Autor Thema: Tristesse  (Gelesen 1676 mal)

Daisy

Tristesse
« am: Februar 04, 2014, 19:47:05 »
Die Nacht trägt meine Sehnsucht in die Ferne,
Gedanken reisen, bringen mich zu dir
und wenn ich mich in Träumerein verlier,
erstrahlen mir im Dunkel alle Sterne.

Doch gnadenlos zerstört der Tag die Träume,
die Sehnsucht kehrt zurück und hüllt mich ein;
auch zeigt sich nirgendwo ein heller Schein,
nur tristes Grau färbt meines Himmels Säume.

So bleib ich denn in meiner Welt gefangen,
ergebe mich der Hoffnungslosigkeit,
begrabe trüben Sinnes mein Verlangen.

Gestaltlos fallen Schatten auf die Zeit,
die ohne dich so leer und endlos scheint
und keiner hört, wie meine Seele weint.

Erich Kykal

Re:Tristesse
« Antwort #1 am: Februar 04, 2014, 20:37:41 »
Hi, Daisy!

Wenn man so etwas Herzzerreißendes liest, möchte man sofort den Dichter knuddeln und versichern, dass alles gut wird...ich hoffe allerdings, dass du als Poetin einen gewissen Abstand zum hier sprechenden LyrIch zu wahren vermagst - zumindest sei es dir von Herzen gewünscht!

Dichterisch natürlich wunderbar gewoben, ohne Fehl und Tadel. Traditionalisten würden mäkeln, dass ein Sonett durchgängig weibliche Kadenzen haben sollte - aber zum Glück bin ich keiner! ;)

Vorschlag:

S3Z1 - Wäre "So bleibe ich in meiner Welt gefangen," nicht klarer formuliert und runder lesbar?

Weibliche Kadenzen wären übrigens in den Terzetten hier leicht nachzurüsten:

So bleibe ich in meiner Welt gefangen,
ergehe mich in Hoffnungslosigkeiten,
begrabe trüben Sinnes mein Verlangen.

Gestaltlos fallen Schatten auf die Zeiten,
die ohne dich so leer und endlos scheinen,
und keiner hört, wie unsre Seelen weinen.

Voilá - und schon endet alles unbetont! Zudem wirkt die Conclusio weniger egomanisch selbstreflektiv, indem sie die Seele des Entschwundenen mit einbezieht.

Aber das sind bloß so Ideen...

Allergernst - wenn auch mitleidend - gelesen!

LG, eKy
« Letzte Änderung: Februar 05, 2014, 20:17:43 von Erich Kykal »
Ironie: Ich halte euch einen Spiegel vor, damit wir herzlich lachen können.
Sarkasmus: Ich halte euch einen Spiegel vor, weil ich von euch enttäuscht bin.
Zynismus: Ich halte euch einen Spiegel vor, aber ich glaube nicht mehr an euch.

Daisy

Re:Tristesse
« Antwort #2 am: Februar 04, 2014, 21:41:34 »
Hallo Erich,

immer wieder stelle ich fest, dass du das richtige Gefühl für die Feinheiten hast, das mir leider doch (noch?) fehlt!

Dankeschön für dein Lob und die guten Anregungen. Auch das Knuddeln lasse ich mir als Dichter gern gefallen und mit dem LyrIch kann ich mich immer bestens arrangieren.
Wenn du kein Traditionalist bist, bin ich es natürlich noch viel weniger! Ich bin doch eher eine, die recht gern auch neue Wege beschreiten will, um dadurch herausfinden zu können, welches Ergebnis meinem persönlichen Geschmack am nähesten kommt.

Ich überlege noch ein bisschen und werde aller Voraussicht nach auf deine Ideen zurückgreifen! :)

LG Daisy

Erich Kykal

Re:Tristesse
« Antwort #3 am: Februar 04, 2014, 22:15:22 »
Hi, Daisy!

Gut, dass auch du kein Traditionalist bist, denn die würden auch sagen, dass sich beim Sonett niemals die letzten beiden Zeilen reimen sollen. ;D Auch das ist so eine Korsettregel aus früherer Zeit...

Lachende Grüße, eKy ;)

PS:

Also, fassen wir zusammen (klassisches deutsches Sonett):

Zwei Quartette mit umfassenden Reimen, wahlweise ABBA-ABBA oder ABBA-BAAB. Insgesamt nur 2 Reime.

Zwei Terzette mit zwei oder max. 3 Reimen, die letzten beiden Zeilen im 2. Terzett sollen sich nicht direkt reimen.

Durchgehend unbetonte Auftakte und hinten ebenso durchgehend weibliche Kadenzen in grundsätzlich 5-hebigen Versen.

