Autor Thema: Unverbesserl-ich  (Gelesen 1391 mal)

Sufnus

Unverbesserl-ich
« am: April 30, 2020, 11:22:27 »
Unverbesserl-ich

Wer immer an mich denkt,
bekommts mit mir zu tun:
Ein Intimus? Geschenkt,
will nur auf mir beruhn!

Am mich werd ich mich halten,
die Umwelt (Mann und Maus):
Nur traurige Gestalten
im bunten Kartenhaus.

Ich bin das Ziel, die Spur,
die Feier, der Bestand,
ihr anderen seid nur
ein Spiel im Stundensand.




Eisenvorhang

  • Gast
Re: Unverbesserl-ich
« Antwort #1 am: April 30, 2020, 13:07:09 »
Hallo Sufnus,

Zur Form:

Strophe eins besteht aus vier jambischen Zeilen, die mit einem männlichen Verschluss abschließen. Darin befindet sich ebenfalls ein Enjambement in S1Z3, welches mit "Geschenkt," beginnt und somit den ersten wohlgesetzten Bruch darstellt.

Strophe zwei verändert ihre Gestalt etwas im Metrum und erklingt im Wechsel mit jeweils zwei weiblichen und zwei männlichen Versschlüssen, welche das Gedicht etwas aus dem "Spitzen" der ersten Strophe heben und so in ein weicheres (ja, fast sehnsuchtsvolleres) Klangbild fließen lassen. Auch hier findet man Enjambements.

Strophe drei verhält sich wie Strophe eins: Formtreu mit männlichen Versschlüssen und Enjambements, die den Sinn über das Versende hinwegtragen und somit in den darauffolgenden Zeilen verlaufen.
Anzumerken sind auch die wohlbedachten Metaphern (Ohne Analogiedefekt)

Zum Inhalt:

Der Titel greift das Adjektiv "Unverbesserlich" auf, was entsprechend der Syntax einen Menschen meint, der nicht mehr zu ändern ist.
Interessant ist hier der Bruch des Adjektivs in zwei Teile: Nämlich "Unverbesserl-ich".
Somit wird aus dem Adjektiv herausgeschält, was der eigentlichen Bedeutungsebene immanent ist. Das gesonderte Herausstellen des "Ichs" lässt auf eine tiefere philosophische Betrachtung schließen.

Strophe eins beginnt mit einer absoluten Aussage "Wer immer an mich denkt, bekommts mit mir zu tun."
Einerseits bedeuten diese zwei Zeilen nichts anderes als "Wer an mich denkt, wird an mich denken". Weswegen sie sich, genaugenommen, ad absurdum führen. Hier aber zeigt sich deutlich, dass Zeile zwei
negativ besetzt ist, gleichbedeutend einer Drohung. (Angstargument, Nähe vermeidend)
"Intimus" bedeutet Freund oder eine Person, die nahe steht, weil sich das Wort von "intim" ableitet. Ich denke, dass sich das LI selbst in Frage stellt, im Sinne von: "Wer mich als Freund sieht, kann sich das ersparen, ich genüge mir selbst".
Hier rutscht das LI inhaltlich auf eine Metaebene mit solipsistischen Charakter ab.

Als interessant zu benennen sind die Abweichungen in der zweiten Strophe.
Das LI sieht sich selbst als einzige Existenzbegründung, möglicherweise in einem kristallenem Gewandt der Egozentrik und pfeift auf seine Umwelt und auf sein Umfeld, in denen es nur traurige Gestalten im bunten Kartenhaus sieht. Das bunte Leben als fragiles Gebilde in Raum und Zeit.

Der eigene Anspruch erfährt eine Steigerung und Vertiefung und obliegt auf dieser Weise einer Progression: "Ich bin das Ziel, die Spur, die Feier, der Bestand".
Hier wird der Ewigkeitsanspruch gewählt, das LI idealisiert sich und hebt sich somit auf eine narzisstische Ebene, die durch gleichzeitige Herabwertung von "ihr anderen seid nur ein Spiel im Stundensand" zu verstehen ist. Das Gedicht erfährt einen sich wiederholenden Radikalisierungsprozess von Strophe eins bis drei und wiederkehrende Abwertung, weswegen ich als unbedarfter Leser das Gedicht als einen Spiegel betrachte: Das LI liebt sich nur selbst und betrachte die Welt um sich als abgelebt und verbraucht, wohl als Kompensationsstrategie für die eigene Fehlbarkeit, welche ob der Bewusstwerdung der eigenen Makel, auf andere übertragen wird.

