rebellion ganz nach dem Motto "Flucht nach vorn".
 
So wurde ich dann in die Wege des Lebens als "schwer lenkbar und schwer erziehbar" entlassen, stets entweder mit hyperaktiven oder lethargischen Zügen, was sich durch den gesamten Lebenslauf ziehen sollte, mit Verweisen und einen Lebenslauf den man getrost durch die Pfeife rauchen kann, ersuchte ich erstmalig freiwillig Hilfe im Alter von 17 Jahren, weil ich große Schwierigkeiten mit Gleichaltrigen aufwies und mit Autoritätspersonen.
Heute konnte ich den Dingen entreifen und bin ein anderer Mensch, die Vernachlässigungen und Kränkungen aber, werden mich wohl nie verlassen. Oder doch? Ich wünsch es mir! :-)
Nach vielen Jahren herrscht aber Versöhnung und bin sehr zufrieden mit der Einfachheit meines Lebens. Solange ich gesund bin und bleibe, werde ich sowieso nicht meckern.

Sehr gern und vor allem berührt gelesen!

Bleib gesund, gum!

vlg

EV
« Letzte Änderung: Mai 09, 2020, 13:57:16 von Eisenvorhang »

gummibaum

Re: Krankes Kind
« Antwort #5 am: Mai 11, 2020, 16:55:07 »
Danke, lieber Erich,

für die einfühlsame Besprechung des Gedichts. Über Rilkes Eltern wusste ich nichts.


Danke, lieber Eisenvorhang,

für den Bericht über dein Leben und die guten Wünsch für meine Gesundheit.


Herzliche Grüße
gummibaum

Curd Belesos

Re: Krankes Kind
« Antwort #6 am: Mai 12, 2020, 01:25:47 »
Moin gummibaum,
es war keine Liebe, es war Pflichgefühl, wie man es unseren Eltern beigebracht hatte.
Wir haben es meist zu spät erkannt, um und davor zu schützen.
Es berührt mich sehr.
LG
CB
Nur wenn du frei bist " IF " ....dann bist du ein Mensch

gummibaum

Re: Krankes Kind
« Antwort #7 am: Mai 12, 2020, 12:20:22 »
Danke, lieber Curd. Da ist was dran, aber es ist mir doch zu allgemein.

Herzliche Grüße
gummibaum



Agneta

  • Gast
Re: Krankes Kind
« Antwort #8 am: Mai 26, 2020, 22:36:20 »
dieses Kleinod ist auch mir entgangen, lieber Gum. es geht unter die Haut, die starre, kühle Mutter mit dem feingemachten Kind . Mir kommen Bilder von Depression bei der Mutter und einer Übertragung der Stimmung auf das Kind, das mit einem Infekt reagiert.
Beim Vater ist der Spaziergang ja lustig.
Eine berührende und perfekt sonettierte Behandlung des komplizierten Verhältnisses, das Eltern manchmal zu ihren Kindern haben. Respekt.
LG von Agneta

gummibaum

Re: Krankes Kind
« Antwort #9 am: Juni 24, 2020, 12:33:53 »
Danke, liebe Agneta. Dein Kommentar trifft es haargenau und das freut mich.

Liebe Grüße von gummibaum