Autor Thema: Wieder  (Gelesen 970 mal)

Jana

Wieder
« am: September 08, 2014, 00:09:22 »
Wieder bleiben Augen offen,
wieder lieg ich trauernd da.
Wieder bleibt das stumme Hoffen
nur ein Farbklecks, den ich sah.

Wieder treiben die Gedanken,
wieder liebe ich den Tod.
Wieder kommt der Mut ins Wanken
und die Sicht wird langsam rot.

Wieder kreisen meine Blicke,
wieder schrei ich lautlosstill.
Wieder reißen alle Stricke
und ich weiß nicht, was ich will.

Wieder bleiben Augen offen,
wieder suche ich nach dir.
Wieder merke ich, dass Hoffen
nach dem kleinen Wörtchen wir

wieder mal vergebens ist.
Wieder hab ich dich vermisst.
« Letzte Änderung: September 08, 2014, 20:46:32 von Jana »

Erich Kykal

Re:Wieder
« Antwort #1 am: September 08, 2014, 08:09:54 »
Hi, Jana!

Durch die Wiederholungen wirkt der Duktus gebetsmühlenartig, fast lakonisch - ein Effekt, dessen ich mich mitunter selbst bediene.

Meine einziger "Stolperstein":

S2Z1 - Hier habe ich ein Problem damit, dass man als Leser nach dieser Zeile erwartet, dass nun erklärt werde, WAS denn die Gedanken (zu sein oder zu tun) "scheinen", aber du lässt die Aussage so für sich stehen, offenbar meinend, die Gedanken selbst würden scheinen, und zwar in der Bedeutung von "leuchten". Damit bin ich nicht glücklich, denn das Bild funzt nicht für mich, da auch nicht erklärt wird, wodurch die Gedanken leuchten und/oder zu welchem Zweck.
Außerdem bleibt es so oder so eine Stolperstelle, weil so gut wie jeder Leser das "scheinen" erst mal in der zuoberst angeführten Bedeutung liest.

Gern gelesen, vor allem das elegante "Kippen" des vorletzten Satzes in die Conclusio mittels der zuunterst stehenden Halbstrophe.

LG, eKy
Ironie: Ich halte euch einen Spiegel vor, damit wir herzlich lachen können.
Sarkasmus: Ich halte euch einen Spiegel vor, weil ich von euch enttäuscht bin.
Zynismus: Ich halte euch einen Spiegel vor, aber ich glaube nicht mehr an euch.

Thomas

Re:Wieder
« Antwort #2 am: September 08, 2014, 19:08:06 »
Liebe Jana,

ich muss und will mich gerne Erichs Lob anschließen. Auch was er zu S2Z1 sagt stimmt meiner Meinung nach, es lässt sich jedoch ganz leicht beheben, wenn statt "scheinen" einfach nur "treiben" sagt.

Außerdem würde ich in der folgenden Zeile "lieb ich nur" durch "liebe ich" ersetzten, da mir das "nur" etwas unlogisch erscheint, in einer Situation, wo du dich doch so sehr nach dem geliebten "wir" (welches, wie ich es verstehe, gerade nicht der Gefatter ist) sehnst. Oder liege ich da völlig daneben?

Schließlich könnte man in der S1Z4 "den ich sah" durch "seh ich nah" (oder ähnlich) ersetzen, damit nicht in dieser einzigen Zeile die Vergangenheitsform steht. Das ist aber nicht so wichtig.

Und dann habe ich noch eine Idee, über die ich mir nicht ganz sicher bin. Ich sage es aber trotzdem. Wenn man in der letzten Zeile kein "Wieder" hätte, sondern z. B. "Ach, wie" (oder ähnlich) könnte der Abschluss vielleicht noch stärker wirken. Aber ich bin nicht sicher. Erich hat ja schon gesagt, wie toll du den Schuss gefügt hast, das ist handwerklich sehr geschickt gemacht .

Alles was ich sage ist jeweils nur als Vorschlag zu betrachten. Mir fällt es halt leichter, konkret Beispiele zu nennen.

Ich schätze dein Gedicht sehr hoch ein, und komme nur deswegen auf Ideen, was man noch alles tun könnte.

Liebe Grüße
Thomas
S p r i c h t die Seele so spricht ach! schon die S e e l e nicht mehr

(Friedricht Schiller)

Jana

Re:Wieder
« Antwort #3 am: September 08, 2014, 20:45:56 »
Lieber eKy, lieber Thomas,

eure Anmerkungen zu S2Z1 verstehe ich, ich danke euch!
Deine weiteren Anmerkungen, Thomas, verstehe ich, und das "nur" scheint wirklich unlogisch.

Danke euch beiden auch für das Lob!
Jana

cyparis

Re:Wieder
« Antwort #4 am: September 08, 2014, 20:48:00 »
Liebe Jana,


das Gedicht ist beinahe magisch.
Ich habe mich des Stilmittels auch einmal bedient, und das ausgesprochen gerne.
Ob die Wirkung mit Bedacht gezielt ist oder nicht - sie trifft!

Lob
von
Cyparis
Der Schönheit treu ergeben
(Lady Anne von Camster & Glencairn)
copyright auf alle Texte

Jana

Re:Wieder
« Antwort #5 am: September 08, 2014, 21:52:41 »
Liebe Cyparis,

dein Lob freut mich so sehr!
Ja, die Eindringlichkeit, die Worte erzielen können, ist immer wieder beeindruckend..:)

Jana