Autor Thema: Fernbeziehung  (Gelesen 921 mal)

gummibaum

Fernbeziehung
« am: Oktober 18, 2020, 22:59:49 »
Es dunkelt und dein Weg ist weit,
du sitzt am Steuer, fährst nach Hause.
Zwei Tage währte unsre Zeit,
nun ist vier Wochen wieder Pause.

Dort, wo du lebst mit deinem Mann
und deinen Kindern, ist ein Garten.
Ich schau mir Fotos von euch an.
Ihr scheint darauf auf nichts zu warten.

Doch jetzt, wo du ins Dunkel fährst,
rufst du noch an, um mir zu sagen,
dass du so gern geblieben wärst.
Nur leider könntest du`s nicht wagen…
« Letzte Änderung: Oktober 19, 2020, 21:40:14 von gummibaum »

Erich Kykal

Re: Fernbeziehung
« Antwort #1 am: Oktober 18, 2020, 23:49:14 »
Hi Gum!

Kompliziert. Was das LyrIch da macht, gilt in "Männerkreisen" immer noch als "einem anderen die Frau ausspannen" und wird nicht gern gesehen. Wenn dann noch Kinder mit dranhängen, die bei etwaiger Aufdeckung und folgender Beziehungskrise oder -beendigung mit leiden, wird es moralisch zumindest "schlüpfriger Boden" ...

Die Liebe will, was sie will, ich weiß schon.

Frage: In S2 und 3 ist die jeweils 4. Zeile nur dreihebig, in S1 aber nicht. Absicht? Jedenfalls ein metrisches Ungleichgewicht. Zur Korrektur, so gewünscht, kann man entweder das "wieder" in S1Z4 streichen oder die beiden anderen Schlusszeilen verlängern zB.: "Ihr scheint darauf auf nichts zu warten." und "Nur leider könntest du's nicht wagen ...".

Sehr gern gelesen!  :)

LG, eKy
« Letzte Änderung: Oktober 18, 2020, 23:52:30 von Erich Kykal »
Ironie: Ich halte euch einen Spiegel vor, damit wir herzlich lachen können.
Sarkasmus: Ich halte euch einen Spiegel vor, weil ich von euch enttäuscht bin.
Zynismus: Ich halte euch einen Spiegel vor, aber ich glaube nicht mehr an euch.

gummibaum

Re: Fernbeziehung
« Antwort #2 am: Oktober 19, 2020, 00:13:49 »
Danke, lieber Erich,

für die moralische Erörterung der Konstellation und die Vorschläge zur metrischen Vereinheitlichung. Ich habe die Verse verlängert.

Gute-Nacht-Grüße von gummibaum

« Letzte Änderung: Oktober 19, 2020, 21:41:10 von gummibaum »

a.c.larin

Re: Fernbeziehung
« Antwort #3 am: Oktober 21, 2020, 19:33:09 »
hallo gum!

ach ja, diese blöde liebe - wo die immer hinfällt.....
die von dir beschriebene beziehung ist nicht nur "fernbeziehung" sondern auch "liebe auf dem nebengleis:
nicht einfach für die beteiligten, und die gefahr der emotionalen bauchlandung ist wohl includiert, früher oder später.

3 ist eine schwierige zahl in der liebe, aber auch 2 ist nicht immer nur einfach - sonst würde "sie" ja kaum den nebenmann "beschäftigen".....

wie auch immer: c'est la vie!

lg, larin


gummibaum

Re: Fernbeziehung
« Antwort #4 am: Oktober 21, 2020, 23:01:21 »
Danke, liebe larin.

Das Leben hat viele Seiten.

Grüße von gummibaum

Agneta

  • Gast
Re: Fernbeziehung
« Antwort #5 am: Oktober 24, 2020, 18:43:51 »
die klassische Sekretärinnenbeziehung, nur umgekehrt, lieber Gum. Im Grunde weiß LI doch, dass es so ist. 2. Vers ganz stark: "Ihr scheint darauf auf nichts zu warten.".
Gerne habe  ich mal nachgefühlt, wie das so wäre, denn für mich waren Verheiratete immer tabu. Nicht wegen der Moral- es gehören ja immer 2 dazu- aber. es gibt Dinge, die teile ich nicht gerne ;D.
LG von Agneta

gummibaum

Re: Fernbeziehung
« Antwort #6 am: Oktober 25, 2020, 16:04:12 »
Danke, liebe Agneta,

für deine Beschäftigung mit dem Gedicht.

Grüße von gummibaum


Sufnus

Re: Fernbeziehung
« Antwort #7 am: Oktober 27, 2020, 11:28:27 »
Hi gum! :)
Auch ich habe die vertrackte Situation sehr berührt gedanklich nachvollzogen, die Deine Zeilen so lakonisch aber doch unmittelbar einfühlbar schildern. Übrigens finde ich, dass der Titel des Gedichts sehr geschickt von Dir gewählt wurde - ich wurde jedenfalls vom Titel zunächst auf eine falsche Fährte gelockt und die "Auflösung", was hier gespielt wird, war doch ein Aha-Erlebnis. Von daher frage ich mich gerade, ob Du die Spannungskurve sogar noch etwas länger halten könntest, wenn Du Strophe 2 und 3 vertauschst? Zumal dann das "Ihr scheint darauf auf nichts zu warten", das ich genau wie Agneta als sehr stark empfinde, als Abschluss dastünde... :)
LG!
S.

AlteLyrikerin

Re: Fernbeziehung
« Antwort #8 am: Oktober 27, 2020, 14:20:58 »
Lieber gummibaum,


Dein Gedicht beschreibt das bekannte Problem einer Liebesbeziehung mit einer Person, die bereits gebunden ist. Die Sprache enthält sich jeder moralinsauren Bewertung und beschreibt die starke Belastung der Betroffenen. Dem Begehren wird zwar nachgegeben, aber eine lebendige Beziehung, die ein Teilen des Lebens voraussetzt, ist nicht möglich. Es wird immer etwas fehlen, und die Heimlichtuerei, das beständige Lügen ist noch eine weitere Not.
So falsch schein mir das Gebot, "Du sollst nicht begehren Deines Nächsten [Lebenspartner]" nicht zu sein. Die Liebe wird von manchen Betroffenen als unbezwingbarer Grund für das Eindringen in eine bestehende Beziehung genannt. Als sei sie eine unbezwingbare Naturgewalt, der nichts entgegengesetzt werden könnte. Es ist nicht mehr modern Verzicht zu üben, wenn die Rahmenbedingungen nur ins Unglücklichsein führen können.
Aber wenn ich an "Anna Karenina" denke oder an "Madame Bovary", dann sehe ich, dass diese Problematik, der Liebe ein übergeordnetes "Recht" zuzusprechen, schon sehr lange diskutiert wird in der Kunst.


Dein Gedicht hat mich angeregt über all das nochmals nachzudenken.


Herzliche Grüße, AlteLyrikerin.




gummibaum

Re: Fernbeziehung
« Antwort #9 am: Oktober 28, 2020, 23:08:32 »
Danke, lieber Sufnus und liebe AlteLyrikerin,

für die Beschäftigung mit dem Gedicht und der dargestellten Situation.

Liebe Grüße von gummibaum