Badezimmerblues

[Sufnus]

Alte Version:

Badezimmerblues

Dein Spiegelbild wird dir den Lauf der Zeiten
ganz ungeschminkt im kalten Neonlicht
des Badezimmers treulich aufbereiten
in unbestechlicher Chronistenpflicht.

Dann schaust du bang, ob sich in jeder Wunde,
die dir das Dasein schlug, noch Leben findet,
das roten Pulsen: Einmal noch gesunde,
bevor dich hinterrücks ein Hieb entbindet

von dem Gewese um den Gang der Dinge,
an denen doch, weiß Gott, so wenig liegt.
Da lebt man mit dem Hals längst in der Schlinge
und hat sich letztlich gründlich totgesiegt.


Überarbeitete Fassung


Badezimmerblues

Dein Spiegelbild wird dich im Lauf der Zeiten,
ganz ungeschminkt vom kalten Neonlicht
des Badezimmers, treulich aufbereiten
gemäß dem Kodex der Chronistenpflicht.

Dann schaust du bang, ob sich wohl in den Wunden,
die dir das Dasein schlug, noch Leben findet,
das roten Pulsen: Einmal noch gesunden,
bevor ein Hieb dich hinterrücks entbindet

von dem Gewese um den Gang der Dinge,
an denen doch, weiß Gott, so wenig liegt.
Da lebt man mit dem Hals längst in der Schlinge
und hat sich letztlich gründlich totgesiegt.

[Erich Kykal]

Hi Suf!

Ach ja, der allfällige Blick in den gnadenlosen Spiegel ... auch ich habe zuweilen darüber gedichtet, ganz ähnlich deinen weisen Zeilen.

Den alten Witz kennst du gewiss, wo der Typ nach durchzechter Nacht zerknittert vor den Spiegel tritt und sagt: "Ich kenn di zwar net, owa die Zähnt putz i da trotzdem!"

Im Zuge des langsamen Alterungsprozesses hat man bestimmt mehr Zeit, sich an den mählichen Verfall der eigenen Züge zu gewöhnen, aber so alle paar Jahre wird einem doch bei einem bewussteren Blick gezeigt, an welchen Stellen man wieder ein wenig hässlicher, aufgedunsener, faltiger oder kränklicher geworden ist!
Dann muss das Selbstbild polternd nachrücken, um den angemessenen Platz im eigenen Kopf einzunehmen, um den es kein Herumdiskutieren mehr gibt. Man kann nur hoffen, die Augen werden im gleichen Maße schlechter, dann muss man die Misere nicht mehr so deutlich mitansehen! 

Sehr gern gelesen! 

LG, eKy

[Curd Belesos]

Moin,
wenn ich die Brille abnehme, mag ich die Welt. 
LG
CB

[Eisenvorhang]

Huhu Suf,

erst kurz, später mehr, muss nämlich weg.
Strophe zwei würde ich glätten, weil sie so wärmer klänge:

Dann schaust du bang, ob sich in allen Wunden,
die dir das Dasein schlug, noch Leben findet,
das roten Pulsen: Einmal noch gesunden,
bevor dich hinterrücks ein Hieb entbindet

[gummibaum]

Spiegel sind gnadenlos ehrlich. Am erschütternsten die in Umkleidekabinen. Für "dir" in Vers 1 würde ich "dich" setzen.

Sehr gern gelesen, lieber Sufnus.

Grüße von gummibaum

[Erich Kykal]

Ich muss Gummibaum widersprechen. Laut Fortführung des Satzkonstruktes in Z3 ist Sufs Version völlig korrekt: "wird dir den Lauf der Zeiten ... treulich aufbereiten".

"dich" wäre nur möglich, wenn man "im Lauf der Zeiten" schriebe, aber es heißt "den Lauf der Zeiten".

LG, eKy

[gummibaum]

Richtig, Erich und sorry Sufnus: ich habe wohl "im" statt "den "hineingelesen.

LG g

[Sufnus]

Ihr Lieben!
Dankesehrst für Eure versammelten Kommentare! Ich glaube, dass ich einigen Honig aus ihnen ziehen kann.... ich bau das Werk mal entsprechend gums und EVs Anmerkungen um (also Curd: Brille wieder aufsetzen!  ).
LG!
S.
P.S.:
Hast Du eigentlich mal versucht, Gedichte in Eurem Heimatdialekt zu verfassen, lieber eKy? Ich nehme an, Deine Ansprache an den Spiegel ist im lokalen Idiom verfasst... es klingt sehr reizvoll, muss ich sagen... leider ist die Fähigkeit zur Rede im Dialekt eine Gabe, die mir verwehrt wurde (und zu richtig sauberem "Hochdeutsch" reichts auch nicht... deshalb äußere ich mich lieber schriftlich... )

[hans beislschmidt]

