Autor Thema: Sternenstaub  (Gelesen 1899 mal)

Curd Belesos

Sternenstaub
« am: April 20, 2020, 09:52:38 »

Nachdenklich schreibe ich oft viele Zeilen,
wenn mir der Abend still den Tag beendet
und die Gedanken noch ein Stück verweilen,
bevor mir Hypnos seinen Tiefschlaf sendet.

So will ich nun mit festem Herzen sagen:
egal womit die Nornen mich bedenken,
ich werde ungebeugt mein Schicksal tragen,
denn ich bin frei und lasse mich nicht lenken.

Es wurde durch Ovid schon festgeschrieben,
nichts auf der Welt wird ewiglich bestehen,
auch wenn die Menschen gerne davon träumen.

Die alten Götter hat man längst vertrieben
und was man heute glaubt, wird auch vergehen,
denn wir sind Staub in den stellaren Räumen.

© Curd Belesos
Nur wenn du frei bist " IF " ....dann bist du ein Mensch

Sufnus

Re: Sternenstaub
« Antwort #1 am: April 20, 2020, 11:07:52 »
Hi Curd!

Wie schön, Dich zu lesen! :) Ich hab Dich hier schon vermisst! :)

Bei Deinem aktuellen Gedicht, einem schönen Sonett, fällt auf, dass sich die erste Zeile einem gebundenen Reden in definiertem Metrum verweigert. Der Rest ist ziemlich regelhaft als fünfhebiger Jambus angelegt, aber in Z1 wird durch das sperrige Wort "Nachdenklich" (metrisch am ehesten als etwas verwaschener Daktylus zu lesen) die metrische Festgefügtheit unterlaufen. Mir gefällt so etwas ja durchaus...

Ich gehe jetzt mal einfach davon aus, dass eKy eine metrisch geglättete Version entwirft (wenn nicht gerade, während ich dies schreibe, schon geschehen... :) )
Aber mich würde es ja in den Fingern jucken, eine Version zu erstellen, bei der dieses Unterlaufen eines festen Metrums noch auf weitere Zeilen ausgedehnt wird, so dass sich deutliche Anklänge an "normales Alltagsreden" ergeben.

Ansonsten mag ich sehr den stolzen Ton Deiner Zeilen, vor allem in Strophe 2. In Verbindung mit der in Strophe 3 und 4 gefundenen Einsicht in die Begrenztheit allen Seins findet sich das LI in eine Geisteshaltung, die eines antiken Stoikers (oder meinethalben auch Epikureers) würdig wäre. Und meine Assoziation mit den alten Philosophen kommt natürlich nicht von ungefähr, sondern wird durch Deine Wortwahl, genauer: die einzelnen antiken Einsprengsel (Hypnos, Ovid, die alten Götter) von Dir anmoderiert. :)

Die germanischen Nornen, finde ich, passen da nicht so recht hin und "stellar" sticht für mich auch etwas unebenmäßig raus, weil es für mich eher etwas fachterminologisch nach Astronomen-Sprech klingt und damit einen etwas technischen Ton einbringt.

Unten jedenfalls, wie angedroht, mal ein Versuch (nur als Etüde!) einer insgesamt "ungebundenen" Sprache weitgehend ohne definierte Metrik, kein Verbesserungsvorschlag, sondern nur als eine Studie, was sich aus dem Zusammenprall von regelmäßigem Reim und unregelmäßiger "Metrik" ergibt. :)

Sehr gern und angeregt gelesen!

S.


---

Nachdenklich schreibe ich oft viele Zeilen,
wenn mir, wie jetzt, der Tag in Stille endet
und meine Gedanken noch im Moment verweilen,
bevor Radio Dopamin mir Deltawellen sendet.

In dieser Stimmung höre ich mich sagen:
ganz egal womit mich Kaffeesatzleser bedenken,
ich werd mein Schicksal immer ungebeugt tragen,
denn ich bin frei und lasse mich nicht lenken.

Lies deinen Ovid! Der Wandel ist festgeschrieben.
Auf der Welt wird nichts dauerhaft bestehen,
auch wenn Menschen noch so gerne davon träumen.

Ich weiß, die alten Götter hat man vertrieben,
aber was man heute glaubt, wird genauso vergehen,
denn wir sind Staub: eine Erinnerung aus fernen Räumen.




Eisenvorhang

  • Gast
Re: Sternenstaub
« Antwort #2 am: April 20, 2020, 11:08:08 »
Hi Curd,

ein wunderschönes Sonett, nur eine Zeile würde ich umformulieren, Begründung: Klanganpassung!

"nichts auf der Welt wird ewig fortbestehen,"

Das "ewiglich" reißt für mich die Wärme etwas aus den sanften Zeilen!

Sehr gern gelesen!

vlg

EV

Erich Kykal

Re: Sternenstaub
« Antwort #3 am: April 20, 2020, 11:08:24 »

Nachdenklich schreibe ich oft viele Zeilen,
wenn mir der Abend still den Tag beendet
und die Gedanken noch ein Stück verweilen,
bevor mir Hypnos seinen Tiefschlaf sendet.

So will ich nun mit festem Herzen sagen:
egal womit die Nornen mich bedenken,
ich werde ungebeugt mein Schicksal tragen,
denn ich bin frei und lasse mich nicht lenken.

Es wurde durch Ovid schon festgeschrieben,
nichts auf der Welt wird ewiglich bestehen,
auch wenn die Menschen gerne davon träumen.

Die alten Götter hat man längst vertrieben
und was man heute glaubt, wird auch vergehen,
denn wir sind Staub in den stellaren Räumen.

