Autor Thema: Blütenmeer  (Gelesen 1146 mal)

hans beislschmidt

Blütenmeer
« am: Mai 25, 2015, 16:35:38 »
Blütenmeer

Wenn der Hafer sticht in früher Blüte,
wer fragt schon nach den Dornenschrammen,
die dieser wilden Kraft entstammen,
und viel zu schnell verglühte.

Man soll die Pracht des Sommers trinken.
Rosenbetten sind meist bittersüß
und riechen bald nach Burgverlies.
Ich wollt im Blütenmeer versinken.

Die Sense mäht im Herbst zur Ernte
und wer von Sorgen, Schuld beladen,
wird auch nur Teil von Wurz und Maden.
Wie wenig zählt das Angelernte.


.
« Letzte Änderung: Mai 25, 2015, 16:44:28 von hans beislschmidt »
"Lyrik braucht Straßendreck unter den Fingernägeln" (Thomas Kling)

Erich Kykal

Re: Blütenmeer
« Antwort #1 am: Mai 25, 2015, 18:10:20 »
Hi, Hans!

Willkommen hier!

Das Fachliche:

Der Rhythmus des Gedichts leidet leider - wie viele deiner Texte - an wild wechselnden Heberzahlen, Auftakten und Kadenzen.


Wenn der Hafer sticht in früher Blüte, Betonter Auftakt (die drei anderen Zeilen dieser Str. beginnen unbetont). Zudem 5 Heber (Z2 und 3 haben 4 Heber), also einer zuviel.
wer fragt schon nach den Dornenschrammen,
die dieser wilden Kraft entstammen, (Unlogisch formuliert: Eine Schramme "entstammt" nicht einem Dorn, sie wird durch ihn verursacht.)
und viel zu schnell verglühte. Hier nur drei Heber - einer zu wenig. Zudem ist das "und" zu Beginn unlogisch - es müsste "die" heißen.

Man soll die Pracht des Sommers trinken.
Rosenbetten sind meist bittersüß Betonter Auftakt und 5 Heber! Zudem haben Z2 und 3 hier als einzige im Gedicht männliche Kadenzen (Das ist aber verglichen mit den anderen Schnitzern vernachlässigbar - zudem sind sie exakt mittig im Gedicht, also stören sie die Symmetrie nicht). Aber WAS sind "Rosenbetten", und warum sind die "bittersüß"?
und riechen bald nach Burgverlies.
Ich wollt im Blütenmeer versinken.

Die Sense mäht im Herbst zur Ernte Komma am Zeilenende.
und wer von Sorgen, Schuld beladen,
wird auch nur Teil von Wurz und Maden. Das "Wurz" klingt für mich eher unlyrisch, ist zudem verkürzt.
Wie wenig zählt das Angelernte. Hier würde vielleicht ein Rufzeichen besser wirken.


Vorschläge:

Der Hafer sticht in früher Blüte -
wer fragt schon nach den Dornenschrammen,
die dieser wilden Kraft entstammen,
die viel zu kurz, doch innig glühte.

Man soll die Pracht des Sommers trinken.
Die Rosen duften herrlich süß,
doch allzu bald nach
Burgverlies,
bevor sie ganz ins Welke sinken.

Die Sense mäht im Herbst zur Ernte,
und auch wer sich mit Schuld beladen,
wird endlich Teil von Staub und Maden.
Wie wenig zählt das Angelernte!


So wäre alles im rhythmischen Regelmaß: Vier Heber pro Zeile, unbetonte Auftakte.

Inhaltlich und stilistisch gefällt mir das Gedicht sehr gut - natürlich ohne die "Fehlerchen"! ;) Besonders die Conclusio verrät gekonnte Sprachhabung. Wenn du nun (endlich mal! ::)) nur noch das kleine Einmaleins der Metrik verinnerlichen könntest, fände ich wohl gar nichts mehr zu meckern! ;) ;D

Sehr gern gelesen! :)

LG, eKy
« Letzte Änderung: Mai 26, 2015, 10:31:28 von Erich Kykal »
Ironie: Ich halte euch einen Spiegel vor, damit wir herzlich lachen können.
Sarkasmus: Ich halte euch einen Spiegel vor, weil ich von euch enttäuscht bin.
Zynismus: Ich halte euch einen Spiegel vor, aber ich glaube nicht mehr an euch.

cyparis

Re: Blütenmeer
« Antwort #2 am: Mai 26, 2015, 09:50:12 »
Toll, lieber Beisl,

ganz nach meinem Herzen!
Erichs Anmerkungen sind - wie immer - Gold wert.

