Autor Thema: Dunkle Blumen malt die Nacht  (Gelesen 1388 mal)

ANOUK

Dunkle Blumen malt die Nacht
« am: August 13, 2015, 09:49:58 »
So dunkle Blumen malt die Nacht
auf deine Stirn – sei ohne Sorgen,
denn meine Hand aus Licht gemacht
geleitet dich bis in den Morgen.

Auf deine Lider senkt sich Schlaf,
dein Atem, der geht gar so schwer.
Ich treib die Schatten weg von dir,
zerschlage der Dämonen Heer.

Oft schütteln Traum und Wahnsinn dich,
es hockt der Alb voll Häme
auf deiner Brust – ich weis ihn fort,
und mit ihm jede Träne.

Dein inner’ Wesen bald entsteigt
den müden Gliedern, die wie Blei
so schwer auf kühlen Kissen ruhn
– Schlafes Bruder zieht vorbei.

So fliegen wir durch Dämmerstunden,
schlüpfen durch das Netz der Zeit,
zwei rast- und ruhlos Lichtgestalten
im Anblick der Unendlichkeit.

Gebettet in Nocturnens Armen,
der Puls der tiefen Nacht uns bindet,
dass meine Seele deine küsst,
und was getrennt zusammenfindet.

(Okt. 2014... mein Allererstes)
Die Menschen sind nicht immer, was sie scheinen, aber selten etwas Besseres. (Lessing; aus: Nathan der Weise]

Erich Kykal

Re: Dunkle Blumen malt die Nacht
« Antwort #1 am: August 13, 2015, 10:35:57 »
Hi, Anouk!

Sieh da, du hast Potential! Wenn wir die kleinen Schwächen vor allem jugendlicher Dichter erst abgestellt haben, sehe ich da ein großes Werk heraufdämmern!

So dunkle Blumen malt die Nacht
auf deine Stirn – sei ohne Sorgen,
denn meine Hand aus Licht gemacht "aus Licht gemacht" sollte als attributiver Einschub in Kommata gefasst werden.
geleitet dich bis in den Morgen.

Diese Strophe ist ohne Fehl und Tadel: Alles reimt sich, das Kadenzenschema ist mwmw (männlich, weiblich, also betontes, unbetontes Versende). Man könnte - wäre man erbsenzählerisch - anmerken, dass die Auftakte von Z2 und 3 leicht indifferent sind - ein unkundiger oder "taktloser" Leser könnte sie betont anlesen, was natürlich hier falsch wäre und ihn aus dem Rhythmus würfe.
So sollte es nun weitergehen: Unbetonter Auftakt, vierhebige Zeilen (Heber oder Hebungen nennt man die betonten Silben in einer Verszeile), Kadenzenschema mwmw. Das gäbe einen klaren Rhythmus.

Auf deine Lider senkt sich Schlaf, Leicht indifferenter Auftakt, aber das geht noch.
dein Atem, der geht gar so schwer. Hier wäre "er" statt "der" lyrischer.
Ich treib die Schatten weg von dir,
zerschlage der Dämonen Heer.

In dieser Str. haben wir nun Kadenzenschema mmmm, und es gibt nur einen Reim (Z2/4). Das stört den Leserhythmus doch erheblich.

Oft schütteln Traum und Wahnsinn dich, Stark indifferenter Auftakt! Ein unbetont gelesener klingt hier schon fast unnatürlich.
es hockt der Alb voll Häme Nur drei Heber - einer zu wenig. Altern.: "es hockt der Alb voll blanker Häme".
auf deiner Brust – ich weis ihn fort, Indifferenter Auftakt, geht aber.
und mit ihm jede Träne. Nur drei Heber! Altern.: "und mit ihm jede Trauerträne.".

Auch hier haben wir nur einen (obendrein unsauberen) Reim. Die Kadenzen allerdings stimmen hier wieder.

Dein inner’ Wesen bald entsteigt Der Apostroph ist unnötig, zerfleddert bloß das Schriftbild. Schöner: "Dein tiefes Wesen ...". Schlimmer ist die Inversion "bald entsteigt". Altern.: "dein tiefes Wesen, es entsteigt".
den müden Gliedern, die wie Blei
so schwer auf kühlen Kissen ruhn
– Schlafes Bruder zieht vorbei. Betonter Auftakt. Altern.: (Komma am Ende der Vorzeile)"wenn Schlafes Bruder ..." Auch hier eine unschöne Inversion (zieht vorbei).

Inversionen sollte man in der zeitnahen Lyrik tunlichst vermeiden. Sie wirken geschraubt und unnatürlich - oder so, als wollte da jemand einen Text bewusst auf "alt" trimmen. Diese Str. kommt nun ganz ohne Reime aus, was gar keinem Schema mehr folgt.

