Autor Thema: Ohne Titel  (Gelesen 675 mal)

gummibaum

Ohne Titel
« am: August 07, 2019, 21:54:36 »
Ein Preisschild prangt an meiner Brust
und zeigt mit roter Farbe:
Jetzt billiger! Die letzte Lust
der Frucht wird bald zur Narbe.

Ein Schnäppchen, denkt man, fasst nach mir
und sieht die kleinen Fliegen
auf ersten faulen Stellen hier
und lässt mich schließlich liegen.

Nur einer, schrumpelig und arm,
trägt mich zuletzt zur Kasse.
Ich fröstele. Dann wird mir warm.
Wie ich die andern hasse!

Erich Kykal

Re: Ohne Titel
« Antwort #1 am: August 07, 2019, 22:07:07 »
Hi Gum!

Wegwerfgesellschaft, Überfluss, Marketingwahnsinn - gut bedichtet!

In einer Welt, wo selbst die Gurkenkrümmung normiert sein muss, wird alles weggeworfen, was nicht mehr "so ganz perfekt" ausschaut. Und aller Überschuss, den es nur gibt, damit auch ja immer genug vorrätig ist, wird in den Müll geworfen ...

Es musste erst Initiativen und Proteste geben, um die Kreaturen des Kapitalismus auf die Idee zu bringen, den unverkäuflichen Überschuss einer Tafel oder an Obdachlosenheime zu spenden!  >:( Was für eine gedankenlose Welt ...

Sehr gern gelesen!

LG, eKy
Ironie: Ich halte euch einen Spiegel vor, damit wir herzlich lachen können.
Sarkasmus: Ich halte euch einen Spiegel vor, weil ich von euch enttäuscht bin.
Zynismus: Ich halte euch einen Spiegel vor, aber ich glaube nicht mehr an euch.

gummibaum

Re: Ohne Titel
« Antwort #2 am: August 08, 2019, 12:58:52 »
Ein schöner Kommentar, lieber Erich. Ich danke dir.

LG g


Sufnus

Re: Ohne Titel
« Antwort #3 am: August 13, 2019, 11:07:59 »
gum, Du bist der Meister der Kippfiguren! :)
Hier scheint in der ersten Strophe vom Herz die Rede zu sein, zwar natürlich metaphorisch zu verstehen, aber dabei durchaus mit Anklängen an das konkrete Organ (die blutige Narbe in der Brust). Nur das Preisschild irritiert hier und will nicht recht zur Herzmetapher passen.
Dann kippt die ganze Figur und aus dem Herz wird in Strophe 2 ein heruntergesetztes, weil angedetschtes, Stück Obst in der Warenauslage.
In Strophe 3 greift dann ein offenbar materiell schlecht gestellter Kunde zu, der dabei aber selbst wieder wie ein alter Apfel (schrumpelig) beschrieben wird. Und jetzt kippt das Bild noch einmal, und das Obst (das lyrische Ich) osziliiert zwischen innerer Kälte und Wärme (wir sind wieder beim Herz!) mit der letzten Wendung der letzten Strophe, wo die Wärme der vorletzten Strophe sich nicht als die Geborgenheit im Einkaufskorb sondern als Welthass herausstellt.
Ein Hin- und Her von solcher Raffinesse habe ich selbst von Dir, lieber gum, selten gelesen.
Genuss pur! Begeisterung!
Da einen Titel zu finden, ist natürlich sauschwer... aber ich sähe es gerne, wenn Dir da noch etwas einfiele! :)
"Ohne Titel" klingt für mich etwas zu sehr nach moderner Kunst (gegen die ich nix hab - aber hier passt das für mich nicht so).
Lg,
S.

Erich Kykal

Re: Ohne Titel
« Antwort #4 am: August 13, 2019, 11:18:24 »
Wie wäre es mit: "Fruchtbare Zeiten" oder "Die Frucht unserer Sünde"?  ;D ;)

LG, eKy
Ironie: Ich halte euch einen Spiegel vor, damit wir herzlich lachen können.
Sarkasmus: Ich halte euch einen Spiegel vor, weil ich von euch enttäuscht bin.
Zynismus: Ich halte euch einen Spiegel vor, aber ich glaube nicht mehr an euch.