Autor Thema: Das fremde Kind  (Gelesen 948 mal)

Agneta

  • Gast
Das fremde Kind
« am: M?RZ 31, 2018, 10:07:33 »
Das fremde Kind

Schicksal, du schickst ihr ein Kind in ihr Leben,
dunkel gelockt und mit Augen des Rehs.
Zufällig, irr sinnig hast du gegeben
nach all den Jahren der Trauer, des Wehs.
Ach, diese Sprache, die Gestik, Gedanken,
die sich ihr schenken wie windende Ranken!
Plötzlich erblühn sie an alternden Streben

rund um das Haus, das sie bald wird verlassen
- just im Moment, da die Stütze ihr bricht.
Nach all den Jahren mit menschlichen Massen,
die doch mit Floskeln aus Staub uns bespricht.
führst du ihr einen, der Ehre noch kennt,
der noch für Stolz und für Werte entbrennt,
zu. Sie will zulassen, fühlen und fassen

das, was geschieht. Dieses Kind ferner Welt,
die ihr die Zeit zu Vergangenheit machte,
tritt in ihr Leben als Schützer, als Held.
Fast wie ihr eignes, das über sie wachte.
Kind fremden Glaubens und ferner Kultur
tritt neben ihr wie ein Sohn seine Spur,
fällt ihr als Schnuppe aus nachtblauem Zelt.

Fährst du nun Kind, das so nah ihr gekommen,
heimlich dorthin, wo das Böse verbindet,
in jenem Ruf des Muezzins verschwommen?
Wo falscher Glaube Rechtfertigung findet,
wird manche Schandtat als Losung getarnt.
Sie hat als junge Frau niemand gewarnt,
als ihr ein Nazi den Sohn hat genommen.

Bist wieder da und du lächelst wie immer.
Bist wieder da und ihr Herz springt vor Glück.
Auf deinem Blick schwebt ein trauriger Dimmer.
Alles ist gut, denn du kamst ja zurück.
Kind fremden Glaubens mit fremdem Gesicht,
bringst in ihr Leben doch Wärme und Licht
wie eine Kerze mit seidigem Schimmer.

Niemals lasst uns mehr die Götter anbeten,
die wir uns schufen in menschlichem Wahn,
die wir um falsche Triumphe anflehten,
die uns nur führen auf irrige Bahn.
Schicksal, du schicktest ein Kind aus der Ferne,
dunkel gelockt und mit Augen wie Sterne.









Erich Kykal

Re: Das fremde Kind
« Antwort #1 am: M?RZ 31, 2018, 11:12:44 »
Hi Agneta!

Ich glaube herauszulesen, dass es hier um die Beziehung einer älteren deutschen Frau mit einem sog. Ausländerkind geht. Der Junge fiel aber auf den Aufruf zum Dschihad herein und reiste fort, um für seinen Gott zu kämpfen, kam aber - vielleicht traumatisiert und gebrochen - zurück. Die deutsche Frau fragte nicht nach, war nur froh, ihr "Ziehkind", das ihr so viel Freude gmacht hatte, wieder zu haben.
Ein schönes Beispiel für Menschlichkeit - wir verdammen ja allzu leichthin jene, die aus jugendlichem Überschwang, leicht zu verführen, sich aufmachten, einen "heiligen Krieg" zu führen. Dummheit ist keine Sünde - aber sie führt zu vielen ...  ::)
Aber diese halben Kinder sind letztlich auch Opfer, gerade weil sie zu Tätern gemacht wurden! Verständnis und Behutsamkeit wären da oft besser als Verdammung und Strafe!

Sehr gern gelesen!  :)

LG, eKy
Ironie: Ich halte euch einen Spiegel vor, damit wir herzlich lachen können.
Sarkasmus: Ich halte euch einen Spiegel vor, weil ich von euch enttäuscht bin.
Zynismus: Ich halte euch einen Spiegel vor, aber ich glaube nicht mehr an euch.

Thomas

Re: Das fremde Kind
« Antwort #2 am: April 01, 2018, 08:50:51 »
Liebe Agneta,

eine sehr interessante Form gebundener Sprache, die gleichzeitig frei erzählend wirkt und eine bewegende Geschichte. Allein der deutlich erhobene Zeigefinger in der letzte Strophe stört mich. Lasse die doch einfach weg.

"bringst in ihr Leben doch Wärme und Licht
wie eine Kerze mit seidigem Schimmer." wär ein guter Abschluss.

Liebe Grüße
Thomas
« Letzte Änderung: April 01, 2018, 08:54:04 von Thomas »
S p r i c h t die Seele so spricht ach! schon die S e e l e nicht mehr

(Friedricht Schiller)

wolfmozart

Re: Das fremde Kind
« Antwort #3 am: April 07, 2018, 12:51:44 »
Hallo Agneta,

sehr schöne Lyrik.
Schöne Sprache, durchgegendes Reimschema - und natürlich ein Inhalt der  einen bewegt.

...wenn - wie ich vermute - das Poem an Tatsachen angelehnt ist, umso wertvoller erscheint dieses Werk.

Liebe Grüße

wolfmozart

Agneta

  • Gast
Re: Das fremde Kind
« Antwort #4 am: April 09, 2018, 19:08:56 »
Ihr Lieben,

herzlichen Dank für eure Gedanken, über die ich mich sehr freue, weil es aus der ganz realen Agnst geschrieben wurde, etwas könnte sich so entwickeln, was mir viel Kopfschmerzen machte.  Entschuldigt, dass ich so lange mit der Antwort gewartet habe, aber ich bin bis 01.06. noch im Umzugsmodus. ::) :-\ :-*
Man glaubt ja nicht, wie anstrengend das Aussortieren und Räumen eines großen Hauses mit 60 ist...

@Erich.
Du bist genau auf dem richtigen Weg. ich wollte einmal die menschliche Seite beleuchten, die sich ergibt, wenn man religiöse und kulturelle Unterschiede überwindet, weil man einen Menschen sehr gern hat. Die Angst, die daraus um diesen Menschen entsteht, die habe ich hier verdichtet.
Die Hilflosigkeit und große Tragik, die darin liegt, dass junge Menschen ( denn das sind sie trotz allem) ihr Leben verschwenden und sich möglicherweise schuldig machen. mal die Seite einer "Mutter" beleuchten, die sogar noch vom anderen Kulturkreis kommt als das Kind-  die aber dennoch Angst hat um ihr "Kind".Das hast du genau nachgespürt. Danke dafür.


@Thomas

Deinen Vorschlag will ich gerne überdenken, obwohl gerade das ungewöhnliche Reimschema mir Freude gemacht hat. Im Moment bin ich zu nah dran...und habe auch nicht so die Ruhe. Ich nehme es mir nochmal vor, wenn wir in Leverkusen wohnen.
Wichtig war mir jedoch- und das zeigt eben dieser moralische Einsatz, die "Nazigötter" neben die religiös fanatischen zu stellen. Gleichwetig in ihrer Verführung, ihrer Schuld und ihrem menschlichen Versagen. Es sind nicht nur religiöse Götter, die Menschen zu furchtbaren Taten verleiten. Das wir mir eben wichtig.


@wolfmozart
auch dir lieben Dank, dass ich dich für das Thema erwärmen konnte und für das "wertvoll." Die Erfahrungen, die ich mit meinem "Ziehkind" machte und mache, sind wertvoll und allemal ein Nachdenken über dieses schwierige Thema von nicht alltäglichem Blickwinkel aus wert.

LG an euch drei von Agneta
« Letzte Änderung: April 09, 2018, 19:14:35 von Agneta »