Autor Thema: Zwei Seelen  (Gelesen 1284 mal)

Jana

Zwei Seelen
« am: Oktober 07, 2020, 21:15:29 »
Zwei Seelen schlagen, ach! In meiner Brust,
verweigern dabei ständig, sich zu scheiden.
Die eine ist dazu verdammt, zu leiden,
die andere steuert ganz des Daseins Lust.

Zerrissen ist das Wesen schon dahinter,
denn Einklang dieser Schläge scheint so fern.
Die Diskrepanz erschüttert mich im Kern
und tötet die Entscheidung. Tiefster Winter

beherrscht dabei das Innerste und friert
die Schläge beider Seelen sachte ein,
sodass nicht nur die Leidende verliert,

darüber noch verliert und endet Sein.
Die Seelen bleiben immerfort sediert,
zurück bleibt nur das Wesen ganz allein.

Erich Kykal

Re: Zwei Seelen
« Antwort #1 am: Oktober 07, 2020, 21:59:20 »
Hi jana!

Formidables Sonett! Ist das Kadenzenschema bewusst unregelmäßig gehalten? Das könnte man als einzigen Punkt formal bekritteln (was ich aber nicht tue):

mwwm - wmmw - mmm - mmm


Der Einstieg geht vom berühmten Goethe-Zitat aus dem Faust I aus, wenn auch etwas eigen interpunktiert. Ich würde es so schreiben: "Zwei Seelen wohnen, ach, in meiner Brust,". Aber auch bei Verwendung des Ausrufezeichens im Satz würde ich das "in" dahinter klein schreiben, denn derselbe Satz geht ja weiter.

Alles Weitere ist eine interessante philosophische Betrachtung der Parallelen dieses Ausspruchs für das eigene Wesen (des LyrIch), und wie es zwischen den Polen quasi mit den Jahren langsam zerrieben wird. Mein Fazit beim darüber Nachgrübeln: Die Extreme der jeweiligen Enden der Skala menschlicher Bedürfnisse werden nur dann verschlingend, wenn es der Mitte an Kraft mangelt, sich zu zentrieren.

Dass dein Sonett mich zum Grübeln anregen konnte, beweist seine lyrische Qualität. Vielen Dank dafür!  :)

Sehr gern gelesen!  :)

LG, eKy
Ironie: Ich halte euch einen Spiegel vor, damit wir herzlich lachen können.
Sarkasmus: Ich halte euch einen Spiegel vor, weil ich von euch enttäuscht bin.
Zynismus: Ich halte euch einen Spiegel vor, aber ich glaube nicht mehr an euch.

Agneta

  • Gast
Re: Zwei Seelen
« Antwort #2 am: Oktober 07, 2020, 22:27:35 »
gekonnt und stilvoll. Wie viele kennen das mit den zwei Seelen. LG von Agneta

Eisenvorhang

  • Gast
Re: Zwei Seelen
« Antwort #3 am: Oktober 07, 2020, 22:41:02 »
Hallo Jana,

@Erich Eine unerwartete Kritik von Dir. Was du dem Werk an Qualität zusprichst, spreche ich ihn ab, jedenfalls nur in kleinen Teilen. 

Gerade bei einem Sonett ist es wichtig, sich für eine feste Sprache zu entscheiden und Sonette wollen ein schönes Sprachbild besitzen und so brauchen es auch, damit das Sonett atmen kann. Sonst klingen Sonette nur zerhackt. 
 
Wörter wie "Diskrepanz", "sediert" oder auch Füllwörter oder umgangssprachliche Wörter haben, wenn es um die klangliche Bewertung der Anwendung von Sprache geht, nicht viel im Werk zu suchen.
Außer, ich komme nicht umhin dies zu erwähnen, sie helfen dem Werk seine Funktion zu erfüllen, was in dem Werk von Dir, meiner subjektiven Sicht nach, nur hinreichend gegeben ist.
Alles drängt so in sich selbst hinein und will schön und lyrisch sein, aber, es schafft es (noch) nicht.

Was dem aber mitnichten etwas abtut, denn die Ansätze sind ja vorhanden.

Habe mal kurz darüber geschaut, wie immer sind es keine Vorschläge, eher Änderungen die zeigen sollen, wie es auch geordneter klänge.

Zwei Seelen schlagen, ach! In meiner Brust,
verweigern dabei innig, sich zu scheiden.
Die eine ist erkoren, sie muss leiden,
die andere geführt von Daseins Lust.