Bitte mehr davon
für
Cyparis,
herzlich grüßend.
Der Schönheit treu ergeben
(Lady Anne von Camster & Glencairn)
copyright auf alle Texte

hans beislschmidt

Re: Blütenmeer
« Antwort #3 am: Mai 26, 2015, 15:25:56 »
Hallo Erich, hallo Cypi,

vielen Dank für Kommentar und Gedanken.

Cypi, wir sollten postoperativ mal ein Gläschen trinken – ja?

Erich, du hast dir wirklich Zeit und Mühe genommen für deinen Kommentar.

Nun, zunächst zum Inhaltlichen. Für die Lyrikwiese wollte ich ein Naturgedicht machen. Da Gänseblümchen nicht mein Ding sind, kam mir der Gedanke drei Lebensabschnitte zu beleuchten und dabei drei „rein pflanzliche“ Redewendungen zu benutzen, die drei verschiedene Altersstufen darstellen. Das waren …

Wen der Hafer sticht
Nicht auf Rosen gebettet sein
Und die Radieschen von unten anschauen

Wie du richtig erkannt hast, ist mir das nicht ganz gelungen. Ich spreche jetzt gar nicht von metrischer Reinheit, denn ein brachialer Trochäus dazwischen - ist eine Vorliebe von mir (probiers doch auch mal  ;)), um diesen langweiligen Kadenzensingsang zu brechen.

  • Zu S1

    Wenn der Hafer sticht in früher Blüte,
    wer fragt schon nach den Dornenschrammen,
    die dieser wilden Kraft entstammen,
    und viel zu schnell verglühte.

    Der Hafer sticht in früher Blüte -
    wer fragt schon nach den Dornenschrammen,
    die dieser wilden Kraft entstammen,
    die viel zu kurz, doch innig glühte.


Angenommen! – bis auf innig … Diese Kraft (das ist die Kraft, die uns den Fidelbogen strafft > Villon/Zech) … eine solche Kraft soll nicht innig sein, denn sie geht durch Dornenhecken und kümmert sich nicht um Schrammen. Sie sollte wild, überschäumend, bedingungslos, besitzergreifend, viril, brachial, brutal usw. sein. Vielleicht fällt dir eine Substitution dazu ein?

Zu S2

  • Man soll die Pracht des Sommers trinken.
    Rosenbetten sind meist bittersüß
    und riechen bald nach Burgverlies.
    Ich wollt im Blütenmeer versinken.

    Str.:1, Ver.:1 Man soll die Pracht des Som-mers trin-ken.
    Str.:1, Ver.:2 Ro-sen-bet-ten sind meist bit-ter-süß
    Str.:1, Ver.:3 und rie-chen bald nach Burg-ver-lies.
    Str.:1, Ver.:4 Ich wollt im Blü-ten-meer ver-sin-ken.

    Str.:1, Ver.:1 Silben: 9   Betonung: xXxXxXxXx   Versfuß: Jambus
    Str.:1, Ver.:2 Silben: 9   Betonung: XxxXxxXxx   Versfuß: Daktylus
    Str.:1, Ver.:3 Silben: 8   Betonung: xXxXxXxX   Versfuß: Jambus
    Str.:1, Ver.:4 Silben: 9   Betonung: xXxXxXxXx   Versfuß: Jambus


    • Man soll die Pracht des Sommers trinken.
      Die Rosen duften herrlich süß,
      doch allzu bald nach Burgverlies,
      bevor sie ganz ins Welke sinken.


    Str.:1, Ver.:1 Man soll die Pracht des Som-mers trin-ken.
    Str.:1, Ver.:2 Die Ro-sen duf-ten herr-lich süß,
    Str.:1, Ver.:3 doch all-zu bald nach Burg-ver-lies,
    Str.:1, Ver.:4 be-vor sie ganz ins Wel-ke sin-ken.