So fliegen wir durch Dämmerstunden,
schlüpfen durch das Netz der Zeit, Betonter Auftakt! Altern.: "entschlüpfen leicht dem Netz der Zeit,".
zwei rast- und ruhlos Lichtgestalten Die Verkürzung "ruhlos" wirkt unkorrekt und lyrisch überzogen antiquiert. Altern.: "zwei ruhelose Lichtgestalten".
im Anblick der Unendlichkeit.

Leider auch hier nur ein Reim.

Gebettet in Nocturnens Armen,
der Puls der tiefen Nacht uns bindet, Inversion.
dass meine Seele deine küsst,
und was getrennt zusammenfindet. Das fehlende Hilfszeitwort wirkt hier ebenfalls unzeitgemäß und auf lyrisch-antik geschraubt.

Auch hier fehlt ein Reim, und man könnte die ganze Str. sprachlich harmonischer gestalten. Wenn ich darf:

Gebettet sacht in Morpheus' Armen
verbindet uns der Puls der Nacht,
wir küssen uns, denn sein Erbarmen
hat unsre Seelen groß gemacht.


So soll es sein: klar unbetonte Auftakte, 4 Heber, harmomischer Sprachfluss - bloß das Kadenzenschema habe ich umgekehrt: "wmwm". Naja, nobody is perfect ...  ;) ;D ::)


Sehr gern gelesen und beklugfummelt! :)

LG, eKy
Ironie: Ich halte euch einen Spiegel vor, damit wir herzlich lachen können.
Sarkasmus: Ich halte euch einen Spiegel vor, weil ich von euch enttäuscht bin.
Zynismus: Ich halte euch einen Spiegel vor, aber ich glaube nicht mehr an euch.

ANOUK

Re: Dunkle Blumen malt die Nacht
« Antwort #2 am: August 13, 2015, 13:52:05 »
Hallo lieber Erich, wow, du hast es nicht nur gelesen und kommentiert, sondern dir auch noch einen Haufen Arbeit gemacht, ich danke dir sehr!! Ja, am Handwerklichen fehlt es mir noch immer. dies war quasi mein allererstes Gedicht ( von Geburtstagsreimchen mal abgesehen) und ich habe noch immer nicht wirklich theoretische Grundlagen erlernt. Ich weiß noch aus der Schule, was Jamben und Trochäen und Dactylus uws ist, aber die Hübe zu zählen.. nun. Das scheint mir eine gute Idee-
Von einem "indifferenten" Auftakt habe ich offen gestanden noch nicht mal etwas gehört. Ich werde es googeln!! So ,wie du es umgearbeitet hast, klingt es besser, runder, flüssiger und lässt sich besser lesen..
Besten Dank und viele Grüße!
Anouk
Die Menschen sind nicht immer, was sie scheinen, aber selten etwas Besseres. (Lessing; aus: Nathan der Weise]

Jonny

Re: Dunkle Blumen malt die Nacht
« Antwort #3 am: August 13, 2015, 20:13:06 »
Schöne Wortspiele, Anouk!
Mit einem Hauch Nostalgie.
Gern gelesen.

Liebe Grüße
Jonny

cyparis

Re: Dunkle Blumen malt die Nacht
« Antwort #4 am: August 15, 2015, 11:34:49 »
Liebe ANOUK,

Dein erstes Gedicht?
Liebte ich schöne Gedichte nicht so sehr, könnte ich neidisch werden.
Welch ein Auftakt zur Lyrik!


Neidlos bewundernden Gruß
von
Cyparis
Der Schönheit treu ergeben
(Lady Anne von Camster & Glencairn)
copyright auf alle Texte

ANOUK

Re: Dunkle Blumen malt die Nacht
« Antwort #5 am: August 17, 2015, 11:37:52 »
Danke, Jonny, danke Cyparis,

nun, mein Großvater war neben seinem eigentlichen Beruf ( er war gelernter Buchhändler), Künstler. Er zeichnete herrlich, er schaffte Wundervolles mit Kohle, Aquarell, Ölfarben und Kreide. Und er schrieb Gedichte. Ich hoffe, es liegt mir ein wenig im Blut. Leider fehlt es mir an der Theorie, doch dank Eky und Google werde ich das "Handwerkszeug" hoffentlich erlernen.
Danke für Euer Lob , das motiviert und freut mich sehr
lG
Anouk
Die Menschen sind nicht immer, was sie scheinen, aber selten etwas Besseres. (Lessing; aus: Nathan der Weise]