Zerrissen ist das Wesen im Dahinter,
denn Einklang dieser Schläge scheint so fern.
Das Wechselspiel erschüttert mich im Kern
und mordet die Entscheidung. Tiefster Winter

beherrscht das Innerste. Er ist! Und friert
die Schläge beider Seelen mählich ein,
sodass nicht nur der Leidende verliert, (von "die" zu "der" ist Bewertungsneutraler, denn Leidende respektive der Leidende gibt es viele und lässt auch auf keinerlei Geschlecht schließen)

darüber noch verliert, verendet Sein.
Die Seelen bleiben immerfort sediert, ("sediert" ist kein schönes Wort, auch wenn es zum Reim passt, "Die Sellen sind seither nicht unberührt")
zurück bleibt nur das Wesen ganz allein.

Alles in allem aber ein schönes Gedicht!

Dir viel Freude hier auf der Wiesn!

vlg

EV
« Letzte Änderung: Oktober 07, 2020, 22:42:40 von Eisenvorhang »

gummibaum

Re: Zwei Seelen
« Antwort #4 am: Oktober 08, 2020, 00:48:59 »
Sehr schön, liebe Jana.

Ein Gedicht, das, angelehnt an Fausts Worte, deren Sinn variiert.

 
Statt Trennungsabsicht ein Festklammern, statt Dürsten nach körperlicher Lust und geistiger Freiheit, eine leid-  und eine lust-orientierte Seele im Clinch…ein Frösteln erregender Akkord.

Dies Eisige lähmt, führt zur Erstarrung… 

Die Begriffe „Sein“ und „Wesen“ wirken auf mich etwas leer wie ontologische Staffage.
 
An der Sprache störe ich mich nicht. Das Sonett kann hier durchaus neue Wege beschreiten.

Sehr gern gelesen.

Grüße von gummibaum

Sufnus

Re: Zwei Seelen
« Antwort #5 am: Oktober 08, 2020, 09:38:03 »
Hallo liebe Jana!
Hoffentlich lesen wir in den nächsten Tagen mehr von Dir! Dein schönes Sonett macht Vorfreude auf Weiteres aus Deiner Feder respektive Tastatur! :)
Soweit bin ich also bei eKy, Agneta und gum (ganz besonders bei gum!) und erweitere das rühmpreisende Trio zum Quartett! :) Den Einwand unseres EV kann ich tatsächlich nicht nachvollziehen, gerade die von ihm besonders kritisierten Wörter "Diskrepanz" und "sediert" finde ich als Würzzutat in Deinem Sonett fast unverzichtbar.
EV hat bei seinem Vorschlag systematisch Deine umgangssprachlicheren oder "unpoetischen" Wörter durch gehobene oder "poetische" Wörter ersetzt und das Experiment finde ich zwar hochinteressant, aber seine Version mundet mir persönlich nicht so recht (wie immer: Geschmacksache :) )... Vor allem seine Strophe 2 klingt, als hätte man eKy erst einen Haufen Drogen in den Kaffee geschüttet und ihn dann gezwungen, ein Sonett zu verfassen... ;) das Ergebnis wäre  zwar immer noch im Prinzip bewundernswert, aber irgendwie leicht verschroben... 
Sehr bedenkenswert finde ich gums Hinweis auf die furchtbar abstrakten Wörter Sein und Wesen... da müsste es doch Handfesteres geben! Lass Dich vor allem beim "Sein" auch nicht zum Gefangenen des Reims machen:
"und friert / die Schläge beider Seelen sacht zu Eis" oder "und friert / die Schläge beider Seelen zur Skulptur" oder "und friert / die Schläge beider Seelen zum Sorbet" (das letzte ändert natürlich dann wirklich fundamental die Tonlage... da müsste man dann insgesamt etwas angleichen, um ein harmonisches Ganzes zu erzeugen). :)
Und ein letzter Einwand noch von mir: Warum ist das Goethe-Zitat verfälscht? Da schau ich schon etwas gegen an... ich finde, wenn Du Goethes Lieblingswort "Ach" schon zitierst und damit klar den Faust-Bezug herstellst, dann solltest Du die Seelen auch wohnen und nicht schlagen lassen. :)
Davon ab habe ich das Sonett (s. o.) mit großer Erfreunis gelesen! :)
Aber eine Sache frag ich mich schon noch: Warum schreibst Du als junger Mensch so sehr traditionelle (man könnte maliziös auch sagen: altmodische) Verse? Hast Du generell eher eine Vorliebe für prä-moderne Zeiten (jetzt nicht im Hinblick auf den in der Vorzeit herrschenden Mangel an Antibiotika, Kühltechnik und Kommunikationsmedien - sondern in Bezug auf "das Lebensgefühl")? Oder ist dieses streng komponierte Sonett ein "Ausreißer"? :)
LG!
S.

Eisenvorhang

  • Gast
Re: Zwei Seelen
« Antwort #6 am: Oktober 08, 2020, 10:40:14 »
Weil es, lieber Sufnus, im Zuge des Klanges, der aus einem Werk resultieren will, die Musik hinter den Zeilen dämpft.