Ein Gedicht über Narziss in einem sachlichen Gewandt, was auf einen erfolgslosen Narzissten hindeuten mag oder eben nur auf jemand, der sich nicht mehr verbiegen will, weil es ihm einfach egal ist.
Um das herauszufiltern, müsste man wissen, in welchem Maße das LI selbstreflektiert ist. 

Gefällt mir sehr!

vlg

EV



« Letzte Änderung: April 30, 2020, 16:40:20 von Eisenvorhang »

Sufnus

Re: Unverbesserl-ich
« Antwort #2 am: Mai 04, 2020, 12:06:48 »
Hi EV! :)
Vielen lieben Dank für die ausführlichste Besprechung meiner Zeilen! Das Gedicht ist bestimmt eher eines meiner mittelmäßigen hier auf der Wiese und insofern darf der Aufwand, den Du meinem Zeilen gegönnt hast, als völlig unverdient angesehen werden - aber ich denke, es ist auch eine Übung im Verfassen einer Textkritik oder -Interpretation gewesen - und als solche ist es Dir wirklich wunderbar gelungen! :)
Sehr schön, übrigens, dass Du das Narziss-Motiv nochmal erwähnst. In der Tat waren meine Zeilen durch die (sprachlich viel gediegenere) Beschäftigung von gum mit diesem Mythenkomplex angeregt worden. Danke also an dieser Stelle an unsere Ficus elastica für die Inspiration! :)
LG!
S.

Eisenvorhang

  • Gast
Re: Unverbesserl-ich
« Antwort #3 am: Mai 04, 2020, 14:57:00 »
Huhu lieber Sufnus,

unverdient auf keinen Fall. Ich kenne keinen anderen neben dir, der lyrische Arbeiten derart konstruktiv und zeit-intensiv kommentiert wie du es machst.
Ich bin ja grundlegend bestrebt danach mich weiterzuentwickeln und bereits die weinige gemeinsame Zeit aufm Eiland, die wir hatten, konnte ich viel von deinem Umgang mit Lyrik lernen. In den drei Jahren, in denen ich nun dichte, habe ich dir viel zu verdanken und ich denke, dass du oft nicht viel zurück bekommst im Verhältnis zu dem, was du gibst.

Davon ab glaube ich mittlerweile, dass es den Lesern, so denn sie denn willig sind, und den Autoren mehr bringt, etwas ausführlicher zu kommentieren... Es hebt ja auch den Anspruch eines Forums, wovon alle profitieren.
Und ja, ich will mich im Kritisieren üben, du gibst einen sehr schönen Weg vor, ohne dabei die Schreiber mit Kritik zu verprügeln, aber trotzdem Kritik zu üben; holst du die User von ihrem Hafen ab und zeigst Wege und Möglichkeiten, mit Autorenverweise usw... Wie man es eigentlich von der Uni her kennt.

Dass ich davon (Kritik üben) auch profitiere ist richtig. Ich bin nicht jemand, der sich nicht gern auf erreichten Ziele ausruht, weswegen mich dein Umgang mit Sprache wortwörtlich herausfordert weiter zu machen und meine Neugier schürt. Es beeindruckt mich immer wieder!
Vielleicht ist das Gedicht nicht eins deiner besten, aber verdient ist die Auseinandersetzung alle mal!


vlg

EV
« Letzte Änderung: Mai 04, 2020, 16:44:31 von Eisenvorhang »

Agneta

  • Gast
Re: Unverbesserl-ich
« Antwort #4 am: Mai 11, 2020, 09:12:26 »
das ist absolut stark, lieber Sufnus!
Wer immer an mich denkt, bekommts mit mir zu tun- eigentlich volkstümlich , dann bekommst du es mit mir zu tun, eine Drohung. Gleichzeitig ein Sinnspiel: Er bekommt es mit mir selbst zu tun, mit einem, den er vielleicht falsch einschätzt. An mich denken, hier gleichgesetzt, mir nahe kommen.
Zu nahe.
Einem Einzelgänger, einem Individualisten, der ohne Bitterkeit einfach gerne Abstand zwischen sich und die anderen bringen möchte.
In der Tierwelt fiele mir ein Löwe ein.
Die zweite Strophe zeigt jedoch eine gewisse Verachtung, die natürlich respekiert werden kann als subjektive Meinung, die jedoch auch verallgemeinernd ist.
Die dritte Strophe geht schon etwas ins Narzistische, ich bin mir alles, ihr seid nur...
Das Stundenglas ist jedoch sehr poetisch und hebt die große Härte auf.
Ja, ich denke, kein Narzist, sondern ein Individualist...
Stark und gekonnt geschrieben, Suf. Applaus!!!!!
LG von Agneta

