Autor Thema: Verlassen  (Gelesen 1341 mal)

cyparis

Verlassen
« am: Januar 26, 2014, 22:35:14 »
Mich hat meine kleine Stadt verlassen;
die Häuser sind so kahl, so trüb.
Wo sind die liebgewordnen Gassen?
Ich glaub, die hätten mich noch lieb.

Im Dämmern hatt ich sie durchschritten -
ist das denn schon so lange her? -
was in ihr lag, in ihrer Mitten,
und damals war mein Herz nicht schwer.

Nun ist sie nächtens hell und kalt;
geborsten sind die alten Mauern.
Hier wollt ich eines endlich werden: alt.
Bald werd ich scheidenmüssend trauern.

***
Von Erich geglättete Fassung:


Die kleine Stadt hat mich  verlassen;
die Häuser sind so kahl und  trüb.
Wo sind die liebgewordnen Gassen?
Ich glaub, die hätten mich noch lieb.

Im Dämmern hab ich sie durchschritten
 - ist das denn schon so lange her? -
was in ihr lag, in ihrer Mitten,
und damals war mein Herz nicht schwer.

Nun ist sie nächtens hell und kalt;
geborsten sind die roten Mauern.
Hier wollt ich eines endlich werden: alt.
Bald werd ich scheidenmüssend trauern.

alternative dritte Strophe:



Geborsten sind die siechen Mauern,
und sie ist nächtens hell und kalt.
Bald werd ich scheiden müssend trauern,
und wollt nur eins hier werden: Alt.




« Letzte Änderung: Januar 27, 2014, 18:38:29 von cyparis »
Der Schönheit treu ergeben
(Lady Anne von Camster & Glencairn)
copyright auf alle Texte

Erich Kykal

Re:Verlassen
« Antwort #1 am: Januar 27, 2014, 09:42:19 »
Hi, Cypi!

Ein sehr lyrisch-nachdenkliches Gedicht, Abschied tragend und leisen Schmerz - wunderbar zu lesen.

Ein paar kleine Huckel:


Mich hat meine kleine Stadt verlassen; Die Verszeilen beginnen mehrheitlich unbetont, und zu lang ist diese Zeile auch, daher: "Die kleine Stadt hat mich verlassen,"
die Häuser sind so kahl, so trüb. Alternative: Statt des 2. "so" ein "und" zu setzen.
Wo sind die liebgewordnen Gassen?
Ich glaub, die hätten mich noch lieb.

Im Dämmern hatt ich sie durchschritten Wozu Vorvergangenheit? Besser: "hab"
- ist das denn schon so lange her? - Den vorderen Bindestrich würde ich besser in Z2 am anfang setzen, so ist der Einschub besser erkennbar.
was in ihr lag, in ihrer Mitten,
und damals war mein Herz nicht schwer.

Nun ist sie nächtens hell und kalt;
geborsten sind die alten Mauern. Wortwiederholung "alten/alt" mit der Folgezeile.
Hier wollt ich eines endlich werden: alt. Zeile zu lang. Am besten "endlich" streichen: "Hier wollt ich eines werden: Alt."
Bald werd ich scheidenmüssend trauern.


Bei der letzten Str. sind die männlichen und weiblichen Kadenzen genau umgekehrt. S1 und 2: weiblich/männlich/w/m
S3 hingegen: m/w/m/w - Das wirft einen doch ein wenig aus dem Leserhythmus!

Alternative:

Geborsten sind die siechen Mauern,
und sie ist nächtens hell und kalt.
Bald werd ich scheiden müssend trauern,
und wollt nur eins hier werden: Alt.


Aussage satztechnisch besser verwoben, Kadenzen stimmen, liest sich flüssig. Entscheide du...

Sehr gern gelesen und beklugfummelt!

LG, eKy
Ironie: Ich halte euch einen Spiegel vor, damit wir herzlich lachen können.
Sarkasmus: Ich halte euch einen Spiegel vor, weil ich von euch enttäuscht bin.
Zynismus: Ich halte euch einen Spiegel vor, aber ich glaube nicht mehr an euch.

cyparis

Re:Verlassen
« Antwort #2 am: Januar 27, 2014, 11:21:44 »
Oh, Erich -

hab vielen Dank!
Deine Verbesserungen sind Gold wert!
Ich werde ändern.

Lieben Gruß
von
Cyparis
Der Schönheit treu ergeben
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copyright auf alle Texte

Daisy

Re:Verlassen
« Antwort #3 am: Januar 27, 2014, 18:02:22 »
Liebe Cyparis,

ein sehr anrührendes, melancholisches Gedicht!
Ich kann gut nachempfinden, wie traurig es macht, wenn plötzlich nichts mehr so ist wie es mal war.
Wie schade, wenn lang Vertrautes verschwindet, von unschönem Neuen verdrängt wird.

Mit großer Anteilnahme und sehr gern gelesen!

Herzlichen Gruß von
Daisy

gummibaum

Re:Verlassen
« Antwort #4 am: Februar 02, 2014, 22:51:52 »
Liebe...r Cyparis,

ist doch ein Matrose?

Ein sehr schönes, stimmungsvolles und trauriges Gedicht. Wunderbar zu lesen. Danke.

LG gummibaum