Autor Thema: Ich alter Esel  (Gelesen 1087 mal)

a.c.larin

Ich alter Esel
« am: Februar 20, 2016, 21:56:15 »
Ich alter Esel trotte still
in lang gezog‘nen Spuren,
die ich zwar längst verlassen will,
doch hängt man mir die Fuhren

ans Kreuz und lässt mich weiterziehn!
Gewohnheit macht genügsam.
Und wollte ich auch jäh entfliehn:
Ich bin nicht mehr so biegsam!

Ich bin vom immer gleichen Trott
des Aufbegehrens müde-
und trabe weiter, mir zum Spott.
Schon nagt Erschöpfung rüde

an jedem Schritt! Die Zeit gerinnt
auf ewig gleichen Wegen -
als schlüge eine Uhr in mir,
in ihren letzten Schlägen....
« Letzte Änderung: Februar 20, 2016, 22:14:47 von a.c.larin »

Erich Kykal

Re: Ich alter Esel
« Antwort #1 am: Februar 20, 2016, 22:15:44 »
Hi, larin!

Die Peanuts:

S1Z2 - "gezognen" braucht heutzutage kein "Stricherl" mehr, vor allem im lyrischen Bereich sind solche Verkürzungen normaler Sprachgebrauch.

S3Z4 - Dass die Erschöpfung "rüde" nagt, ist natürlich dem Reim geschuldet, normalerweise würde man das nicht so sagen, weil man mit Erschöpfung besser "verwandte" Attribute anwendet. "Rüde" klingt zu wach, zu aggressiv für Erschöpfung!

S4Z4 - "mit ihren .." - ich geh mal von einem Vertipperle aus, da "n" und "m" auf der Tastatur direkt nebeneinander liegen! ;)


Mit einem wohlgehäuften Löffelchen Selbstironie geschrieben - das Augenzwinkern knarzt den Leser aus praktisch jeder Silbe an! ;D

Sehr gern gelesen! :)

LG, eKy
Ironie: Ich halte euch einen Spiegel vor, damit wir herzlich lachen können.
Sarkasmus: Ich halte euch einen Spiegel vor, weil ich von euch enttäuscht bin.
Zynismus: Ich halte euch einen Spiegel vor, aber ich glaube nicht mehr an euch.

gummibaum

Re: Ich alter Esel
« Antwort #2 am: Februar 20, 2016, 22:51:26 »
Hallo, larin,

schöner Text, klar vor den Augen sich abzeichnendes Bild. Die letzte Strophe hat absichtlich einen Reim weniger?

Wünsche dem Esel alles Gute.

Sehr gern gelesen.

LG g



In meinen Märchengedichten habe ich die Bremer Stadtmusikanten früher mal so eröffnet:

Ein Esel trug sein Leben lang
getreu die Säcke. Müd im Gang
geworden, wollte man ihn jetzt
enthäuten, doch er floh entsetzt.

« Letzte Änderung: Februar 21, 2016, 11:19:28 von gummibaum »

a.c.larin

Re: Ich alter Esel
« Antwort #3 am: Februar 21, 2016, 10:10:20 »
hallo ihr beiden,

die paar verse sind ad hoc entstanden, nachdem ich gummibaums statement gelesen hatte von der "freitäglichen erschöpfung nach langer arbeitswoche."
oh wie kenn ich das nur zu gut!
samstagvormittags ist meine stimmung auch deutlich besser.

man sollte sich wirklich überlegen, wie man ältere arbeitnehmer so beschäftigt, dass es denen auch noch gut gehen kann.
aber ich glaube, das ist gar nicht erwünscht.
wenns ihnen nicht gut geht und sie rasch hin werden, schont das doch eher die pensionskassen.
blöd wär allerdings , wenn sie vor erreichen des antrittsalters krank werden und dann lange das gesundheitssystem + eventuell einen dienstposten belasten!

da wärts dann halt doch klüger gewesen, man hätte sie auf den späten wegstrecken nicht so verheizt.
gemäß der fabel von dem esel und dem pferd, wo dann das pferd die doppelten lasten zu tragen hatte, weil dem esel keinerlei erleichterung zuteil wurde.

ja  erich, das war ein vertipperle - mir ist das gestern abend selber noch aufgefallen. ach ich blindschleiche!
danke aber für den hinweis. " rüde" soll natürlich den reim bilden - allerdings finde ich, dass erschöpfung schon etwas ist, dass grob an einem zehren kann! insoferne stimmt "rüde" für mich auch semantisch. das mag aber jeder anders erleben.

lieber gummibaum,
der reim weniger ist mir gar nicht aufgefallen. ich war wohl zu sehr auf die immer langsamer tickende uhr fokussiert.
vielleicht fällt mir da noch was besseres ein.

ja , der bremer esel rennt einfach auf und davon.
das dachte ich mir als junges eselchen auch mal, als ich eine ältere kollegin nach dienstschluss sich heimschleppen sah:
wenns bei mir so weit ist, renn ich einfach weg!
die crux an der sache aber ist: ein alter esel rennt nicht mehr! auch nicht weg. er ist zum rennen einfach zu müde.

wir merken uns:
wer nicht alles junger rennt, der tut es als alter auch nicht!
wie sagte hermann van veen: zu stark ist die macht der gewohnheit....

soltel man dem esel die ohren lang ziehen?
würde nichts nützen.
die säcke müssen weg1

liebe grüße,
larin

cyparis

Re: Ich alter Esel
« Antwort #4 am: April 03, 2016, 18:08:33 »
Liebe larin,

wie kann ich das nachempfinden!
Für mich ist das Gedicht gar nicht lustig. Es ist eine Klage der zu Tode erschöpften Kreatur - hier der geschundene Esel, dem Du Deine Worte in den Mund legst.
Auch ich bin übers "rüde" gestolpert.
Und in der letzten Strophe solltest du noch das in gegen ein mit austauschen. Vorletzte Zeile ohne Punkt.
Ein Reim wird sich noch finden.

Betroffene Grüße
von
Cyparis
Der Schönheit treu ergeben
(Lady Anne von Camster & Glencairn)
copyright auf alle Texte

Agneta

  • Gast
Re: Ich alter Esel
« Antwort #5 am: April 07, 2016, 10:53:09 »
ein wunderbar melancholisches Stück, lieber a.clarin.
Vom Trott des Aufbegehrens müde, ausgelaugt. Das ist neu. Die meisten empfinden den Trott des nicht Aufbegehrens als erschöpfend.
Darin steckt die Prämisse, dass Aufbegehren immer irgendwann auch zum Erfolg führen muss. Tut sie esnicht, hat man vielleicht nicht kraftvoll aufbegehrt...
Gerne gelesen mit lG von Agneta