Inhaltliche Einteilung in These (1. Quartett), Antithese (2. Quartett) und Synthese (Terzette).
« Letzte Änderung: Februar 04, 2014, 22:18:07 von Erich Kykal »
Ironie: Ich halte euch einen Spiegel vor, damit wir herzlich lachen können.
Sarkasmus: Ich halte euch einen Spiegel vor, weil ich von euch enttäuscht bin.
Zynismus: Ich halte euch einen Spiegel vor, aber ich glaube nicht mehr an euch.

Ingo Baumgartner

Re:Tristesse
« Antwort #4 am: Februar 05, 2014, 11:15:29 »
Sonette sind nicht gerade meine favorisierte Form, dieses hier gefällt mir ausgezeichnet. LG Ingo

gummibaum

Re:Tristesse
« Antwort #5 am: Februar 05, 2014, 19:13:17 »
Hallo Daisy,

oft geben traurige Gedichte der Seele mehr Nahrung und Kraft als die heiteren. Ich kenne das als Dichter, nehme es hier aber auch wohltuend als Leser wahr. Ein tiefgehendes und die Seele wunderbar entschlackendes Werk. Lieben Dank.


Für Daisy

Manchmal finde ich am Wege,
wenn ich trübe niedersink,
Verse, deren Wortgehege
Brunnen sind, woraus ich trink.

Und kein Tropfen wird vergossen,
jeder lindert, jeder nährt -
Ich erhebe mich entschlossen,
selber Quelle, reich, geklärt...

LG gummibaum

« Letzte Änderung: Februar 05, 2014, 19:55:49 von gummibaum »

Daisy

Re:Tristesse
« Antwort #6 am: Februar 05, 2014, 22:33:18 »
Hallo Erich,

die Regeln des klassischen deutschen Sonetts sind mir mittlerweile bekannt, da mir aber strenge Regeln schon immer ein Dorn im Auge waren, werde ich auch hier zur Rebellin und nehme mir ganz einfach Freiheiten heraus, was vor mir doch bestimmt auch schon einige mehr oder weniger bekannte Lyriker ebenfalls getan haben!  ;)

Dennoch werde ich mich auch hin und wieder den Regeln unterwerfen und - wer weiß - vielleicht gelingt mir ja sogar in absehbarer Zeit das perfekte Sonett.

Danke nochmal für deine Hilfestellung und lieben Gruß!
Daisy


Hallo Ingo,

über diese spezielle Anerkennung freu ich mich sehr, da werd ich doch glatt um ein paar Zentimeter größer!  :)

Vielen Dank und lieben Gruß von
Daisy


Lieber Gummibaum,

für deine bezaubernde Widmung möchte ich mich ganz herzlich bedanken!  :)
Du kannst dir gar nicht vorstellen wie sehr ich mich darüber freue, denn ich war von Anfang an ein großer Fan deiner Gedichte und nun habe ich plötzlich eines von dir nur für mich! Ich bin begeistert und fühle mich unendlich reich beschenkt!

Danke auch für die feinen und lobenden Anmerkungen zu meinem Gedicht. Freut mich sehr, dass es dir gefällt.

Liebe Grüße von
Daisy

cyparis

Re:Tristesse
« Antwort #7 am: Februar 08, 2014, 18:52:26 »
Liebe Daisy -


Wenn man so etwas Herzzerreißendes liest, möchte man sofort die Dichterin in den Arm nehmen und versichern, dass alles gut wird.

(frei nach Erich Kykal)

Ein sehr stimmungsvolles, sehnsüchtiges Sonett, das trotz der Wehmut und Bitternis ganz Deine Handschrift trägt.
Wie immer treffen Deine Strophen mitten ins Herz und lassen das dichterische Herz jubeln.


Wenn Gummibaum es mir erlaubt, schließe ich mich hier nur zu gerne an:


Manchmal finde ich am Wege,
wenn ich trübe niedersink,
Verse, deren Wortgehege
Brunnen sind, woraus ich trink.

Und kein Tropfen wird vergossen,
jeder lindert, jeder nährt -
Ich erhebe mich entschlossen,
selber Quelle, reich, geklärt...



Dir und allen anderen Wiesenbewohnern einen wunderschönen Abend!


Herzlichste Grüße
von
Cyparis


Der Schönheit treu ergeben
(Lady Anne von Camster & Glencairn)
copyright auf alle Texte

Daisy

Re:Tristesse
« Antwort #8 am: Februar 10, 2014, 14:01:10 »
Liebe Cyparis,

deine anerkennenden Kommentare sind immer wieder neuer Ansporn
und ich freue mich sehr über deine lobenden Worte!

Es ist schön zu erfahren, dass es sich lohnt, sich mit der Dichterei ernsthaft zu befassen
und eine Weiterentwicklung anzustreben.

Herzlichen Dank für deinen liebevollen Zuspruch!

Lieben Gruß von
Daisy