Autor Thema: Aus Überzeugung  (Gelesen 983 mal)

Erich Kykal

Aus Überzeugung
« am: August 31, 2020, 13:09:57 »
Wenn wir uns endlich nur zufrieden ließen,
und jeden werden nach dem eignen Glück,
wir stießen nicht in Finsternis zurück,
was wir in lichtem Zueinanderfließen

uns mühsam auferbauten aus Ruinen!
Doch viele folgen immer noch Ideen,
die sie als einzig wahr und gültig sehen,
und richten andere mit harten Mienen.

Sie werden wieder grimmig um sich schlagen,
wenn jemand zu den Fahnen sie befahl,
und ihre Augen sind aus kaltem Stahl,
wenn sie das Störende zu Tode jagen!

Wenn wir uns endlich nur zufrieden ließen
und freundlich teilen könnten, was wir haben,
wie wir uns einst als Mädchen oder Knaben
so selbstverständlich noch willkommen hießen -

wir könnten längst zufrieden überschauen,
was wir an Welt gemeinsam uns erbauen.
Ironie: Ich halte euch einen Spiegel vor, damit wir herzlich lachen können.
Sarkasmus: Ich halte euch einen Spiegel vor, weil ich von euch enttäuscht bin.
Zynismus: Ich halte euch einen Spiegel vor, aber ich glaube nicht mehr an euch.

AlteLyrikerin

Re: Aus Überzeugung
« Antwort #1 am: August 31, 2020, 16:24:53 »
Hi Erich,
wie wahr und ach, wie wenig wirksam in der täglichen Geschichte vom Ja- oder Neinsagen. Manchmal frage ich mich, warum wir eigentlich schreiben. Der Einfluss der Lyrik geht gegen Null, aber für uns ist das Geschriebene vielleicht so wichtig wie das laute Singen eines verängstigten Kindes im Keller.
Mein Favorit in dem insgesamt schönen Werk ist die dritte Strophe.
Herzliche Grüße, AlteLyrikerin.

Erich Kykal

Re: Aus Überzeugung
« Antwort #2 am: August 31, 2020, 18:54:48 »
Hi AL!

Vielen Dank für den positiven Nachhall!  :)

Ich für mein Teil weiß, warum ich schreibe: Die Liebe zur schönen Sprache spielt eine Rolle - es macht mir Freude, Inhalte lyrisch auszudrücken, gehoben zu formulieren, ohne dass sie gespreizt oder pompös daherkommen. Auch die Freude am Publikum, das positive Echo hat einen Part - man hat so das Gefühl, noch in der Welt zu sein, auch wenn einem klar ist, dass es am großen Spiel nichts ändern wird. Aber letztlich ist es auch und vor allem Seelenhygiene für mich selbst - ich schreibe mir all den Frust, die Sorgen und drückenden Gedanken sozusagen aus dem Sinn. Indem ich sie zu Papier bringe, entschlage ich mich ein stückweit ihres Drucks, bewältige für mich das, was mich gerade beschäftigt.

Dieses Werk nun beruht auf den Bildern der "demonstrierenden" Neonazis, die dieser Tage versuchten, mit wehenden Fahnen den Reichtstag zu stürmen. Am liebsten würde ich das ganze rassistische, herztote, geltungssüchtige, bildungsferne "völkische" Soziopathengesindel zusammentreiben und ... - na du weißt schon. Aber dann wär ich ja genauso wie die ...

Was also bleibt, als gegen die kurzgeistigen, verallgemeinernden, menschenverachtenden und grausamen Tat- und Gewaltmenschen dieser Erde anzuschreiben?

LG, eKy
« Letzte Änderung: August 31, 2020, 19:09:07 von Erich Kykal »
Ironie: Ich halte euch einen Spiegel vor, damit wir herzlich lachen können.
Sarkasmus: Ich halte euch einen Spiegel vor, weil ich von euch enttäuscht bin.
Zynismus: Ich halte euch einen Spiegel vor, aber ich glaube nicht mehr an euch.

gummibaum

Re: Aus Überzeugung
« Antwort #3 am: September 08, 2020, 14:12:56 »
Ja, es wäre so leicht, lieber Erich,

den eigenen Standpunkt nicht überzubewerten und sich besser über die Vielfalt derer zu freuen. Aber ein altes Erbe ruht nicht, und häufig schafft soziale Zurückweisung in Menschen einen Groll auf alles andere.

Ein Gedicht, dass das Absurde, von Artgenossen Geschaffenes durch engstirnigen Fanatismus zu zerschlagen, gut herausstellt.

Sehr gern gelesen.

Liebe Grüße von gummibaum
« Letzte Änderung: September 08, 2020, 14:30:08 von gummibaum »

Erich Kykal

Re: Aus Überzeugung
« Antwort #4 am: September 08, 2020, 14:30:41 »
Hi Gum!

Danke für die Anteilnahme!

Es gibt so viele Gründe: Gemeinschaftswahn, der sich über Ideen der Ausschließlichkeit definiert (da vor allem religiöser oder politischer Fanatismus), Größenwahn, Gier, Neid, Eitelkeit, Gruppendynamik, Angstvorstellungen.