Auf mich - und ich betone auf mich -, da ich keineswegs dogmatisieren will, wirkt das Werk unfertig und ungeordnet.
Soll das nicht Lyrik gleichermaßen bewirken, ein gewisses Sprachkleid und Melodie, gekleidet in einfachen Worten, die nicht unnötig die Silben füllen, aber der Lyrik dienen wollen, um das zu nutzen, was eine stringende Form atmen will?
Ernst Goll fällt mir da ein, Heine, Meerbaum-Eisinger, Goethe usw...

"Diskrepanz" ist ein Fremdwort und wirkt gegen einen gut verdaulichen Kontext und klingt sehr hart und spitz und passt, meiner Wahrnehmung nach, nicht in die Weichheit der Brüste eines Goethes, viel mehr in das paragraphierte Herz eines Juristen. Und es verwundert mich, dass diejenigen, die einst mir genau dies durch Kritik lehrten, die Wahrnehmung für diese Sache nun verloren zu haben scheinen.

"Sediert" ist ebenfalls fachsprachlich und ist eher technisch angesiedelt. Natürlich kann man die Art von Wortschatz lyrisch verflechten, aber nicht in einem so zarten Werk, das mit
"Zwei Seelen schlagen, ach! In meiner Brust," beginnt.
Denn was passiert denn mit den Seelen im weiteren Verlauf? Sie diskrepieren, ihre Schläge werden eingefroren, sie werden sediert ... Nein Sufnus.
So oft ich dir zustimme und von Dir lerne, hier bleibe ich dabei.

Ich sage ja nicht, dass das Gedicht schlecht sei.

Und nur weil ich Füllwörter streiche und andere durch einfache Worte austausche, heißt das nicht, dass das Beispiel von einem drogeninduzierten Gehirn stammt.
Aber seis drum, meine lyrisches Dasein ist ohnehin vorbei, das zeigen ja auch die unterschiedlichen Auffassungen, die bereits länger konflikbeladen daherschleichen.

In dem Sinne, euch allen einen schönen Tag!

vlg EV

« Letzte Änderung: Oktober 08, 2020, 10:53:28 von Eisenvorhang »

Sufnus

Re: Zwei Seelen
« Antwort #7 am: Oktober 08, 2020, 11:53:22 »
Hi EV!
So ist das eben alles Geschmacksache - das ist doch das Schöne bei Lyrik. :)
Ich hoffe, Du bleibst uns trotz musikalischer "Ablenkung" ;) wenigstens dann und wann auch als Dichter erhalten. :)
LG!
S.

Sufnus

Re: Zwei Seelen
« Antwort #8 am: Oktober 08, 2020, 14:47:12 »
Hm... hat uns der Eiserne schon wieder mal verlassen?
Ich muss, sagen, dass ich die ständige An- und Abmelderei ein wenig befremdlich finde... es schadet zwar im Prinzip niemandem, raubt mir aber doch ein bisschen die Lust am Austausch. *am Kopf kratz*
Man (na gut... erstmal rede ich nur von mir) will doch eigentlich eine gewisse Mindestverlässlichkeit, dass der Diskussionspartner, in den man Lebenszeit investiert, sich auch auf die Wechselrede (zu der gehören auch unterschiedliche Meinungen) einlässt und nicht ständig ins unerreichbare Off verschwindet, um dann wie ein Luftgeist an anderer Stelle (und ggf. in anderer Gewandung ;) ) wieder aufzutauchen.... ich bin verwirrt...
LG!
S.

Jana

Re: Zwei Seelen
« Antwort #9 am: Oktober 08, 2020, 15:06:24 »
Hey zusammen,
zunächst ein mal vielen Dank für eure unglaubliche Resonanz.

Lieber eKy,

es freut mich unglaublich, dass dir mein Sonett zusagt. Die alternierenden Kadenzen sind keine bewusste Entscheidung gewesen, aber ich achte bei meinen Sonetten in der Regel lediglich auf den fünfhebigen Jambus. Fürs nächste Mal schaue ich, ob ich formal noch was dran feilen kann, das ist ein guter Hinweis. Und ja, dass man nach dem Ausrufezeichen klein weiter schreibt, hätte ich sehen müssen, wird geändert. Danke!  :)


Liebe Agneta,

schön, dass dir mein Sonett gefällt.