Erich Kykal

Re: Unverbesserl-ich
« Antwort #5 am: Mai 11, 2020, 11:27:37 »
Hi Suf!

Ich finde mich im Grunde selbst in diesen Zeilen, allerdings habe ich längst gelernt, dieser Einstellung die positiven Aspekte zu danken. Ich übervorteile damit ja niemanden, gehe nicht rücksichtslos über die Wünsche und Interessen anderer, um meine eigenene zu verwirklichen - ich habe mich bloß sozusagen ausgeklinkt aus dem "Menschenspiel", das rundumher so opulent gespielt wird.
Dass Gutmenschen mir dennoch vorwerfen, dass ich mich nicht wie Mutter Theresa verhalte und das Leid der ganzen Welt zu schultern bereit bin, bloß weil ich dessen gewahr bin, oder, wie sie es so schön formulieren, "Verantwortung zu übernehmen", kratzt mich nicht. Wenn sie sich damit mal nicht ohnehin wortwörtlich übernehmen ...

Und, seien wir mal ehrlich: Die meisten Menschen sind doch ganz von Natur aus so! Wie sonst sollte man das Universum denn auch wahrnehmen, wenn nicht "aus sich selbst heraus"? Das eigene Ich, die Persona, das (Selbst)Bewusstsein ist die grundlegenste Erfahrung jedes Kleinkindes, der kleinste Kreis, der innerste Ring eines wachsenden Lebens, und letztendlich sind wir zum Ende hin wiederum genau darauf zurückgeworfen.
Ich kann nicht zustimmen, wenn jemand den "Egoismus" als rein negative Charaktereigenschaft definiert. Schon das Wort gilt als höchst negativ besetzt, so als könnte und wollte ein so Definierter sich grundsätzlich nie um irgendjemand anderen kümmern oder sorgen. Aber zwischen "gesundem" Egoismus und absoluter Soziopathie klafft eine gewaltige Lücke!

Natürlich gibt es die negativen Aspekte dieser Haltung, das will ich nicht in Abrede stellen - aber ich wehre mich gegen die Anwürfe blindwütiger Gutmenschelei, die in sozial restriktiver Haltung gleich eine Art dämonischer Bösartigkeit vermuten! Nichts ist nur schwarz oder weiß - und ich habe leider das Gefühl, das immer breitere Schichten unserer Bevölkerung mehr und mehr verlernen, da zu differenzieren.
Ich glaube auch zu wissen, woran das liegt: Früher, vor Handy und Internet, sprachen nur wenige zu allen, und die überlegten sich meist gut, was und wie sie es sagten, ob sie nun lautere Absichten hatten oder nicht. Aber die Denkinhalte waren klar umrissen, und die gleichen Worte erreichten viele. Heute wird jeder täglich mit tausend Meinungen und Ansichten zugemüllt, von den die meisten weder wohlüberlegt noch wirklich ausgegoren sind, von Shitstorms und Beleidigungen geistig oder charakterlich Minderbemittelter ganz zu schweigen. Jeder kann sagen, wozu er lustig ist, und es steht mit demseben Anspruch auf Wichtigkeit im Netz wie die fundierten Aussagen jener, die wissen, wovon sie reden. Aber wenn jeder ständig absenft, und das obendrein in sprachlich wie inhaltlich minderer Qualität, wie kann man erwarten, dass junge Menschen daraus einen verlässlichen moralischen Kompass generieren?
Früher hatte TV einen pädagogischen Anspruch. Auch wenn es aus heutiger Sicht bieder und langweilig war - es gab Bildungsprogramme, auch wenn in Dikussionsrunden zuweilen so viel geraucht wurde, dass man in einem vernebelten Wirtshaus zu sitzen glaubte. Heute geht es nur noch um Quote und möglichst billige Unterhaltung - amerikanische Comedy-Sitcoms, hölzerne deutsche Vorabendserien und Schmalzgeschichten a la Pilcher, ab und zu zwischen den viertelstündigen Werbeblöcken ...