Unser soziales Gewissen wird in den Umkehrschluss gedrängt, dass alles außerhalb der gepflegten/geschätzten Gemeinschaft feindlich, bösartig, negativ sein muss, oder zum Schluss, das es sogar nur diese eine eigene Wahrheit/Kultur für alle geben dürfte/müsse.

Man muss die Denkungsweise anderer nicht mögen (und zurecht! Vieles ist immer noch hirnlos und unnötig grausam, was Menschen im Namen einer Tradition angetan wird!), aber man darf nie vergessen, dass auch dies Menschen sind und immer sein werden.

So etwas wie ein Genozid kann nur passieren, wenn die Opfer in der Vorstellung der Täter entmenschlicht wurden, zu weniger als Vieh. Und das nur, weil sie anders denken, etwas anderes glauben, oder (erkenntnis)technisch noch nicht so fortschrittlich sind. Oder einfach nur, weil sie nicht die Macht haben, sich zu wehren ...

LG, eKy
Ironie: Ich halte euch einen Spiegel vor, damit wir herzlich lachen können.
Sarkasmus: Ich halte euch einen Spiegel vor, weil ich von euch enttäuscht bin.
Zynismus: Ich halte euch einen Spiegel vor, aber ich glaube nicht mehr an euch.

a.c.larin

Re: Aus Überzeugung
« Antwort #5 am: September 14, 2020, 18:08:09 »
hi erich,

dieses gedicht sprcht mir aus der seele! wie immer einwandfrei gebaut.
erstaunlicherweile endet es mit einer halbstrophe. steckt da eine besondere absicht dahinter?

einander in frieden lassen zu können ist wohl ein echtes kunststück, das den menschen nicht zu gelingen scheint , oder wenn, dann nur räumlich und zeitlich eng begrenzt. in kleinen strukturen vielleicht noch eher  wie in großen.
da ist immer ein machtstreben  ursache für allerhand übel. wir menschen sind ein unruhiges, unstetes gesocks!

nein. mit lyrik  kann man am großen weltenrad

 nix drehen - nur für die eigene hirnschale kann es eine erleichterung bedeuten - und möglicherweise eine bereicherung für jene menschen, (publikum, leser), die daran anteil nehmen.

und wenn die lyrikwiese auch noch so klein wäre: immerhin ist es eine wiese - und kein bunker oder panzer!
ich höre nicht auf zu glauben, dass
auch kleine dinge  einen großen unterschied bewirken können!

in diesem sinne: ad libidum!

lg, larin

Erich Kykal

Re: Aus Überzeugung
« Antwort #6 am: September 15, 2020, 14:46:50 »
Hi larin!

Die Form ist ein verlängertes Shakespeare-Sonett. Dieses hat zuletzt nicht 2 Terzette, sondern ein weiteres Quartett und einen Zweizeiler mit Paarreim. (Was entgegengesetzt zur klassischen Sonettregel steht, die besagt, dass sich die beiden letzten Zeilen nie reimen sollen.)

Vielen Dank für dein sympathisches Beipflichten und das lyrische Lob!  :)

LG, eKy
Ironie: Ich halte euch einen Spiegel vor, damit wir herzlich lachen können.
Sarkasmus: Ich halte euch einen Spiegel vor, weil ich von euch enttäuscht bin.
Zynismus: Ich halte euch einen Spiegel vor, aber ich glaube nicht mehr an euch.

Sufnus

Re: Aus Überzeugung
« Antwort #7 am: September 21, 2020, 16:29:52 »
Der Sufnöse gesellt sich allergernst dem Reigen der Lobpreisenden hinzu! :) Sehr schöne Zeilen, in Form, Inhalt, "Bebilderung und Sprachhabung (diesen Ausdruck von Dir habe ich sehr gerne meinem Vokabular einverleibt :) ). Nur frag ich mich, ob sich in S1Z2 ein Typo eingeschlichen hat - ist vielleicht werten anstelle von werden gemeint? So wie es dasteht, verstehe ich den Satz grad nicht... vielleicht auch schlafmangelgeschuldete Plemplemheit meinerseits...  O0
Und der Knaller ist meines Erachtens die Halbstrophe als Ausklang, auf die ACL schon hingewiesen hat... das Gedicht hört sozusagen "unfertig" auf... die Vision der besseren Welt ist ein "work in progress"... das mag ich ganz besonders! :)
LG!
S.

Erich Kykal

Re: Aus Überzeugung
« Antwort #8 am: September 21, 2020, 17:59:48 »
Hi Suf!

In S1Z2 habe ich bloß das "ließen" aus Z1 nicht nochmals wiederholt, das auch hier als HZW gilt:

Wenn wir uns endlich nur zufrieden ließen,
und jeden werden (ließen) nach dem eignen Glück,

Ist, soweit ich weiß, zulässig. Man muss halt den ganzen Satz im Kopf behalten, dann geht das schon.  ;)

Vielen Dank für die Lobesworte!  :)

LG, eKy
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Sarkasmus: Ich halte euch einen Spiegel vor, weil ich von euch enttäuscht bin.
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