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Verbrannte Erde / Re: Verteidigung des Abendlandes
« am: Mai 19, 2021, 20:40:28 »
Hi AL!
Da reden wir, fürchte ich, ein bisschen aneinander vorbei...
Von der "poetischen Qualität" habe ich diesmal überhaupt nicht gesprochen - wo hast Du das aus meinen Anmerkungen herausgelesen? Mir ging es um den Aspekt der Redlichkeit.
Der Text ist, aufgrund der Abfassung in der 1. Person Plural eine Selbstanklage - die Erzählstimme zählt sich mit zu denjenigen, die moralisch verwerflich handeln.
Eine Selbstanklage impliziert, wenn sie nicht in bloße Fassade sein soll, aber normalerweise (auf die Ausnahme komme ich weiter unten) auch ein gewisses Gelöbnis zur Besserung oder zur Wiedergutmachung oder zur Sühne. Eine Selbstanklage, der all dies fehlt, steht leicht auf dem Prüfstand, was wohl die Motivation dabei sein soll. Krokodilstränen also? Mit anderen Worten: Heuchelei?
Und da kommen wir zur gewichtigen Ausnahme: Eine Selbstanklage ohne Inklusion eines positiven Ausblicks kann dann mehr sein, als der bloße exhibitionistische und billige Versuch einer Selbstrechtfertigung, bei der sich ein Täter qua Selbstgeißelung in wohlfeilen Opferpelz kleidet, wenn diese Selbstanklage in der Tradition der sokratischen Aporie als erster Schritt des Erkenntnisgewinns aufzufassen ist: Ich weiß, dass ich nichts weiß - ich bin ratlos und habe keine Lösung - bitte hilf mir!
Diesen Schritt zur Erkenntnis aus der Einsicht in die eigene Ratlosigkeit unterstelle ich Dir, liebe AL, und das lässt den Text in positivem Licht erscheinen. Aber, wie ich schon sagte, wer nichts weiter von Dir weiß und nur auf die Lektüre dieses einen Textes zurückgeworfen ist, mag das Gedicht leicht ungut auffassen.
Aus meinen obigen Ausführungen wird hoffentlich jetzt klarer, dass ich die von Dir unterstellte Position keineswegs einnehme. Ich denke an den Schlusstext eines Größeren, den ich auszugsweise zitieren will:
Verehrtes Publikum, jetzt kein Verdruß:
Wir wissen wohl, das ist kein rechter Schluß.
...
Wir stehen selbst enttäuscht und sehn betroffen
Den Vorhang zu und alle Fragen offen.
...
Vielleicht fiel uns aus lauter Furcht nichts ein.
Das kam schon vor. Was könnt die Lösung sein?
Wir konnten keine finden, nicht einmal für Geld.
Soll es ein andrer Mensch sein? Oder eine andre Welt?
Vielleicht nur andere Götter? Oder keine?
Wir sind zerschmettert und nicht nur zum Scheine!
Der einzige Ausweg wär aus diesem Ungemach:
Sie selber dächten auf der Stelle nach
Auf welche Weis' dem guten Menschen man
Zu einem guten Ende helfen kann.
Verehrtes Publikum, los, such dir selbst den Schluß!
Es muß ein guter da sein, muß, muß, muß!
Da reden wir, fürchte ich, ein bisschen aneinander vorbei...
Zitat von: AlteLyrikerin
@Sufnus: Wenn ich dich richtig verstehe, dann meinst Du, das "wir" des Gedichtes mit seiner moralischen Anklage, das andererseits keine
Antworten auf die aufgeworfenen Fragen liefert, würde die poetische Qualität des Textes sehr mindern.
Von der "poetischen Qualität" habe ich diesmal überhaupt nicht gesprochen - wo hast Du das aus meinen Anmerkungen herausgelesen? Mir ging es um den Aspekt der Redlichkeit.
Der Text ist, aufgrund der Abfassung in der 1. Person Plural eine Selbstanklage - die Erzählstimme zählt sich mit zu denjenigen, die moralisch verwerflich handeln.
Eine Selbstanklage impliziert, wenn sie nicht in bloße Fassade sein soll, aber normalerweise (auf die Ausnahme komme ich weiter unten) auch ein gewisses Gelöbnis zur Besserung oder zur Wiedergutmachung oder zur Sühne. Eine Selbstanklage, der all dies fehlt, steht leicht auf dem Prüfstand, was wohl die Motivation dabei sein soll. Krokodilstränen also? Mit anderen Worten: Heuchelei?
Und da kommen wir zur gewichtigen Ausnahme: Eine Selbstanklage ohne Inklusion eines positiven Ausblicks kann dann mehr sein, als der bloße exhibitionistische und billige Versuch einer Selbstrechtfertigung, bei der sich ein Täter qua Selbstgeißelung in wohlfeilen Opferpelz kleidet, wenn diese Selbstanklage in der Tradition der sokratischen Aporie als erster Schritt des Erkenntnisgewinns aufzufassen ist: Ich weiß, dass ich nichts weiß - ich bin ratlos und habe keine Lösung - bitte hilf mir!
Diesen Schritt zur Erkenntnis aus der Einsicht in die eigene Ratlosigkeit unterstelle ich Dir, liebe AL, und das lässt den Text in positivem Licht erscheinen. Aber, wie ich schon sagte, wer nichts weiter von Dir weiß und nur auf die Lektüre dieses einen Textes zurückgeworfen ist, mag das Gedicht leicht ungut auffassen.
Zitat von: AlteLyrikerin
Ja, das lyrische Ich, wie auch die Autorin, können keine Lösung vorweisen. Ist es darum schon opportun einen Text abzulehnen, der auf das tödliche Drama und das Unrecht vor unseren Grenzen hinzuweisen versucht? Ich denke, das würde wiederum auf eine zynische Konstruktion hinauslaufen. Nur wer eine Lösung parat hat, darf gegen eine Menschenrechtsverletzung demonstrieren.
Aus meinen obigen Ausführungen wird hoffentlich jetzt klarer, dass ich die von Dir unterstellte Position keineswegs einnehme. Ich denke an den Schlusstext eines Größeren, den ich auszugsweise zitieren will:
Verehrtes Publikum, jetzt kein Verdruß:
Wir wissen wohl, das ist kein rechter Schluß.
...
Wir stehen selbst enttäuscht und sehn betroffen
Den Vorhang zu und alle Fragen offen.
...
Vielleicht fiel uns aus lauter Furcht nichts ein.
Das kam schon vor. Was könnt die Lösung sein?
Wir konnten keine finden, nicht einmal für Geld.
Soll es ein andrer Mensch sein? Oder eine andre Welt?
Vielleicht nur andere Götter? Oder keine?
Wir sind zerschmettert und nicht nur zum Scheine!
Der einzige Ausweg wär aus diesem Ungemach:
Sie selber dächten auf der Stelle nach
Auf welche Weis' dem guten Menschen man
Zu einem guten Ende helfen kann.
Verehrtes Publikum, los, such dir selbst den Schluß!
Es muß ein guter da sein, muß, muß, muß!