Lieber Eisenvorhang,

ich kann deine Kritik in Teilen nachvollziehen. Insbesondere Füllwörter in Gedichten stören mich selbst bei übermäßigem Einsatz massiv, wobei ich tatsächlich finde, dass es sich bei mir in akzeptablem Grenzen hielt, sonst hätte ich das Sonett ja gar nicht hochgeladen. Nichtsdestotrotz gefallen mir deine Abwandlungen stellenweise besser als meine Originalversion, insbesondere in V5. Mit "die Leidende" in V11 beziehe ich mich auf die leidende Seele, weswegen ich klar beim Femininum bleibe.
Was die sonstige Wortwahl angeht, danke ich dir auch für deine Anmerkungen, teile sie aber nicht gänzlich. Ich provoziere den Kontrast zwischen kunstvoller und ästhetischer Gedichtform und harten, wenig musikalisch klingenden Fachwörtern in diesem Fall bewusst. Die gänzlich poetische Sprache wirkt für mich in manchen Fällen beinahe verwässert, so auch hier. Ich versehe total, dass das nicht jedem gefällt und das muss es ja auch gar nicht, daher ist deine Anmerkung natürlich auch berechtigt.  ;)
Freut mich, dass dir das Sonett trotzdem im Ansatz gefallen hat.

Lieber gummibaum,


wie schön, dich mal wieder zu lesen und dann auch noch mit einem Lob. Da freut man sich gleich doppelt.  ;D
Was den Begriff Sein angeht, stimme ich dir vollkommen zu. Ich denke mal drüber nach, vielleicht findet man etwas passenderes, danke!

Lieber Sufnus,


auch über dein sehr ausführliches Feedback freue ich mich sehr. Bezüglich des Wortes Sein ist es schon mal ein Denkanstoß, deine Reimvariationen zu lesen, danke dafür.
Das verfälschte Goethe-"Zitat" ist tatsächlich (bis auf die von eKy angemerkte Ungenauigkeit im Bereich der Interpunktion ;)) so gewollt. Ich habe zuerst auf den originalen Wortlaut zurückgegriffen, empfand das Verb wohnen im gesamten Sonett dann aber zu wenig präsent, da ich mich insbesondere auf das Schlagen der Seelen fokussiert habe. Vielleicht stört da das Originalzitat ja doch weniger, als es auf mich den Anschein gemacht hat.
Und um dann noch auf deine Frage zurückzukommen: Weiß ich gar nicht. Ich schreibe ernsthaft Gedichte, seitdem ich 13 bin, und muss zugeben, dass ich seit jeher auf das Handwerk geachtet habe, wenngleich ich es am Anfang auch überhaupt nicht beherrschte. Mich haben unglaublich früh, da war ich glaube ich 11, die eingangs in Goethes Faust I niedergeschriebenen Stanzen fasziniert und ich wollte das unbedingt lernen.
Für mich sind Sonette und Sonettzyklen, Elegien, Stanzen, ... keinesfalls altmodisch. Im Gegenteil, ich finde es wahnsinnig spannend, moderne Sprache und traditionelle Formen zu verbinden.  Dass das heutzutage vielleicht etwas problematischer daherkommt, wenn man eine große Leser*innenschaft erreichen möchte, hab ich ebenfalls früh gemerkt. Ich habe eine Zeit lang viele Poetryslams besucht und auch teilgenommen, aber für mich wirkte das zumeist wie gereimte StandUp-Comedy. Zweifelsohne eine Kunst, genauso ohne Zweifel jedoch nicht die meinige.  :)


Ich bedanke mich noch mal für eure ganzen Anmerkungen und sende euch allen liebe Grüße!  :)
Jana

P.S.: Ich wollte mit meiner zuweilen unpoetischen Sprache keinen aus dem Forum verschrecken. :-\ Tut mir leid!

Sufnus

Re: Zwei Seelen
« Antwort #10 am: Oktober 08, 2020, 15:19:03 »
Hey Jana!
Vielen lieben Dank für Deine ausführliche Antwort! :) Und verzeih meine Neugierde bzgl. Deiner Motivation, klassische Verskunst zu verfassen... diese stilistische Richtung ist ja durchaus die in diesem Forum überwiegende und Du brauchst Dich bestimmt nicht dafür zu rechtfertigen. Passt schon! :)
Ich glaube aber, gerade wenn man sich als junger Schreiber (in der Lyrik ist man das nach hierzulandiger Definition bis zum Alter von 35 Jahren) dem Feld der Poesie widmet, sollte man viel viel viel ausprobieren. Und dazu empfehle ich vor allem, viel Lyrik zu lesen. Schon auch die üblichen Verdächtigen aus dem 18. bis frühen 20. Jahrhundert, aber auch die ganz neuen und die ganz alten Stimmen haben viel zu sagen. In den 5000 Jahren Lyrikgeschichte haben schon so viele Genies innovative Ansätze "erfunden", dass man sich aus diesem reichen Fundus reichlich bedienen sollte. :)
LG!
S.