Autor Thema: Ein leichtes Geschlechte  (Gelesen 632 mal)

Sufnus

Ein leichtes Geschlechte
« am: August 03, 2019, 17:04:04 »
Ein leichtes Geschlechte

Die Straßen fliehen aus der Stadt
und schleppen alle Ziele
als Beute mit sich fort.
Der Verkehr, das verwundete Tier,
stöhnt, wenn die Ampeln blinzeln.
Jeder Ausweg kommt mit der Empfehlung:
Bei der nächsten Möglichkeit bitte wenden.

Wie die Insassen dieser Mauern
den Brotkrumen ihrer Sprachlosigkeit folgen
auf dem Weg von Traum zu Traum!
Ihre Haltung ist eines sterbenden
Philosophen würdig, der
die Sonne verkündet und
den Wind, der uns trägt.

Wenn die Uhren enden, ist jeder der Erste.
Aber nun habt Ihr das Wort,
und kein Räuspern der Menge
wird die Stille Eures Vortrags brechen,
und Eurer Schweigen wird noch
die größten Säle füllen
und aller Seelen leeres Herz.



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Sorry @eKy für abwechlungshalber einmal eine Abschweifung ins Ungereimte... ;)
Der Titel bezieht sich auf eine Passage aus dem Gedicht "Vom armen BB" von Bertold Brecht:

Wir sind gesessen, ein leichtes Geschlechte,
in Häusern, die für unzerstörbar galten
(so haben wir gebaut die langen Gehäuse des Eilands Manhattan
und die dünnen Antennen, die das atlantische Meer unterhalten).

Erich Kykal

Re: Ein leichtes Geschlechte
« Antwort #1 am: August 03, 2019, 23:52:59 »
Hi Suf!

Reimloses ist nicht meine Baustelle, aber du hast da ein paar kräftige Sprachbilder gefunden, vor allem in S1!

Erst dachte ich an sowas wie Stadtflucht, dann ans Sterben, dann an den Zusammenbruch der Zivilisation durch Dekadenz und Überdruss.

LG, eKy
Ironie: Ich halte euch einen Spiegel vor, damit wir herzlich lachen können.
Sarkasmus: Ich halte euch einen Spiegel vor, weil ich von euch enttäuscht bin.
Zynismus: Ich halte euch einen Spiegel vor, aber ich glaube nicht mehr an euch.

Sufnus

Re: Ein leichtes Geschlechte
« Antwort #2 am: August 07, 2019, 12:17:25 »
Lieber eKy!
Vielen Dank für Deine Anmerkungen! Ich weiß, dass sich reimloses und dann auch noch metrisch ungebundenes Geschreibsel für Dich einigermaßen traumatisch liest, weil einfach für Deiner innere Mitlesestimme etwas fehlt und Du Dich wahrscheinlich an jeder Holperstelle und bei jedem fehlenden Reim schmerzhaft stößt und Dir einen innerlichen blauen Fleck einfängst. Umso dankbarer bin ich, dass Du Dich dieser Zeilen angenommen hast! Das kostet mich mindestens ein anständiges Sonett als Wiedergutmachung!  :)
Was die Deutung angeht: Ich persönlich dachte an die Vergänglichkeit (die der menschlichen Werke wie auch die des Einzelnen)... aber Deine Ideen finde ich auch sehr stimmig (und sie gehen ja auch in eine sehr ähnliche Richtung) :)
LG,
S.