    Str.:1, Ver.:1 Silben: 9   Betonung: xXxXxXxXx   Versfuß: Jambus
    Str.:1, Ver.:2 Silben: 8   Betonung: xXxXxXxX   Versfuß: Jambus
    Str.:1, Ver.:3 Silben: 8   Betonung: xXxXxXxX   Versfuß: Jambus
    Str.:1, Ver.:4 Silben: 9   Betonung: xXxXxXxXx   Versfuß: Jambus
Hmmm … Jein
Der Retter(Heber)-in-der-Not hat natürlich Recht … Jambus/Daktylus im Wechsel - deine Version  klingt besser - keine Frage ... aber


Man soll die Pracht des Sommers trinken.
Ich wollt im Blütenmeer versinken.

Der umfangende Reim drückt den Reichtum und die Vielzahl der „Möglichkeiten“ aus. „Frauen ticken da genauso wie Männer“. Man soll „sie“ austrinken und nicht verschämt ein einzelnes Blümelein knicken. Nein, man soll sich hineinwerfen in das „Blütenmeer“, sich hingeben - aus dem Vollen schöpfen. Ich denke, ich muss da nicht ins Detail gehen.


Rosenbetten sind meist bittersüß
und riechen bald nach Burgverlies.

Auf Rosen gebettet sein, meint doch die emotionale Vollversorgung - eine Liebessorglosigkeit, ein Geschlechtsakt wie ein Bausparvertrag. Wo bleibt da die Spannung Erich? Sie wird in ersticken im Wohlfühlkuschelheim, sterben am inszenierten Wärmetod. Deshalb „bittersüß“. Also Z1 und Z4 gehören zusammen – sind kongenial, hingegen Z2 und Z3 sind Gefängnis und Liebestod – also diametral. Deswegen darf in Z4 Nichts ins Welke sinken – im Gegenteil!
Vielleicht fällt dir noch eine andere Version ein ...

Zu S3


  • Die Sense mäht im Herbst zur Ernte
    und wer von Sorgen, Schuld beladen,
    wird auch nur Teil von Wurz und Maden.
    Wie wenig zählt das Angelernte.


    Die Sense mäht im Herbst zur Ernte,
    und auch wer sich mit Schuld beladen,
    wird endlich Teil von Staub und Maden.
    Wie wenig zählt das Angelernte!

Beides vierhebig im jambischen Auftakt. Version angenommen ... aber
Das endlich drückt nicht dasselbe aus wie auch. Das auch ist eine paritätische Zuordnung, das heißt es macht zum Schluss keinen Unterschied, ob wer redlich und rechtschaffen war Zeit seines Lebens. Zum Schluss sind sie alle gleich … zumindest stofflich.
Staub ist natürlich eleganter, wenn auch überzitiert. Hier muss ich zugeben, dass ich unbedingt die Radieschen drin haben wollte. Die aber noch von unten anzusehen wäre deutlich zu lang gewesen.

Es blieb für den letzten „Furz“ nur noch Platz für ungeschliffne „Wurz“.

Ich Danke auch für attestierte Sprachbegabung bei gelungener Conclusio.
Wie fändest du „letztlich“ an Stelle von „endlich“?
Und gibt es etwas stürmischeres als „innig“?

Grüße ins Mühlviertel
Vom Hans
p.s hast du die Yamaha noch?
« Letzte Änderung: Mai 26, 2015, 15:38:28 von hans beislschmidt »
"Lyrik braucht Straßendreck unter den Fingernägeln" (Thomas Kling)

Erich Kykal

Re: Blütenmeer
« Antwort #4 am: Mai 26, 2015, 20:42:14 »
Hi, Hans!

Also, ich finde "innig" sehr intensiv! Aber natürlich steht dir frei, einen anderen Begriff einzufügen - zB. "farbig" oder so.

"letztlich" passt ebenso gut wie "endlich", bloß letzteres klingt runder, weicher.

Die Jamaha hab ich natürlich noch - heuer lass ich sie wieder mal an! (Die letzten drei Jahre stand sie! :()

LG, eKy

PS:
Es guckt sogar das schönste Lieschen -
und lebt es auch, so sehr es kann,
und pflegt sich wacker - irgendwann
von unterwärts auf die Radieschen!
(ad hoc ;D)
Ironie: Ich halte euch einen Spiegel vor, damit wir herzlich lachen können.
Sarkasmus: Ich halte euch einen Spiegel vor, weil ich von euch enttäuscht bin.
Zynismus: Ich halte euch einen Spiegel vor, aber ich glaube nicht mehr an euch.