Hi Suf, gefällt mir sehr gut, besonders gelungen ist ....
Da lebt man mit dem Hals längst in der Schlinge
und hat sich letztlich gründlich totgesiegt....
Und ja, warum soll's  euch anders gehen als mir? Leicht getönte Spiegel und warmes Licht sind in solchen Zeiten tröstlich und vor allem eine getönte Gesichtscreme. Lach nicht, das streichelt die Seele. Gruß vom Hans

[Eleonore]

Hallo Sufnus,

auch mir gefällt der Badezimmerblues.
Wenn einmal wieder eine genaue "Musterung" angesagt ist,
abseits des Kurzchecks.
Verwoben mit einer Portion Melancholie (und hoffentlich keiner Bitternis)

Bestandsaufnahme!

Sehr gut gefällt mir:
Einmal noch gesunden, bevor ein Hieb Dich hinterrücks entbindet.

Entbindet hier durchaus doppeldeutig zu lesen ...
als Losbinden von den irdischen Geschäftlichkeiten und ein Hineingeborenwerden in die Welt,
die uns nach dem Hierseits erwartet.

Herzliche Grüße

Eleonore

[Sufnus]

Hey Hans!
Ich habe Deine und Curds Anmerkung kombiniert und mir die BB-Creme auf die Brille aufgetragen. Was soll ich sagen? Es wirkt wunder!
Und im ernsthaften Modus: Dankeschön für Deine Kommentare und Tipps!

Und liebe Eleonore (ich bin ja bekennender Alias-Verstümmler, aber bei Deinem schwanke ich noch... Leo? El? Nore? Hm... ich bleib ausnahmsweise vorerst mal noch beim vollen Namen... ),
Dankeschön auch Dir fürs Gefallenhaben! Ehrlich gesagt, war mir die Doppeldeutigkeit von Entbinden gar nicht aufgefallen... jetzt gefällt mir mein Gedicht tatsächlich viel besser als vorher!

Ansonsten muss ich persönlich leider gestehen, dass ich für das Hotel Nachwelt das große Nichtsprogramm gebucht habe... nunja... sollte dann am Abflughafen jemand an mich herantreten und verkünden: "Das Nichts ist leider ersatzlos gestrichen... höhere Gewalt...", werd ich ja ganz schön belämmert dastehn...

Viele liebe Grüße Euch beiden,

vom Suf

[Emilie]

Strophe Zwei von Version eins ist für mich schöner.
Lässt sich harmonischer lesen in meinen Augen.
Badezimmerblues erinnert mich an Sonntagsblues!
Mondbluessonate 

[Eleonore]

Lieber Sufnus,

ich wähle mir einfach Elo aus - wenn das auch in den Angeboten ist.
Stimmt schon, es schreibt sich schneller, wenn nicht so ewig lange Aliasse zu berücksichtigen sind.

Was das Hotel Nachwelt angeht, so habe ich Dein Glaubensbekenntnis gehört  .
Das Glaubensbekenntnis, das uns die Kirche eingebleut hat, ist ja nun wahrlich genug ... habe vorhin kurz angetestet, ob ich den Text noch kann .... gruslig !! Dennoch - ich  habe für mich in langen Kämpfen zu einem sehr eigenen Glauben gefunden, der mir guttut. Dass sowohl Buchung im Hotel als auch Nichtbuchung unter Glauben fallen,  liegt id Natur der Sache.

Schöne Grüße

Eleonore

[AlteLyrikerin]

Lieber Sufnus,

nun ist die Reihe der positiven Kritiken schon angenehm lang. Da komme ich nun auch noch daher. Aber aus eigener Erfahrung weiß ich, dass wir Dichter solche Listen lieben. Zu lang können sie eigentlich nicht sein.
Meine Lieblingsstellen

Da lebt man mit dem Hals längst in der Schlinge
und hat sich letztlich gründlich totgesiegt.

Aber auch

bevor dich hinterrücks ein Hieb entbindet

Herzliche Grüße, AlteLyrikerin.

[Sufnus]

Liebe Eml, Elo und AL!
Ja... Ihr habt hier ein langes, buntes Band freundlicher Worte geflochten... dankesehr dafür!
Strophe 2 finde ich tatsächlich auch noch nicht so ganz optimal... aktuell bin ich aber zu faul zum Handanlegen.
Was Elos Hinweis auf die Glaubensfrage angeht: Ich denke, man sollte im Lauf seines Lebens ein paar mal seine Position revidiert haben, das ist ein Geschenk des Geistes an den Geist (was auch immer hierbei unter Geist zu verstehen sein mag ). Idealerweise hat man dann aber irgendwo sein spirituelles Plätzchen gefunden (ich zähle jetzt mal eine reflektierte Endlichkeitsdiesseitigkeit - watn Wort! - auch dazu ).
LG!
S.