Autor Thema: Winterpause  (Gelesen 504 mal)

Erich Kykal

Winterpause
« am: Februar 04, 2021, 12:37:45 »
Die Bäume stehen kahl wie Besenreiser
auf meines Heimathügels Buckelkamm.
Die Krähen hocken drauf, um ein Jahr weiser,
verfroren wie Verfemte, federklamm.

Der letzte Schnee ist in der Nacht geschmolzen,
als hätt er sich für seinen Rest geniert,
nach aller frisch gefallenen und stolzen
Erhabenheit zertrampelt und verschmiert.

Der Schmutz darunter ist nun gut zu sehen,
und gut zu riechen die Verwesung auch.
Noch ruht die Welt, und meine Blicke gehen
darüber hin wie Nebelgang und Rauch.
« Letzte Änderung: Februar 06, 2021, 20:20:59 von Erich Kykal »
Ironie: Ich halte euch einen Spiegel vor, damit wir herzlich lachen können.
Sarkasmus: Ich halte euch einen Spiegel vor, weil ich von euch enttäuscht bin.
Zynismus: Ich halte euch einen Spiegel vor, aber ich glaube nicht mehr an euch.

Rocco

Re: Winterpause
« Antwort #1 am: Februar 08, 2021, 11:03:40 »
Hallo Erich,

der ironische Ton ist unüberhörbar. Klingt irgendwie nach einem Abgesang auf Raten. Dass es im Sommer besser würde, kann man nicht glauben. Zumindest macht das lyr. Ich dazu keine Anstalten.

Positiv finde ich, dass sich das lyr. Ich nicht erhöht. Ich denke dabei an Nietzsche, der ähnlich dichtete und sich als "großer Einsamer" feierte.

Die Welt stinkt vor Dreck und Verwesung, lieber Erich, das wird sich kaum ändern.

Ich finde: Leben ist das, was man daraus macht. Oder?

Rocco
"Erst in Rage werde ich grob -
aber gelte als der Hitzkopf?!"

Yusuf Ben Goldstein, aus Rocco Mondrians Komödie: Yusuf Ben Goldstein, ein aufrechter Deutscher

Erich Kykal

Re: Winterpause
« Antwort #2 am: Februar 08, 2021, 11:42:33 »
Hi Rocco!

Ich pflichte dir bei, aber wenn man alt und krank wird, minimiert sich das mit dem Lebensgestalten mehr und mehr. Da geht es nicht mehr drum, was man draus macht, sondern was vom Leben aus dir gemacht wurde.

Letztlich bleibt gewiss: Unsere Leben ziehen der Welt vorüber wie Nebelfetzen und Rauch. Wenn nur bleibt, einen möglichen höheren Sinn erst hinter der Genze des Todes zu vermuten, bleibt letztlich alles sinnbefreit und nüchtern existent. Manche finden sich damit zurecht, andere nicht.

Vielen Dank für deine Überlegungen!  :)

LG, eKy
Ironie: Ich halte euch einen Spiegel vor, damit wir herzlich lachen können.
Sarkasmus: Ich halte euch einen Spiegel vor, weil ich von euch enttäuscht bin.
Zynismus: Ich halte euch einen Spiegel vor, aber ich glaube nicht mehr an euch.

Sufnus

Re: Winterpause
« Antwort #3 am: M?RZ 04, 2021, 15:18:57 »
Hi eKy!
Die Schmelzlyrik ist ein interessanter Sonderfall der Winterlyrik und oft kreisen die Reflexionen dieser Spezialgattung um die Frage, was wohl unter dem Schnee so alles zum Vorschein kommt. Am konzisesten wird dies in dem Gedicht mit eben jenem Titel ("Vorschein") von Albert v. Schirnding zusammengefasst...
Bei Dir ist die Epiphanie der Vergänglichkeit allerdings nur der Vorletzte Gedanke, denn Deine Zeilen verwehen in einem mehrdeutigen Bild, das ich am ehesten als innere Gefasstheit und Seelenruhe, eine Ataraxie im epikureischen Sinne, deuten würde.
Sehr gerne gelesen!
S.
P.S.:
Und noch etwas Nebenbefundliches: Ist Euch mal aufgefallen, wie oft in Wintergedichten Krähen vorkommen? Die ballen sich fast wie weiland bei Freund Hitch... :)

Erich Kykal

Re: Winterpause
« Antwort #4 am: M?RZ 04, 2021, 16:48:25 »
Hi Suf!

Kein Wunder! Rabenvögel haben einen besonders starken mythischen Aspekt, und nicht erst seit Hugin und Munin, Edgar Allan Poe oder Krabat.

Und sieht man ein kahles Herbst- oder Winterbild, drängt sich das hohl-heisere Krächzen dieser Tiere als untermalende wie verstärkende Geräuschkulisse geradezu auf.

LG, eKy
Ironie: Ich halte euch einen Spiegel vor, damit wir herzlich lachen können.
Sarkasmus: Ich halte euch einen Spiegel vor, weil ich von euch enttäuscht bin.
Zynismus: Ich halte euch einen Spiegel vor, aber ich glaube nicht mehr an euch.