Autor Thema: Die Macht der Gewohnheit  (Gelesen 508 mal)

Erich Kykal

Die Macht der Gewohnheit
« am: Februar 25, 2018, 12:10:27 »
Als sei unendlich Zeit, einander zu umfangen,
vergeuden wir die Stunden jedes trauten Glückes,
als fassten im Verstreichen eines Augenblickes
wir irgendwann zusammen, was den Wangen,
die immer kühler das Verschwiegene beschwören,
vertrauter wäre, wenn wir uns nicht so verlören
in stumpfen Alltags Eitelkeiten und Belangen.

Als sei unendlich Zeit, einander zu erfahren,
entsagen wir den Zärtlichkeiten, die uns binden,
als könnten fernen Tags wir noch Erfüllung finden,
entrückt dem Weltenkreise und gebeugt von Jahren,
als wüssten wir, was sie an Seligem noch fassen,
in sich verschweigende Entsagung zu entlassen,
darum sich Glücksmomente wie Verfemte scharen.

Als sei unendlich Zeit, einander zu erheben,
verschwenden wir die Augenblicke, welche gelten,
als wären sie nicht einzigartig und nicht selten
in kaum mehr aufgetanen und berührten Leben,
und gehen hin, in Unbedeutenheit befangen,
und fühlen so, als hätten wir uns nie empfangen,
als Liebe noch zu wachsen wusste und zu geben.
 
Ironie: Ich halte euch einen Spiegel vor, damit wir herzlich lachen können.
Sarkasmus: Ich halte euch einen Spiegel vor, weil ich von euch enttäuscht bin.
Zynismus: Ich halte euch einen Spiegel vor, aber ich glaube nicht mehr an euch.

Curd Belesos

Re: Die Macht der Gewohnheit
« Antwort #1 am: Juli 14, 2018, 23:56:53 »
moin moin Erich,

für mich eine sehr kühn geschriebene Betrachtung. Sie erinnert mich an die Vorstellung sparsamer Menschen, die sich keinen Urlaub, keine Freuden gönnen, da sie für die Weltreise oder etwas ähnliches sparen, dass sie nach dem Arbeitsleben als Rentner glauben genießen zu wollen und zu können.

Welch ein Trugschluss.

Sehr gerne gelesen

LG
CB
Nur wenn du frei bist " IF " ....dann bist du ein Mensch

Erich Kykal

Re: Die Macht der Gewohnheit
« Antwort #2 am: Juli 15, 2018, 15:58:35 »
Hi Curd!

Das ist in meiner Familie verbreitet:
Meine Ureltern sparten vor dem ersten WK vierzig Jahre auf ein eigenes Häuschen - dann kamen Krieg und danach die Inflation - am Ende reichte das lebenslang Ersparte gerade noch für einen Laib Brot ...
Meine Tante sparte ihr Leben lang, versagte sich jeden Luxus, selbst von mir ermuntert, sich doch etwas vom Ersparten zu gönnen, so lang sie noch könne, blieb sie lieber nur drauf hocken - und vererbte es mir ...
Mein Vater schuftete sich dreißig Jahre mit bis zu 16 Arbeitsstunden täglich mit Beruf und Nachhilfe ab, um uns ein Haus bauen zu können und starb, kaum dass die Schulden abbezahlt waren. Heute lebe ich allein in diesem Haus ...

... schreibe Bücher und vergeude viel Geld damit, aber vertage den Versuch, sie zu verbreiten und mir einen Namen zu machen, auf "später in der Pension, wenn ich Zeit habe", obwohl nicht feststeht, ob ich dieses Alter je erreichen werde ...
Die Vorstellung, als Literat anerkannt und bekannt sein zu können, wenn ich es nur wollte, ist wohl tröstlicher als ein mögliches Versagen beim ehrlichen Versuch ...

So verstreichen uns allen die seltenen besonderen Momente - kurze Zeitfenster an Scheidewegen unseres Geschicks, wenn eine einzige Wahl das ganze Sein neu definieren könnte. Das sind nämlich beileibe nicht alle Momente, sowas funktioniert nicht jederzeit. Aber wir tun lieber so, als würde sich "irgendwann später alles wie von selber fügen", weil alles, was wir wirkten und wir selbst ja nicht umsonst gewesen sein KANN! Doch, kann es! Die meisten Menschen sogar bleiben völlig belanglos außerhalb ihres engen Beziehungsrahmens, ihrer kleinen Welt. Und sogar mitten darin versäumen sie die meisten Entscheidungsmomente und wundern sich später, warum ihr Dasein so belanglos und nebensächlich verlaufen ist. Und für nicht wenige ist das sogar okay und erstrebenswert: Bloß keine Abenteuer! Keine Wagnisse ohne Netz und doppelten Boden! Und dennoch nennen sie es "ein Leben".
Ich habe kein Recht zu klagen - abgesehen von meinen wenigen genutzten Talenten verläuft mein Dasein genau so unaufgeregt und belanglos, trotz kurzer Eskapaden in Rockerszene und anderen "Nebenwelten". Mein natürliches Phlegma hält mich zurück, ich habe mein Leben eigentlich nie bewusst gesteuert, habe mir die Welt immer nur zustoßen lassen, nie geplant, immer nur treibend, ohne eigenen Antrieb oder Willen. Und je älter ich werde, desto weniger ist überhaupt noch von Bedeutung ...

Manchmal erscheint es mir, als atme ich nur noch aus alter Gewohnheit, als "funktioniere" ich nur noch deshalb, um theoretische Andere nicht zu enttäuschen oder zu betrüben - um ein Bild aufrechtzuerhalten, das irgendjemand zu sehen erwartet, wenn er mich betrachtet, so wie ich es in einem Spiegel täte.

Und weil ich immer noch ein wenig neugierig bin, wie es mit der Welt so weitergeht ...

LG, eKy
« Letzte Änderung: Juli 02, 2023, 19:39:33 von Erich Kykal »
Ironie: Ich halte euch einen Spiegel vor, damit wir herzlich lachen können.
Sarkasmus: Ich halte euch einen Spiegel vor, weil ich von euch enttäuscht bin.
Zynismus: Ich halte euch einen Spiegel vor, aber ich glaube nicht mehr an euch.