© Curd Belesos


Hi Curd!

Gut gegeben! Dem kann ich nur beipflichten!  :) ;)

Ein paar kleine Vorschläge zur sauberen/korrekten Silbenbetonung und Glättung der Sprachmelodie:

Gedanklich schreibe ich oft viele Zeilen,
wenn mir der Abend still den Tag beendet
und die Gedanken noch ein Stück verweilen,
bevor mir Hypnos seinen Tiefschlaf sendet.

So will ich nun mit festem Herzen sagen:
Egal womit die Nornen mich bedenken,
ich werde ungebeugt mein Schicksal tragen,
denn ich bin frei und lasse mich nicht lenken.

Es wurde durch Ovid schon festgeschrieben:
Auf Erden kann nichts
ewiglich bestehen,
auch wenn die Menschen gerne davon träumen.

Die alten Götter hat man längst vertrieben,
und was man heute glaubt, wird auch vergehen,
denn wir sind Staub nur in stellaren Räumen.


Sehr gern gelesen!  :) (Hab auch selbst mal wieder was geschrieben (siehe "Schiffsschlachterei) nach langer Zeit. Wird aber selten bleiben ...

LG, eKy
Ironie: Ich halte euch einen Spiegel vor, damit wir herzlich lachen können.
Sarkasmus: Ich halte euch einen Spiegel vor, weil ich von euch enttäuscht bin.
Zynismus: Ich halte euch einen Spiegel vor, aber ich glaube nicht mehr an euch.

Martin Römer

  • Gast
Re: Sternenstaub
« Antwort #4 am: April 26, 2020, 21:41:22 »
Werte Gefährten -

ein Lied, das unprätentios und ohne Gefühlsduselei daherkommt, ganz redlich betörend.


Die germanischen Nornen, finde ich, passen da nicht so recht hin und "stellar" sticht für mich auch etwas unebenmäßig raus, weil es für mich eher etwas fachterminologisch nach Astronomen-Sprech klingt und damit einen etwas technischen Ton einbringt.

Davon werde ich auch nach der Pause durch die Plattformschwierigkeit immer noch angepiekt.
Nur in bestirnten Räumen - eine einfach zu lösende Sache.
Aber wenn wir Freunde den Verstand selbst auf diesem entlegenen Gefilde zu sehr wuchern lassen, macht es mir Schwermut.

Selbstverständlich: in großen Stunden der Sehnsucht sollte die erhabene Diktion vorgezogen werden.
Aber immerdar...? Wo bliebe der unbekümmerte Fuß des Sängers, der sich jenseits der Genossenschaften bewegt?
Die Obliegenheit der Kunstschaffenden sollte sein, eine eingefahrene Tugend offen zu legen -
was unter Anderem dadurch erreicht werden kann, sich im Großen keiner Sache zu verschließen.

Insofern sollte man da nicht so puristisch sein und den Atem zuschnüren.
Hat man das Heißdürstige und Seichtfröhliche hinter sich gelassen, kommt doch noch ein Kritikus mit seiner Scharfäugigkeit.
Indem ein Begriff zweckentfremdet wird, kann es die Intention sein, die entsprechende Branche nonchalant zu desavouieren.
Man kann leider im Laufe der Zeit des einfachen Blickes verlustig gehen.


Mit dem Stoischen im Schicksal ist es ja so eine Sache.
Leider gibt es unabänderliche Schaurigkeiten oder das Zerbrechen mit sanften Schritten....
Dazu passt, dass ich keinen heutigen Glauben erkennen kann, wie er weiter unten angesprochen wird.
Lang dahin, dass einer vom Zeitalter des Geldtriebes spräche.
Einer sprach einmal vom Zeitalter des Entkreativionismus.  ;D
Mit dem Wort von Infantilität kommt man der Oberfläche wohl am nächsten, was im Gegensatz zum Gossenwesen eine Gefährnis nach sich zu ziehen vermag.
Auch im sittenlosesten Dasein gibt es noch moralische Spielregeln, was nicht mehr der Fall ist, wo der Abschaum an die Stelle der Götter tritt.



Der Tag neigt selig-goldvoll sich dem Ende zu.
Ich leg zur Rettung alles Holde nun zur Ruh!


Seemannsgrüße
M.

gummibaum

Re: Sternenstaub
« Antwort #5 am: April 26, 2020, 22:29:13 »
Lieber Curd,

eine entspannte Haltung angesichts der eigenen Vergänglichkeit und ein sehr schönes Gedicht. Zum ersten Vers noch ein Vorschlag:

Gedankenvoll verfasse ich oft Zeilen

Mit Freude gelesen.
Grüße von gummibaum

Sufnus

Re: Sternenstaub
« Antwort #6 am: April 26, 2020, 22:52:37 »
Mein allerbester Martin!
Vielen Dank für Deine kritisch-bedenklichen Anmerkungen, die ich mir gerne sehr zu Herzen nehme werde! Wenn wir Dich nicht hätten!!!
Und bittebitte Curd, vergiss alles, was ich Wurm dahingeschwafelt habe, aber übernimmt Martins genialen Vorschlag für die letzte Zeile:
"Denn wir sind Staub nur in bestirnten Räumen."
Bedenke, Leser, "bestirnt", das verweist nicht nur in den mehr oder weniger leeren Sternhimmel über uns, sondern auch ganz Nasen-nah auf einen unserer erhabensten Körperteile: Auf die Stirn!
Martin, ich verneige mich, großes Kino, große Freude!!!
S.
« Letzte Änderung: April 26, 2020, 23:17:55 von Sufnus »