Ja, ich weiß, ich höre mich an wie ein verkrusteter alter Onkel, der von der "guten alten Zeit" schwärmt. Aber das bin ich nicht. Ich bin mir der indoktrinativen Gefahren zu weniger Stimmen durchaus bewusst. aber zu viele - und arg bildungsferne - Stimmen sind ebenso von Übel!
Filme "von früher" werden kaum noch gezeigt.

LG, eKy
Ironie: Ich halte euch einen Spiegel vor, damit wir herzlich lachen können.
Sarkasmus: Ich halte euch einen Spiegel vor, weil ich von euch enttäuscht bin.
Zynismus: Ich halte euch einen Spiegel vor, aber ich glaube nicht mehr an euch.

Sufnus

Re: Unverbesserl-ich
« Antwort #6 am: Mai 11, 2020, 17:31:16 »
Vielen lieben Dank, EV, Agneta und eKy für Eure ausführlichen Anmerkungen... wow!
Es macht mich sehr froh, lieber EV, wenn Du von unseren Austauschen auf dem Eiland und hier profitiert hast - ich profitiere auf alle Fälle - es kann also keine Rede davon sein, ich bekäme da nichts zurück! :)
Eine Frage, die ich mir immer wieder stelle, wenn ich Gedichte lese, ist: Was bewirkt, dass ich einen Gewinn aus der Lektüre ziehe?
Oft (zu oft sicherlich) "bewerte" ich bei der Lektüre - dieses ist gelungen, das weniger, diese Passage ist schlampig hingerotzt, aber hochoriginell und  jene Passagel "sauber verarbeitet", aber langweilig usw. Ich frage mich, ob dieses innerliche "Ranking", was ich oft betreibe, wohl ein typisch männliches Verhaltensmuster ist (anderswo hier im Forum ging es doch kürzlich um das wechselseitige "Sich-miteinander-messen", oder)?
Auf alle Fälle ist es glaube ich auf die eigenen Erzeugnisse angewendet - als tätige Selbstkritik - durchaus hilfreich, um sich weiter zu verbessern, es kann aber auch den Genuss bei der Lyriklektüre trüben und sogar blind für manche Inspiration machen, weil man wegen eines Schnitzers allzuschnell verwirft, was eigentlich ein schöner Einfall war.
Die Lösung des Problems habe ich noch nicht gefunden, denn unkritische Jubelarien auf jedes eigene oder fremde Erzeugnis anzuwenden, bringt irgendwie auch nix... wahrscheinlich sollte ich noch mehr daran arbeiten beim Lesen das Schöne in mich aufzunehmen, ohne mich von schiefen Tönen abschrecken zu lassen... der Gedanke ist noch nicht ganz ausgereift...
Agneta hat mich jedenfalls nachdenklich gemacht, weil ihr dieses Gedicht so gut gefällt (und ich halte sehr hohe Stücke auf Dein Urteil, liebe Agneta! :) ), wo ich doch an meinen Zeilen etwas zu zweifeln begonnen habe...
Was nun das Lyrische Ich dieser Zeilen angeht, hast Du es glaube ich klarer getroffen, als ich das selbst konzipiert habe, Agneta, es ist wohl kein typischer Narzisst, vielleicht ein freier Geist, der manchmal etwas zu sehr mit Welt und Mitmenschen fremdelt, letztlich wohl auch melancholische Anwandlungen hat (wie schön, dass Du die Anspielung auf eine Sanduhr (Stundenglas) erkannt hast, Agneta! :) ).
Ich bilde mir ein, dass ich mit dem LI nicht soooo viel gemeinsam habe... und an eKy habe ich jetzt auch nicht dabei gedacht... aber wenn Du Dich darin findest, lieber eKy... ich glaube, das LI dieser Zeilen ist ein ziemlich spannender Zeitgenosse mit Tiefgang... also why not? ;) Über mediale Verdummungsprogramme würde das LI wohl auch seinen Unmut äußern - und da geht der Autor eigentlich auch mit... ;)
LG!
S.